In einer Wiener Hundezone begann eine Freundschaft zwischen zwei Frauen, die nun mit einem Gerichtsurteil endete.

Foto: Christian Fischer

Wien – Richter Stefan Huber reicht es. Zweimal hat er bereits versucht, den Prozess gegen Petra G. zu starten, beide Male kam die 50-Jährige nicht. Auch beim dritten Anlauf ist sie um 9.30 Uhr nicht im Saal 204 erschienen. "Bekanntgegeben wird, dass der Ehemann der Angeklagten um 8.45 Uhr telefonisch bekanntgegeben hat, dass seine Gattin an einer Panikattacke leide und daher nicht zu Gericht kommen kann", diktiert Huber ins Protokoll. Danach greift er zum Telefonhörer und verständigt die Polizei, die mit einem Amtsarzt bei G. vorbeischauen soll, um ihre Verhandlungsfähigkeit zu überprüfen und sie gegebenenfalls in das "Graue Haus" zu eskortieren.

Eine knappe Stunde später sitzt die unbescholtene Arbeitslose dann vor dem Richter. Ihr wird von der Staatsanwältin schwerer Betrug vorgeworfen. Sie soll sich von ihrer 57-jährigen Bekannten W. im Sommer 2019 insgesamt 14.300 Euro ausgeborgt haben, obwohl sie wusste, dass sie die Summe in absehbarer Zeit nicht zurückzahlen kann.

Freundschaft in der Hundezone

Begonnen hat die Geschichte in der Hundezone. 2016 oder 2017 hatten sich die beiden Frauen dort angefreundet. G. sagt, sie habe W. in ihre finanziellen Probleme eingeweiht. Angeblich hätten ihr Vater und ihr Onkel, die sie "die Brut" nennt, um einen Teil ihres Erbes betrogen. Die Angeklagte gibt zu, dass sie sich im März 2019 von W. 1.200 Euro ausgeborgt habe, die sie auch zurückzahlte. Drei Monate später seien es nochmals 1.000 Euro gewesen, die sei sie schuldig geblieben, bekennt sie sich teilschuldig. Aber 14.300 Euro? "Never ever!"

Seltsamerweise gibt es aber einen Mailverkehr zwischen ihr und W. aus dem Juli 2019, den der Richter ihr vorhält. In diesem wies W. zunächst auf die ausstehende Summe von 13.900 Euro hin. "Ja, ich weiß. Aber ich habe die Stückelung anders im Kopf und komme auf 14.300 Euro", antwortete G. damals. "Da wollte ich sie ärgern. Sie wollte unbedingt meine Möbel haben", erklärt G. heute dazu. Die Einrichtungsgegenstände spielen auch in einem Whatsapp-Verkehr eine Rolle: W. bot darin an, die Möbel gegen die ausstehenden 14.300 Euro zu nehmen. Der Handel kam nicht zustande.

"Sie haben ja die 14.300 Euro selbst ins Spiel gebracht!", versucht Huber die Angeklagte zu einem Geständnis zu bewegen. Die bleibt fest. Und greift W. an: "Ich habe ihr, ihrem Lebensgefährten und ihrer Tochter so viele teure Sachen geschenkt, die hat sie gerne genommen. Der Tochter habe ich eine Moschino-Tasche gegeben!", rechnet sie gegen. Die ehemalige Freundin sei aber gnadenlos, sie habe Angst vor ihr. "Auf der Hundewiese hat sie mir einmal entgegengeschleudert, ich hätte beim Hofer mitschmarotzt. Da ist es um zwölf Euro gegangen!"

"Mein Hund ist mein Leben"

Ein andermal habe W. gedroht, der Angeklagten den Hund wegzunehmen. "Mein Hund ist mein Leben. Mein Hund ist mein Kind", kann G. es noch immer nicht fassen. Außerdem habe W. mit ihr zusammenziehen wollen, behauptet die Angeklagte. Sie habe auch versucht, einen Keil zwischen G. und deren Mann zu treiben. Allzu viel Kraft brauchte sie dafür nicht aufwenden, wie sich herausstellt: Die Angeklagte sagt, dass sie die eingestandenen 1.000 ausgeborgten Euro einem Freund gegeben habe, in den sie damals unsterblich verliebt gewesen sei.

