Eine Hinweisgeberin behauptet, die Tätigkeit von Michaela Steinacker bei der Raiffeisen Evolution habe als verdeckte Parteispende gedient – das wird bestritten.

Foto: Parlamentsdirektion/Thomas Jantzen

Noch ist das Auslieferungsbegehren betreffend die ÖVP-Justizsprecherin Michaela Steinacker – die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ermittelt gegen sie wegen möglicher Untreue – nicht im Immunitätsausschuss des Parlaments angekommen. Sobald das der Fall ist, wird der Ausschuss rasch tagen, meistens zeitnah zum Plenum. Denn ein Auslieferungsansuchen wird zunächst im Immunitätsausschuss behandelt, bevor der Nationalrat im Plenum darüber abstimmt.

Wie die jeweiligen Parteien abstimmen werden, ist großteils noch unklar. Die Mitglieder des Immunitätsausschusses betonen, dass sie zunächst die Begründung der WKStA lesen müssen. Fritz Ofenauer, der für die ÖVP im Ausschuss sitzt, machte bereits am Dienstag deutlich, dass das Auslieferungsbegehren zurückzuweisen sei.

Scharfe Kritik der Grünen,...

Vom grünen Koalitionspartner kam rasch Kritik: "Wieder einmal kommt als Reaktion auf potenzielle Ermittlungen gegen eine ÖVP-Politikerin reflexartig die Unterstellung, die Justiz arbeite politisch motiviert. Das muss endlich aufhören", forderte die grüne Justizsprecherin Agnes Sirkka Prammer in einer Aussendung. Es stehe jedem, gegen den ein Verdacht erhoben wird, frei, sich dazu so zu äußern, wie er oder sie es für richtig erachte. Und selbstverständlich gelte auch für Politiker die Unschuldsvermutung. Aber: "Angriffe, welche die Unabhängigkeit der Justiz in Zweifel ziehen, sind absolut unangebracht und gerade von Politiker*innen zu unterlassen", konstatierte Sirkka Prammer.

Entscheidet sich die ÖVP, gegen das Auslieferungsbegehren zu stimmen, könnte das die Koalition auf die Probe stellen. Die Stimmen der Grünen würden dann vermutlich entscheiden, ob für Steinacker politische Immunität gilt oder ob ermittelt werden kann.

Der stellvertretende Klubobmann der Neos, Niki Scherak, meint, es sehe derzeit danach aus, dass "wohl kein Zusammenhang zur politischen Tätigkeit als Abgeordnete" bestehe. Scherak ist Mitglied des Immunitätsausschusses. "Wir werden uns dort das Auslieferungsbegehren genau ansehen und zu gegebenem Zeitpunkt entscheiden. Es gilt hier natürlich die Unschuldsvermutung."

... und von Neos und SPÖ

Die von der ÖVP hervorgebrachte Kritik, dass der Ermittlungsverdacht infrage stelle, ob Abgeordnete neben ihrer politischen Tätigkeit überhaupt noch einen Beruf ausüben können, will Scherak nicht gelten lassen. "Zahlreiche Abgeordnete, mich eingeschlossen, üben ihren Beruf ganz normal neben ihrer Tätigkeit im Parlament aus. Es ist daher nicht nur möglich, sondern grundsätzlich auch wünschenswert, wenn im Parlament auch Mandatare tätig sind, die neben ihrer Abgeordnetentätigkeit auch noch einen Beruf ausüben."

Auch SPÖ-Justizsprecherin Selma Yildirim kritisiert Ofenauer für seine Aussage: Der Immunitätsausschuss – dessen Vorsitzende sie ist – habe sich nur mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Steinacker von der WKStA angelasteten Verfehlungen im Zusammenhang mit der Ausübung ihres Mandats stehen. Ob oder gegen wen die unabhängige Justiz ermittle, sei "alleinige Entscheidung derselben".

Kickl ausgeliefert

Das betont auch Christian Ragger, der für die FPÖ im Ausschuss sitzt. Der Abgeordnete will noch keine Prognose abgeben, weil er das Ansuchen der WKStA noch nicht kennt. Was er aus den Medien gelesen und gehört habe, schaue aber danach aus, als reiche es für die Aufhebung der Immunität, meint er zum STANDARD. Die Kritik der ÖVP sei natürlich eine politische Wertung, das überrasche nicht. Es gehe aber einzig und allein um Rechtsfragen, sagt der Jurist. In den Ausschüssen könne es durchaus hitzig zugehen, weil natürlich politische Komponenten mitspielen, sagt Ragger. Er muss es wissen, war der Kärntner doch selbst vor nicht allzu langer Zeit Thema im Ausschuss: Vor einem Jahr hat er einen Strafbescheid, den er wegen zu schnellen Fahrens – er war mehr als 50 km/h zu schnell unterwegs – erhalten hatte, beeinsprucht. Das Landesverwaltungsgericht Klagenfurt beantragte deshalb beim Nationalrat die Aufhebung seiner parlamentarischen Immunität – dem wurde zugestimmt, und Ragger musste seinen Führerschein abgeben.

