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Bei Roman Protassewitsch sind nach dem Verhör blaue Flecken zu sehen.

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Sofia Sapega wurde nach ihm vom Geheimdienst KGB befragt.

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Minsk – Nick und Mike haben wieder Hochkonjunktur. Zur Erinnerung: Im vergangenen Sommer, auf dem Höhepunkt der Proteste gegen die gefälschten Präsidentenwahlen in Belarus, präsentierte Lukaschenko im Gespräch mit dem russischen Premier Michail Mischustin den Mitschnitt eines angeblichen Telefongesprächs zwischen Agenten aus Berlin ("Nick") und Warschau ("Mike"), die darüber plauderten, wie sie die Vergiftung Alexej Nawalnys vorgetäuscht hätten, um Russland davon abzuhalten, sich in Belarus (Weißrussland) zu engagieren.

Auch nun ist laut Lukaschenko die Verfolgung Oppositioneller im Osten das Werk der Geheimdienste des Westens. Auch nun zielen sie auf Belarus, um Russland zu treffen. Diesmal durch eine fingierte Bombendrohung. "Ob Hamas oder nicht, das ist heute unwichtig", erklärte der 66-jährige Dauerstaatschef, nachdem sich die Hamas von der angeblichen Bombendrohung distanziert hatte. Fakt sei, "die Meldung über die Verminung des Flugzeugs kam aus der Schweiz" und "im Flieger befand sich ein weit über die Grenzen bekannter Terrorist".

Schutz der Passagiere

Dabei sei die Nachricht gleichzeitig an die Flughäfen in Athen, Minsk und Vilnius gegangen, doch nur Belarus habe dem Piloten die Information weitergeleitet. Dieser habe dann entschieden, in Minsk zu landen, so Lukaschenko, der vehement dementierte, dass der von ihm entsandte Kampfjet aufgestiegen sei, um das Passagierflugzeug zur Landung zu nötigen. Es sei einzig um den Schutz der Passagiere und den des Atomkraftwerks in der Region gegangen, so der Autokrat.

Er habe damit absolut legal gehandelt, betonte Lukaschenko. Da die Vorwürfe des Westens aber laut wurden, "kaum dass das Flugzeug gelandet war", sei klar, wer hinter der "Provokation" stehe. "Die ganze Eskalation von Seiten des Westens geschieht aus Neid, ihrer Hilflosigkeit und Wut darüber, dass es ihnen nicht gelungen ist, einen bewaffneten Putsch und einen Staatsstreich in Belarus zu verüben", sagte er.

Medienbericht zweifelt an Lukaschenkos Version

"Der Spiegel" stellt Lukaschenkos Version aber in Zweifel. Die Mail mit der angeblichen Bombendrohung habe demnach um 12:57 Uhr den Minsker Flughafen erreicht. Belarus hatte das Flugzeug aber bereits um 12:30 über diese angebliche Bombendrohung informiert. Der Flughafen in Athen bestreite zudem, eine Nachricht über eine Bombendrohung an Bord erhalten zu haben.

Das vermeintliche Drohmail, in das der "Spiegel" Einsicht nehmen konnte, forderte das Ende der Kampfhandlungen im Nahen Osten – zu einem Zeitpunkt, als zwischen Israel und der radikalislamischen Hamas bereits Waffenruhe herrschte: "Wir, die Soldaten der Hamas, fordern, dass Israel das Feuer im Gazastreifen einstelle. Wir fordern, dass die Europäische Union ihre Unterstützung für Israel in diesem Krieg einstelle." Sollte sie dem nicht nachkommen, werde die Bombe am 23. Mai über Vilnius explodieren – "Allahu Akbar".

EU-Mitgliedsstaaten beraten

Lukaschenko drohte indes der EU mit Sanktionen, ohne diese näher zu erläutern. Regierungschef Roman Golowtschenko erwähnte Beschränkungen beim Transit. Die EU will Diplomaten zufolge wiederum mit ihren geplanten neuen Sanktionen unter anderem die für die Devisenbeschaffung von Belarus wichtige Kali-Industrie treffen – dazu beraten sich die Mitgliedsstaaten aktuell.

Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) sprach davon, dass man "die Menschen" nicht treffen wolle – und sprach damit offenbar die Zivilbevölkerung an. Die EU müsse eine klare Linie zeigen, ohne Belarus in die Hände von Moskau zu treiben.

Lukaschenko versprach indes weitere Informationen über die Causa Flugzeuglandung in Kürze. Unter anderem durch die Geständnisse der nach der Landung festgenommenen Roman Protassewitsch und Sofia Sapega.

KGB-Verhör auf Hochtouren

Den oppositionellen Blogger Protassewitsch hatte der Geheimdienst KGB bereits am ersten Tag präsentiert. In einem kurzen Video las der 26-Jährige eine Erklärung ab, dass er gesund sei, gut behandelt werde und dabei sei, ein Geständnis abzulegen, Massenunruhen organisiert zu haben. Seine Eltern vermuteten, dass ihr Sohn gefoltert wurde. Dabei verwiesen sie auf Gewaltspuren im Gesicht und am Hals, die durch Puder verdeckt worden seien.

Auch Protassewitschs Freundin Sofia Sapega droht Ungemach. Der KGB führte die Russin der Öffentlichkeit am Dienstagabend vor. Die 23-jährige Studentin gab dabei vor der Kamera zu, Redakteurin des Telegram-Kanals "Schwarzbuch Belarus" zu sein, der wie Protassewitschs "Nexta" von den Behörden als extremistisch eingestuft wird.

Im Schwarzbuch werden die Personendaten von Beamten und Silowiki veröffentlicht, die sich an der Verfolgung von Opposition und Demonstranten aktiv beteiligt haben. Sapega droht damit eine Haftstrafe von bis zu zwölf Jahren.

Auf großartige Unterstützung aus Russland kann sie nicht hoffen. Bislang hat Moskau lediglich konsularischen Zugang zu Sapega erbeten, zugleich aber mitgeteilt, dass der Russin eine Straftat vorgeworfen wird. Wladimir Putin hat erst jüngst angeordnet, Daten von Beamten zum Staatsgeheimnis zu erklären. Unterdessen zeigt Reporter ohne Grenzen in Litauen Lukaschenko wegen "Entführung eines Flugzeugs mit krimineller Absicht" an. Am Mittwoch kündigte Oppositionsführerin Tichanowskaja eine neue Phase der Anti-Regierungs-Proteste an. "Es gibt nichts mehr abzuwarten. Wir müssen den Terror ein für allemal stoppen", erklärte sie. Lukaschenko sagte, er rechne nicht mit einer Wiederholung der Massenproteste von 2020. (André Ballin, 26.5.2021)