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Lukaschenko am Mittwoch im Parlament in Minsk.

Foto: AP

Minsk – Der belarussische Machthaber Alexander Lukaschenko hat den bei der erzwungenen Landung einer Passagiermaschine festgenommenen Oppositionsaktivisten Roman Protassewitsch als "Terroristen" bezeichnet. Der 26-Jährige und seine Helfer hätten einen "blutigen Aufstand" in Belarus (Weißrussland) geplant, sagte Lukaschenko am Mittwoch vor Abgeordneten in Minsk. Dem Westen drohte Belarus mit Gegensanktionen. Nach der EU verurteilte auch die NATO die Zwangslandung geschlossen.

"Sie sollten die Hauptsache hier verstehen: An Bord des Flugzeugs war ein Terrorist", sagte Lukaschenko laut der Zeitung des Präsidentenamtes, "Belarus Segodnja". Das sei über die Grenze von Belarus hinaus bekannt gewesen, meinte er mit Blick auf Russland.

Damit räumte Lukaschenko das erste Mal ein, dass er die Ryanair-Maschine am Sonntag auf dem Weg nach Litauen in Minsk auf den Boden brachte, um seinen Gegner festnehmen zu lassen. Dass Belarus seinen Bürger und seine russische Begleiterin, die in dem Land einen Aufenthaltsstatus habe, festnahm, sei das souveräne Recht des Landes gewesen. Zuvor hatte Lukaschenko behauptet, es habe eine Bombenwarnung aus der Schweiz gegeben, weshalb die Maschine gelandet sei. Die Warnung sei auch in Griechenland und in Litauen eingegangen.

Der Journalist als "Söldner"

Die Schweiz trat diesen Behauptungen am Mittwoch entgegen. "Die Schweizer Behörden hatten und haben keine Kenntnisse über eine Bombendrohung auf dem Ryanair-Flug Athen-Vilnius", erklärte das Außenministerium am Mittwoch. "Es gab dementsprechend auch keine Meldung der Schweiz an die belarussischen Behörden."

Lukaschenko erhob schwere Vorwürfe gegen Protassewitsch und seine ebenfalls inhaftierte Freundin Sofia Sapega, die im Auftrag westlicher Geheimdienste gearbeitet hätten. Sapega hatte in einem Video eingeräumt, Daten von Sicherheitskräften im Nachrichtenkanal Telegram veröffentlicht zu haben. Protassewitsch hatte als Mitbegründer des oppositionellen Telegram-Kanals Nexta (Nechta) stets zu friedlichen Protesten gegen Lukaschenko aufgerufen.

Zugleich warf Lukaschenko Protassewitsch vor, er habe in der Ostukraine aufseiten von Regierungstruppen gekämpft. "Er hat viel Erfahrung als Söldner." Der Journalist hatte zwar 2014 als Reporter aus der Ukraine berichtet, wo damals im Osten der Krieg zwischen prorussischen Kräften und der Zentralregierung in Kiew begann. Kampfhandlungen sind ihm aber nicht nachgewiesen.

Trotzdem behauptete Lukaschenko nun: "Dieses Dreckschwein hat im Südosten der Ukraine Menschen getötet. Diese Fakten sind nicht nur bei uns, sondern auch bei unserem Bruderstaat Russland bekannt – und in der ganzen Welt." Der Kreml in Moskau erklärte, er sehe keinen Grund, Lukaschenkos Darstellung des Falls zu misstrauen. In Belarus steht auf sehr schwere Verbrechen die Todesstrafe, die auch noch vollstreckt wird.

NATO verurteilt Ereignisse

Nach der EU verurteilte auch die NATO die Zwangslandung am Mittwoch geschlossen. Die "inakzeptable Tat" stelle einen erheblichen Verstoß gegen die Regeln für die Zivilluftfahrt dar und habe das Leben der Passagiere und der Besatzung gefährdet, heißt es in einer am Mittwoch veröffentlichten Erklärung des Nordatlantikrats. Protassewitsch und seine Partnerin Sapega müssten umgehend und bedingungslos freigelassen werden. Die NATO-Staaten stellten sich zudem hinter die von einzelnen Mitgliedstaaten und der EU auf den Weg gebrachten neuen Sanktionen.

