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Im Kigali Genocide Memorial Centre hängen Fotos von Opfern der Massaker des Jahres 1994.

Foto: AP/Ben Curtis

Jedes Wort zählte in der Rede, die Emmanuel Macron im ruandischen Memorial des Genozids, der 1994 zu 800.000 Todesopfern geführt hatte, hielt. Der französische Präsident erklärte, sein Land habe zu dem Zeitpunkt "nicht verstanden", dass sich in Ruanda ein Genozid anbahnte. Damals militärisch präsent in dem zentralafrikanischen Land, stehe Frankreich in der "Verantwortung", die Massaker nicht verhindert zu haben.

Mehr noch: Unter dem damaligen Präsidenten François Mitterrand hatte Frankreich die Armee des Hutu-Präsidenten Juvénal Habyarimana ausgebildet und mit Waffen beliefert. Der ruandische Autokrat spielte die frankophone Karte gegen die Tutsi-Rebellen, die teils aus dem anglophonen Uganda operierten. Bis heute ist umstritten, wie lange Frankreich den Übergang von der Repression zum Genozid tatenlos hinnahm. Unbestreitbar ist, dass sich französische Soldaten später bitter beklagten, sie hätten in ihren Garnisonen stillhalten müssen, statt das Treiben der Hutu-Schergen zu stoppen.

"Schwere Mitverantwortung"

Macron übernimmt nun die Position einer französischen Historikerkommission, die er 2019 eingesetzt hatte und die eine "schwere und erdrückende Mitverantwortung" Frankreichs konstatierte. Ohne Mitterrands Namen zu nennen, räumte der heutige Präsident in Kigali ein, Paris sei "an der Seite eines völkermordenden Regimes geblieben." Sein Land sei aber "nicht Komplize" der Massaker gewesen. Deshalb brauche es sich auch nicht zu entschuldigen, wie das Opferverbände gefordert hatten. Macron bat sie, feine begriffliche Unterschiede beachtend, nur um Verzeihung.

Sprecher der Tutsi-Verbände äußerten sich aber enttäuscht über Macrons Worte. In Paris warf der Verein Survie ("Überleben") dem französischen Präsidenten vor, er verhalte sich ambivalent. Entgegen seinem Versprechen habe er nicht alle Ruanda-Archive der Pariser Diplomatie geöffnet. Ein Dokument daraus publizierte die Zeitung "Libération" diese Woche. Der damalige Premierminister Michel Rocard hielt darin fest, Mitterrand habe die Hutu-Diktatur nach Kräften unterstützt, ohne die Regierung oder das Parlament auch nur in Kenntnis zu setzen. In dem handschriftlichen Schreiben stellte Rocard die Kernfrage: "Wann wurden die letzten Waffenlieferungen an das Regime eingestellt?" Antwort erhielt er nie.

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Paul Kagame und Emmanuel Macron trafen bereits vergangene Woche in Paris aufeinander.
Foto: Reuters/SARAH MEYSSONNIER

Umgeleiteter Flug

Macrons Reise ist ein Schritt in Richtung einer bilateralen Versöhnung mit Ruanda, das seine diplomatischen Beziehungen mit Paris von 2006 bis 2009 abgebrochen hatte. Paris knüpft heute über seine westafrikanischen Exkolonien hinaus Handelsbeziehungen mit dem anglophonen Teil Afrikas. Nach Ruanda besucht Macron am Freitag auch Südafrika. Im Unterschied zur Mitterrand-Ära tritt Macron heute nicht mehr gegen anglophone Länder an, sondern sucht mit ihnen strategische Partnerschaften aufzubauen.

Wobei sich Macron dabei auch nicht nur lupenreine Demokraten aussucht. Der ruandische Präsident Paul Kagame verfolgt seit langem seine Opposition – und namentlich Paul Rusesabagina, der tausend Tutsis vor den Mördern gerettet hatte und seit dem Film "Hotel Ruanda" als "afrikanischer Schindler" gilt. Kagames Spitzeln war es erst 2020 gelungen, ihn am Flughafen in Kigali zu verhaften. Rusesabaginas Flug von den Arabischen Emiraten nach Burundi war dorthin umgeleitet worden. Kagames Begründung lautete wie nun in Belarus: Terrorgefahr. Die französischen Medien verschweigen peinlich berührt, dass Zivilflugzeuge offenbar nicht nur nach Minsk umgeleitet werden. Gegen seinen neuen Partner Kagame dürfte Macron aber keine Sanktionen erlassen. (Stefan Brändle aus Paris, 27.5.2021)