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Zeigt sich pessimistisch: Meduza-Chefin Galina Timtschenko.

Foto: AP/Alexander Zemlianichenko

Riga/Wien/Moskau – Nachdem es Ende April vom Justizministerium in Moskau zum "ausländischen Agenten" erklärt wurde, hat Russlands führendes Onlinemedium "Meduza" mit einem Schlag einen Großteil seiner Werbeeinnahmen verloren. Dank einer Crowdfunding-Kampagne hat das Medium wirtschaftlich einstweilen überlebt. "Meduza"-Chefin Galina Timtschenko zeigte sich am Mittwoch dennoch pessimistisch über die weiteren Perspektiven.

"Die russischen und auch die belarussischen Behörden haben nun verstanden, dass ihr gefährlichster Feind die Meinungsfreiheit ist", sagte die Meduza-Chefin in einem vom Forum Journalismus und Medien (fjum) und dem Presseclub Concordia organisierten Onlinegespräch.

Die aktuelle Kampagne gegen Journalismus, unabhängige Medien, Blogger und auch Politiker mit großer Anhängerschaft in Russland sei erst am Anfang, beklagte sie. Das Ziel sei, alle zum Verstummen zu bringen. Die Vorgänge in Belarus seien dabei ein Rollenmodell für den Kreml, wo es keine moderaten Akteure mehr gebe.

"Werden die Hälfte des Publikums verlieren"

Mit Verweis auf Weißrussland, wo unabhängige Internetmedien praktisch nur noch mit VPN-Software zur Umgehung von Internetsperren gelesen werden können, zeigte sie sich pessimistisch auf die Perspektiven auch ihres Mediums. "Ich gehe davon aus, dass wir in allernächster Zeit die Hälfte unseres Publikums verlieren werden", sagte sie. Chancen auf eine Verbesserung der Situation der Medien in Russland sah sie keine: "Wir sind im Winter und es wird keinen Frühling geben."

Detailliert schilderte Timtschenko die Konsequenzen des neuen Status für ihr Medium, das seinen Firmensitz im lettischen Riga hat. Nachdem die russischen Behörden "Meduza" an einem Freitag zum "ausländischen Agenten" erklärt hatten, habe es über das Wochenende 90 Prozent der für 2021 geplanten Werbeeinnahmen von 2,5 Millionen Euro verloren, erzählte sie. "Anzeigenkunden und Firmen wollen ganz und gar nicht mit einem 'Staatsfeind' assoziiert werden", zeigte sie dabei Verständnis für ehemalige Geschäftspartner.

Der neue Status ihres Mediums führe aber auch zu großen persönlichen Risiken für "Meduza"-Journalisten in Russland, die als Person nun auch zu "ausländischen Agenten" erklärt werden könnten. In diesem Fall müssten sie dann alle drei Monate detaillierte Berichte über alle Einnahmen und Ausgaben beim Justizministerium einreichen. Sollte es dabei zu Fehlern kommen, drohten beim ersten und zweiten Mal Geldstrafen und in Folge auch bis zu zwei Jahre Freiheitsentzug.

Gesprächspartner verweigern zunehmend Kontakt

Probleme gebe es nun aber auch in der journalistischen Arbeit. Gesprächspartner, insbesondere in russischen Strafverfolgungsbehörden, verweigerten zunehmend den Kontakt. Interviewte Personen würden nach russischen Recht zudem an der Erstellung von Nachrichteninhalten von "ausländischen Agenten" teilnehmen und seien dadurch selbst von diesem Status bedroht, erklärte Timtschenko. "Das ist in gewisser Weise auch ein Berufsverbot für uns", sagte sie.

In den Tagen nach der Brandmarkung sei jedoch ein "Wunder" geschehen, sagte die Medienunternehmerin. "Wir haben Millionen Leser, ein sehr loyales Publikum und wir starteten eine Kampagne", erzählte sie. Zwar kamen nur relativ wenig Testimonials russischer Promis, die in vielen Fällen selbst Angst hätten, öffentlich ihre Unterstützung zu zeigen. In einer der erfolgreichsten Crowdfunding-Kampagnen Russlands spendeten jedoch dennoch 85.000 Menschen und ermöglichten derart für die nächsten Monate den weiteren Betrieb von "Meduza".

Aus Sicherheitsgründen wolle sie keine Summen nennen, erklärte Timtschenko. "Die russischen Behörden haben Dutzende Werkzeuge, mit denen sie uns vernichten könnten. Der Status eines 'Auslandsagenten' ist dabei die sanfteste Variante", sagte sie. Wenn die Behörden "Meduza" etwa zu einer "unerwünschten Organisation" erklären würden, wäre jede Verbindung zum Medium automatisch ein Verbrechen. Möglich wäre aber auch die formale Sperre der Seite im Internet.

Akkreditierungen verweigert

Ganz neu sind Behördenschikanen für das Medium, das sich seit seiner Gründung im Herbst 2014 durch Qualitätsjournalismus auszeichnet, freilich nicht. Timtschenko schilderte, dass das russische Außenministerium seit 2015 mit einer einzigen Ausnahme einer Korrespondentin allen weiteren Journalisten von "Meduza" die eigentlich vorgesehene Akkreditierung verweigere. Dabei seien auch immer wieder Anträge ihres Mediums "verloren" worden. "Sie machen alles, was sie wollen. Nur um uns (Journalisten von 'Meduza', Anm.) nicht zu akkreditieren", klagte sie. (APA, 26.5.2021)