Die schwedischen Forscher griffen auf detaillierte Einkommensdaten zurück. In Österreich sind solche Daten – vor allem bei den Reichsten – teils unzugänglich.

Foto: Imago Images

In Ballungszentren werden Immobilien immer teurer, die Aktienmärkte boomen. Schuld seien die Zentralbanken, die die Märkte mit Geld fluten, lautet ein gängiger Kritikpunkt an der seit Jahren lockeren Geldpolitik in Europa und den USA. Dieses Geld suche nun zinsbringende Anlageformen und mache Vermögende immer vermögender. Zentralbanker halten dagegen, dass geldpolitische Stimuli notwendig seien, um die Wirtschaft anzukurbeln und Beschäftigung zu schaffen – gerade nach der tiefen Corona-Rezession. Am Dienstag sprach sich der griechische Notenbankchef Yannis Stournaras dafür aus, den ultralockeren Kurs der Europäischen Zentralbank beizubehalten.

Neue Studie

Wer am meisten von lockerer Geldpolitik profitiert, ist Thema einer neuen Studie, die Ökonomen der Schwedischen Nationalbank jüngst auf dem Ökonomenportal voxeu.org veröffentlichten. Untersucht wurde die Auswirkung lockerer Geldpolitik auf Haushaltseinkommen zwischen 1999 und 2018. Das Ergebnis: Wenn die schwedische Notenbank die Zinsen senkte, stiegen die Einkommen der ärmsten und reichsten Haushalte signifikant an. Ein Zinsschnitt von 0,25 Basispunkten erhöhte das Einkommen der Reichsten binnen zweier Jahre im Schnitt um fast drei Prozent, die ärmsten Haushalte verdienten im Schnitt um etwas mehr als zwei Prozent mehr. Mittlere Einkommen wuchsen deutlich schwächer.

Schweden ist nicht Teil der Eurozone, die Schwedische Nationalbank kann ihre eigene Geldpolitik machen. Josef Baumgartner, Ökonom am Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo), hält es aber für plausibel, dass die beobachteten Effekte auch in Österreich und dem Rest der Eurozone gelten: Wenn Geldpolitik die Konjunktur stabilisieren und dadurch Arbeitslosigkeit vermeiden könne, komme das im Regelfall Haushalten mit niedrigerem Einkommen zugute. Sie verlieren in einer Rezession eher ihren Job. "Bestandsvermögen wie Aktien oder Immobilien sind überall in Europa sehr ungleich verteilt. Lockere Geldpolitik führt häufig zu steigenden Vermögenspreisen, wovon die oberen Einkommensgruppen profitieren." Mittlere Einkommen sind weniger von Arbeitslosigkeit betroffen und haben ihr Geld öfter auf dem Sparkonto geparkt.

Der schwedische Königspalast und Flaggen des skandinavischen Landes, in dem Einkommensdaten für die Forschung zugänglich sind. Eine vergleichbare Studie wäre in Österreich unmöglich, sagt Wifo-Ökonom Baumgartner. Entsprechende Daten seien für die Forschung nicht nur nicht zugänglich. Sie seien auch teilweise schlecht erhoben.
Foto: AFP

Aktienaffine Schweden

Dass Schweden etwas kapitalmarktaffiner sei als Österreich, ändere wenig an den Aussagen der Studie, sagt auch Oliver Picek, Chefökonom des arbeitnehmernahen Momentum-Instituts. In Schweden ist der direkte und indirekte Aktienbesitz größer als in Österreich. Wenn lockere Geldpolitik in Österreich die Ungleichheit erhöhe, dann wirke sie stärker mittels steigender Immobilienpreise.

Zwar schreiben die Studienautoren, dass die Auswirkung der Geldpolitik auf gängige Maße für Ungleichheit unterschiedlich ausfalle. Die Studie legt aber nahe, dass die Ungleichheit insgesamt steigt. Die Ökonomen beobachten bei den reichsten Haushalten nämlich nicht nur deutliche Zuwächse Kapitaleinkommen, auch das Arbeitseinkommen steigt bei den Reichsten etwas stärker als in der Mittelschicht. Die Reichsten sind demnach die größten Profiteure lockerer Geldpolitik, wie auch eine im April erschienene Studie konkludiert.

Je weiter Notenbanken ihre zinspolitischen Möglichkeiten ausreizen, desto stärker dürfte lockere Geldpolitik als Ungleichmacher wirken, vermuten Experten. Wenn die Zinsen einmal negativ sind, wird der Spielraum für weitere Senkungen kleiner und somit auch der für wirtschaftliche Impulse. Gleichzeitig fließt Geld auf der Suche nach Zinsen weiterhin in Aktien und Immobilien.

Offene Geldschleusen

Die EZB setzt auch mangels zinspolitischen Spielraums seit sechs Jahren auf quantitative Lockerung, sie kauft am Sekundärmarkt Staats- und Unternehmensanleihen. In der Corona-Pandemie wurden die Anleihenkäufe noch einmal ausgeweitet. Zwar untersucht die schwedische Studie nicht, wie sich offene Geldschleusen auf die Einkommen auswirken, der Effekt dürfte aber ähnlich wie bei Zinssenkungen ausfallen, vermuten Experten, vielleicht sogar etwas stärker. Denn mit Kaufprogrammen interveniert die EZB direkt über Vermögenswerte.

Sollten Notenbanken deshalb auf die geldpolitische Bremse steigen, um die Ungleichheit nicht noch weiter anzutreiben? Nein, sagt Ökonom Picek. Er merkt aber an, dass man über die Ausgestaltung lockerer Geldpolitik debattieren könnte. "Statt direkt über Kapitalmärkte Geld in Umlauf zu bringen, könnte die EZB Kredite an Förderbanken geben, die damit gezielt Investitionen finanzieren, die auch politisch sinnvoll sind. Zum Beispiel Investitionen in die ökologische Wende." Geldpolitik allein reiche nicht, es brauche auch fiskalische Maßnahmen. Wachsende Ungleichheit könne man auch etwa mit einer Erhöhung der Kapitalertragssteuer bekämpfen.

Politische Frage

Auch Baumgartner warnt davor, Geldpolitik bloß an ihren Verteilungseffekten zu messen, es sei nicht Aufgabe von Zentralbanken, Verteilungspolitik zu machen. "Welche Verteilung wir als Gesellschaft als gerecht empfinden, ist eine politische Frage. Umverteilungspolitik sollte im demokratischen Prozess von gewählten Parlamenten bestimmt werden und dann mit den Mitteln der Fiskal- und Steuerpolitik umgesetzt werden." (Aloysius Widmann, 26.5.2021)