Die jüngste Sitzung des Ausschusses war das aber nicht: Ende April stimmte das Plenum der Aufhebung der Immunität von FPÖ-Klubchef Herbert Kickl zu. Er soll bei einer Kundgebung in Wien Anfang März gegen Abstandsregeln verstoßen und die Vorschriften zum Tragen einer FFP2-Maske missachtet haben. Ihm droht deswegen eine Verwaltungsstrafe von bis zu 500 Euro – der Wiener Magistrat, der die Aufhebung der Immunität forderte, darf Kickl nun offiziell "verfolgen". Es war ein besonders umstrittener Fall: Nur die ÖVP und die Grünen stimmten für die Aufhebung der Immunität.

Durch alle Instanzen

Grundsätzlich soll die Immunität, die Nationalratsabgeordnete genießen, vor willkürlicher Verfolgung durch die Justiz schützen. 1979 wurden die Immunitätsbestimmungen im Verfassungsgesetz dahingehend geändert, dass Abgeordnete für strafbare Handlungen nur dann verfolgt werden dürfen, "wenn diese offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit" stehen. Davor waren sogar Verkehrsdelikte von der Immunität gedeckt. Aber die Auslieferungspraxis des Nationalrats änderte sich – es wurden auch schon Abgeordnete ausgeliefert, wenn ein politischer Zusammenhang bestand.

Einige Abgeordnete sind der Meinung, dass das auch bei Kickl der Fall war. Die FPÖ will deswegen durch alle Instanzen gehen. Im Fall einer Verurteilung Kickls kann er vor den Verwaltungsgerichtshof oder den Verfassungsgerichtshof ziehen, sogar eine Anrufung des Europäischen Gerichtshofs wäre möglich.

Koran-Sager: Keine Auslieferung

Das Magazin "Addendum" hat Ende 2019 analysiert, dass seit 1994 die betroffenen Abgeordneten in 62 Prozent der Fälle ausgeliefert wurden. Am häufigsten wurde laut der "Addendum"-Analyse wegen strafbarer Handlungen gegen die Ehre ermittelt – großteils ging es da um üble Nachrede. Ersuchen um die Aufhebung der Immunität richten sich demnach am häufigsten gegen Abgeordnete der FPÖ und der Grünen. Bei der Häufigkeit der Auslieferung bestehen laut der Auswertung aber große Unterschiede.

Auch in dieser Periode gab es bislang nur Auslieferungsbegehren betreffend grüner oder blauer Abgeordneter: Diskutiert wurde die Aufhebung der Immunität von Michel Reimon (Grüne, ausgeliefert), David Stögmüller (Grüne, nicht ausgeliefert), Herbert Kickl (FPÖ, einmal nicht ausgeliefert, einmal schon), Wolfgang Zanger (FPÖ, ausgeliefert), Norbert Hofer (FPÖ, einmal ausgeliefert, einmal nicht) und Christian Ragger (FPÖ, ausgeliefert).

Das letzte Mal gegen eine Auslieferung stimmte der Ausschuss im Oktober 2020: FPÖ-Chef Norbert Hofer wurde nach seinem Sager, wonach der Koran schlimmer als Corona sei, nicht ausgeliefert, das wurde einstimmig beschlossen. Die Aussage sei eindeutig in Zusammenhang mit Hofers politischer Tätigkeit gestanden. Die Staatsanwaltschaft Wien hatte im September ein Ersuchen an den Nationalrat gestellt, einer behördlichen Verfolgung zuzustimmen.

Wenn die eigene Partei für die Auslieferung ist

Der Justizsprecher der Neos, Johannes Margreiter, schlägt vor, die Abgeordnete Steinacker könne auch selber darauf drängen, ihre Immunität aufzuheben, "um ein Ermittlungsverfahren zu ermöglichen, welches letztlich keinen ausreichenden Beweis für die mir zur Last gelegte Scheinbeschäftigung erbringt". Nicht immer stimmt die eigene Partei auch gegen eine Auslieferung. Diese Strategie wählte zuletzt die FPÖ, ebenfalls betreffend Norbert Hofer: Anfang 2020 stimmten sie dem Auslieferungsbegehren der WKStA zu, dabei ging es um den Verdacht der Geschenkannahme. Hofer habe sich nichts zuschulden kommen lassen, erklärte der Parteichef selber. In der Causa wird aktuell noch ermittelt.

Ein Ersuchen um Aufhebung der Immunität eines Abgeordneten lässt natürlich keine Rückschlüsse auf den Verfahrensausgang zu. Laut der "Addendum"-Analyse gibt es keine gesicherten Daten darüber, in wie vielen Fällen eine Einstellung erfolgte oder es zu einer Verurteilung kam – was unter anderem daran liegt, dass nicht alle Gerichtsurteile veröffentlicht werden, und wenn, dann anonymisiert. Verfahrenseinstellungen werden außerdem nur selten öffentlich. (Lara Hagen, 26.5.2021)