Noch ein Detail interessiert den Richter. W. sagte der Polizei, die Angeklagte habe ihr ein gerichtliches Schriftstück gezeigt, wonach sie Anspruch auf knapp 30.000 Euro habe. "Das war das bissl Geld, das ich von meinem Vater für einen Grundstücksverkauf bekommen habe", bestätigt die Angeklagte die Existenz des Schreibens. Gleichzeitig beharrt sie darauf, dass ihr mehr zustehe. "Ich warte immer noch, dass ich das Restgeld bekomme. Ich bekomme es sicher!", ist G. überzeugt. Dass 2018 und 2019 zahlreiche Exekutionsverfahren gegen sie am Laufen waren, schiebt sie ebenfalls auf die Erbstreitigkeiten.

Angeklagte will Zeugin nicht sehen

Vor dem Auftritt der Zeugin W. kommt es zu einer äußerst ungewöhnlichen Bitte der ohne Verteidiger erschienenen Angeklagten. "Ich will die nicht sehen! Sie haben mir versprochen, dass ich hier niemanden sehen und hören muss", appelliert G. an den Richter. Der bietet ihr an, dass sie im Nebenraum bei geöffneter Tür die Zeugenaussage hören und über ihn Fragen stellen kann. Auch das lehnt sie ab, daher wird die Tür geschlossen.

Die 57-jährige W. sieht, wie von ihrem Rechtsvertreter Jürgen Payer angekündigt, nicht wirklich furchterregend aus. Sie erzählt, die Bitten um Geld seien von der Angeklagten ausgegangen, der Anspruch auf die 30.000 Euro habe ihr als Sicherheit gereicht. Ebenso der von G. unterfertigte Kaufvertrag einer Wohnung in Wien-Donaustadt. "Ich habe ja damals nicht gewusst, dass sie einfach was unterschreibt, ohne es zu bezahlen!", echauffiert sich die Zeugin.

Auf den Vorhalt, dass sie angeblich mit G. zusammenziehen wollte, reagiert W. fassungslos. "Da sag ich jetzt nichts mehr dazu. Ich bin ein bisschen empört!", sagt die Pensionistin. Teure Geschenke habe es auch nie gegeben – einmal habe sie sich ein paar alte T-Shirts von G. mitgenommen. Auch die angebliche Drohung mit der Hundeabnahme quittiert W. mit: "Das empört mich auch!" Im Gegenteil, sie habe einmal sieben Wochen auf G.s Tier aufgepasst. "Da ist sie angeblich im Spital gelegen. Wie ich später erfahren habe, waren es aber gar keine sieben Wochen!"

Erschöpfte Angeklagte

Die Tiersitterei gesteht die nach Abgang der Zeugin zurück auf den Anklagestuhl gebetene G. auch ein. Daher ist sie bereit, vom Privatbeteiligtenanspruch über 14.300 Euro auch 2.000 anzuerkennen. Auf ihre letzten Worte vor der Urteilsverkündung verzichtet die Angeklagte. Beziehungsweise will sie sich nicht zur Sache äußern: "Ich bin fertig. Ich will nur noch nach Hause", teilt sie Huber mit.

Der sie wegen schweren Betrugs nicht rechtskräftig zu sieben Monaten bedingter Haft verurteilt und W. 14.300 Euro zuspricht. "Ich bin davon überzeugt, dass es sich genau so ereignet hat, wie es in der Anklage steht", begründet er. Zeugin W. habe auf ihn einen überaus glaubwürdigen Eindruck gemacht. "Sind Sie mit dem Urteil einverstanden?", fragt der Richter G. danach. "Nein. Ich nehme mir Bedenkzeit", erwidert die Angeklagte. Die nach Ende der Verhandlung starr auf ihrem Stuhl sitzen bleibt. "Sie können jetzt gehen, Frau G.", teilt ihr der Richter mit. "Nein. Ich habe Frau W. draußen sitzen gesehen", weigert die Angeklagte sich. "Ist die Polizei noch da? Weil ich fühl mich sicherer, wenn die mich begleitet", hält sie fest. Der Inspektor, der sie hergebracht hat, wartet tatsächlich noch vor dem Saal und erfüllt ihr den Wunsch. (Michael Möseneder, 26.5.2021)