Dem Westen drohte Belarus am Mittwoch mit Gegensanktionen. Die Regierung habe "Schutzmaßnahmen" vorbereitet, sagte Regierungschef Roman Golowtschenko "Belarus Segodnja" zufolge. "Diese Maßnahmen werden für die Länder, die eine offen feindselige Haltung eingenommen haben, ziemlich schmerzhaft sein." Dazu zählten Beschränkungen beim Transit, sagte der Ministerpräsident. Er ließ allerdings offen, ob damit Waren oder der Öl- und Gastransit nach Europa gemeint sind. Zudem könnte es ein Embargo auf Importe geben.

Flugverkehr eingeschränkt, Wien wartet

Die EU hat wegen der Zwangslandung der Ryanair-Passagiermaschine und der Festnahme von Protassewitsch neue Sanktionen gegen den Machtapparat in Belarus auf den Weg gebracht. Dazu gehört auch ein Flugverbot für Fluggesellschaften des Landes.

Während Lettland und Tschechien bereits am Mittwoch den Flugverkehr mit Belarus komplett einstellten, landen in Österreich weiterhin Flugzeuge der staatlichen belarussischen Airline Belavia. Denn die am EU-Gipfel beschlossenen Sanktionen sind noch nicht in Kraft. Aus dem Verkehrsministerium hieß es dazu auf Anfrage, man begrüßen die rasche und konsequente Vorgehensweise des Europäischen Rats, denn das Vorgehen sei "gefährlich und inakzeptabel" gewesen. Die praktische Umsetzung des Überflugs- und Landungsverbots werde derzeit von der EU-Kommission vorbereitet. "Wir sind in enger Abstimmung mit all unseren Europäischen Partnern und werden diese Schritte in Österreich selbstverständlich umsetzen".

Nehammer verurteilt Vorgehen in Belarus

Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) zeigte sich am Mittwoch empört über das Vorgehen der belarussischen Behörden. Der Fall sei beispiellos, einzigartig in der europäischen Geschichte und auf keinen Fall zu akzeptieren, sagte Nehammer nach dem Ministerrat, angesprochen auf eine Vergleichbarkeit mit dem 2013 in Wien zur Landung bewegten Flugzeug mit Boliviens Präsident Evo Morales an Bord.

Internationales Recht müsse tatsächlich gelten, so Nehammer. Es könne nicht dazu führen, dass mutwillige Entscheidungen getroffen würden, noch dazu mit Waffengewalt – denn als solche sei die per Kampfjet erzwungene Landung zu werten. "Das darf die Europäische Union, die Staatengemeinschaft international nicht akzeptieren", sagte er.

Strafanzeige gegen Lukaschenko

Die Organisation Reporter ohne Grenzen (RSF) brachte beim litauischen Generalstaatsanwalt Strafanzeige gegen Lukaschenko ein. RSF zeige den Präsidenten wegen "Entführung eines Flugzeugs mit krimineller Absicht" gemäß Artikel 251 und 252-1 des litauischen Strafgesetzbuches an, so die NGO in einer Aussendung.

Im November hatten die belarussischen Behörden Protassewitsch auf eine sogenannte Terroristen-Beobachtungsliste gesetzt. Im vergangenen Sommer war es zu zahlreichen Massenprotesten gegen die umstrittene Wiederwahl Lukaschenkos gekommen. Im Zuge des harten Einschreitens der Behörden und Sicherheitskräfte verloren diese jedoch an Momentum. Am Mittwoch kündigte Oppositionsführerin Tichanowskaja eine neue Phase der Anti-Regierungs-Proteste an. "Es gibt nichts mehr abzuwarten. Wir müssen den Terror ein für allemal stoppen", erklärte sie. Lukaschenko sagte, er rechne nicht mit einer Wiederholung der Massenproteste von 2020. (APA, 26.5.2021)