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Flucht aus dem Kampfgebiet in Tigray.

Foto: Reuters / Baz Ratner

Mekelle – UN-Nothilfekoordinator Mark Lowcock hat vor einer Hungersnot in der äthiopischen Krisenregion Tigray gewarnt. "Konkrete Maßnahmen sind dringend erforderlich, um den Teufelskreis zwischen bewaffnetem Konflikt, Gewalt und Ernährungsunsicherheit zu durchbrechen", teilte Lowcock am Dienstag mit. Er forderte die UN-Mitgliedsstaaten auf, "alle möglichen Schritte zu unternehmen, um eine Hungersnot zu verhindern".

Aktuell seien "mindestens 20 Prozent der Bevölkerung in diesem Gebiet von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen", hieß es in dem Schreiben. Es bestehe ein "ernstes Risiko einer Hungersnot, wenn die Hilfe nicht in den nächsten zwei Monaten aufgestockt wird".

Lowcock zufolge seien mehr als 90 Prozent der Ernte und 80 Prozent des Viehbestandes in der Region geplündert oder zerstört worden. Gleichzeitig habe sich der Zugang für Hilfsorganisationen trotz einzelner Fortschritte verschlechtert. Zuvor hatte es immer wieder Berichte gegeben, wonach es sich dabei auch um eine bewusste Kriegsstrategie handle: Äthiopische Regierungstruppen und eritreische Soldaten, die Äthiopien bei em Einsatz unterstützten, hätten bewusst eine Nahrungsknappheit herbeigeführt.

In den vergangenen sechs Monaten seien in der Tigray-Region acht Mitarbeiter von Hilfsorganisationen getötet worden. Zudem ist der Zugang für humanitäre Hilfe immer noch massiv erschwert.

Langer Konflikt um Kontrolle

Äthiopische Regierungstruppen hatten im November eine Offensive gegen die Volksbefreiungsfront TPLF begonnen, nachdem diese ein Armeelager der Regierung überfallen hatte. Der Streit selbst reicht freilich viel weiter zurück: Die TPLF, einst eine erfolgreiche Rebellenarmee, hatte die äthiopische Regierung seit Beginn der 1990er-Jahre weitgehend kontrolliert. Dies gelang ihr, obwohl das Volk der Tigray nur rund sechs Prozent der äthiopischen Bevölkerung ausmacht. Erst die Ernennung Abiy Ahmeds zum Premier bereitete dieser Dominanz 2018 ein Ende. Der Sohn eines muslimischen Oromo und einer christlichen Amharin entstammt den beiden größten Volksgruppen des Landes (je rund 30 Prozent). Zudem schloss Abyi Frieden mit dem benachbarten Eritrea, mit dem die TPLF nach einem blutigen Grenzkrieg 1998 bis 2000 in tiefer Feindschaft liegt.

Seit Beginn des aktuellen Krieges sind die geschätzt sechs Millionen Einwohner der Region großteils vom Rest der Welt abgeschnitten. Im Zuge des Konfliktes waren auch Soldaten aus dem Nachbarland Eritrea einmarschiert, denen – wie auch den äthiopischen Truppen selbst und der TPLF – Massaker an der Zivilbevölkerung und sexuelle Gewalt gegen Frauen vorgeworfen werden. Abyi hatte mehrfach deren Rückzug verkündet, sie befinden sich allerdings weiterhin in Tigray.

Auch mehr als sechs Monate nach dem Einmarsch der äthiopischen Truppen gehen die Kämpfe weiter. Experten warnen vor einer drohenden humanitären Katastrophe. Nach Darstellung von Äthiopiens Ministerpräsident Abiy ist die Region jedoch zur Normalität zurückgekehrt. Seinen Angaben zufolge werden Lebensmittel und andere Hilfsgüter an die Bevölkerung geliefert. (APA, mesc, 26.5.2021)