Die Israel-Flagge auf dem Bundeskanzleramt hat ein diplomatisches Nachspiel.

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Wien – Das Hissen der israelischen Flagge auf den Dächern des Bundeskanzleramts und des Außenministeriums hat ein diplomatisches Nachspiel. In einem Brief an Außenminister Alexander Schallenberg (ÖVP) beklagt sich eine Gruppe arabischer Botschafter in Wien laut der Tageszeitung "Presse" mit "tiefer Betroffenheit" über die Haltung der türkis-grünen Bundesregierung im jüngst eskalierten Nahostkonflikt. Schallenberg zeigte sich für einen Dialog offen, bezog zugleich aber klar Position.

Schallenberg sagte beim informellen EU-Außenministerrat am Donnerstag in Lissabon, er suche einen aktiven Dialog und habe den arabischen Botschaftern schon vor deren Brief angeboten, sich zusammenzusetzen. "Was mich nur etwas trifft in der Sache, ist, dass in dem ganzen Brief kein Wort darüber vorkommt, dass die Organisation, die diese Eskalation hervorgerufen hat, eine Terrororganisation ist", sagte Schallenberg in Hinblick auf die Hamas.

Kein Wort werde in dem Brief auch darüber verloren, dass über 4.000 Raketen wahllos auf zivile urbane Gebiete in Israel geschossen worden seien. "Da hätte ich mir schon von der arabischen Welt oder den arabischen Botschaftern in Wien eine klarere Distanzierung erwartet" – wie auch von Palästinenserpräsident Mahmoud Abbas und seiner gemäßigteren Fatah-Partei, so Schallenberg.

Vorwurf der Neutralitätsverletzung

In dem Schreiben der Diplomaten, das der "Presse" vorlag, hieß es: "Die demonstrative Unterstützung für eine Besatzungsmacht, die internationales und humanitäres Recht verletzt, widerspricht nicht nur Österreichs traditioneller Neutralität, sie negiert auch grundlegende Bürger- und Menschenrechte der palästinensischen Bevölkerung". Unterzeichnet ist der "Brandbrief" von Mohamed Samir Koubaa, dem Chef der Mission der Arabischen Liga in Wien, und von Tunesiens Botschafter, Mohamed Mezghani, der turnusmäßig dem Rat der arabischen Repräsentanten in Wien vorsitzt.

Sie hätten sich im Namen aller 17 in Wien akkreditierten Botschafter arabischer Staaten an Schallenberg gewendet, so die "Presse". Die Diplomaten würden Wien "in ungewöhnlich scharfem Ton" vorwerfen, zu Israels "unsagbarer Gewalt" gegen "unschuldige Palästinenser", zum Tod von 58 Kindern und 34 Frauen zu "schweigen". Das sei mit Österreichs Haltung in humanitären Fragen nicht vereinbar.

Auf die Raketen aus Gaza und die zwölf Todesopfer in Israel gehen die Botschafter der "Presse" zufolge jedoch nicht ein. Die Diplomaten weisen ausschließlich den Israelis die Verantwortung zu: Die Spannungen seien eine direkte Folge dessen, dass Israel den Palästinensern das Recht auf Selbstbestimmung verweigere und gegen Völkerrecht verstoße.

Schallenberg: Keine Neutralität bei Terror

Am Ende ihrer Ausführungen fordern die Botschafter Österreich "im Geist der historischen Freundschaft" mit den arabischen Staaten auf, zu Neutralität und Objektivität zurückzukehren. Datiert ist ihre Post auf den 21. Mai, als der Gaza-Krieg nach elf Tagen vorbei war und eine Waffenruhe einkehrte.

Eine Sprecherin Schallenbergs hatte der "Presse" den Eingang des Briefes bestätigt und teilte folgende Reaktion des Außenministers mit: "Jedem, der uns vorwirft, einseitig Position zu beziehen, können wir in aller Deutlichkeit sagen: Im Angesicht des Terrors kann es keine Neutralität geben." Österreich stehe weiter zu der Zweistaatenlösung auf Basis des Völkerrechts, werde aber nicht zum Raketenterror der Hamas schweigen. Gegenüber der APA stellte die Sprecherin zudem fest: "Es wird in Bälde zu einem persönlichen Treffen zwischen dieser Gruppe an Botschaftern und dem Minister kommen."

UN-Kommissarin warnt Israel

Die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, wiederum warnte Israel am Donnerstag: Sollte sich herausstellen, dass Israels Luftangriffe im Gazastreifen "wahllos und unverhältnismäßig" erfolgt seien, könnte es sich um Kriegsverbrechen gehandelt haben. Bachelet warf israelischen Sicherheitskräften unverhältnismäßige Gewalt vor, um Demonstrationen gegen drohende Zwangsräumungen von palästinensischen Familien in Ostjerusalem zu beenden. Auch die Hamas habe mit dem wahllosen Abfeuern von Raketen humanitäres Völkerrecht verletzt, sagte sie. Es sei auch illegal, militärisches Material in dicht besiedelten Gebieten zu stationieren. Israel behaupte, die anschließenden Luftschläge im Gazastreifen hätten Gebäuden gegolten, die militärisch genutzt wurden. "Wir haben dafür keine Beweise gesehen", sagte Bachelet.

Das Cover der israelischen Zeitung "Haaretz" am Donnerstag.

Bachelet rief Israel und Palästinenser auf, die Aggressionen auf Dauer einzustellen. Das UN-Menschenrechtsbüro habe den Tod von 242 Palästinensern im Gazastreifen geprüft und bestätigt, dass sie durch israelische Angriffe ums Leben kamen. Darunter seien 63 Minderjährige gewesen, so Bachelet. Die israelische Zeitung "Haaretz" wiederum veröffentlichte am Donnerstag auf ihrer Titelseite unter dem Titel "Das ist der Preis des Krieges" Fotos von 67 palästinensischen Kindern, die getötet worden sein sollen. Das Gesundheitsministerium in Gaza spricht von insgesamt 257 Toten. Im besetzten Westjordanland seien bis zum 24. Mai 28 Palästinenser getötet worden, darunter fünf Minderjährige, so Bachelet. Raketen der im Gazastreifen tonangebenden Hamas hätten in Israel acht Erwachsene und zwei Minderjährige getötet. (APA, red, 27.5.2021)