Ein Panzer der Tigray-Miliz TPLF – die ethnische Miliz, die einst ganz Äthiopien regierte, ist formell entmachtet, kämpft aber weiter gegen die Regierungstruppen.

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Addis Abeba – Die Uno hat sich alarmiert über Massenfestnahmen in mehreren Flüchtlingslagern in der äthiopischen Krisenregion Tigray gezeigt. Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR sei "tief beunruhigt", sagte die Sprecherin Elisabeth Haslund am Mittwoch. Tausende Vertriebene hätten nach den Vorfällen erneut die Flucht ergriffen. US-Präsident Joe Biden fordert einen Waffenstillstand in der Region.

Soldaten aus Äthiopien und dem Nachbarland Eritrea hatten nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International am Montagabend in mehreren Lagern in der Stadt Shire hunderte Zivilisten festgenommen. Die Flüchtlinge wurden demnach geschlagen und auf Lastern weggefahren. Vorher wurden ihnen ihre Handys abgenommen. Die UNHCR-Sprecherin sagte, die Situation sei nicht nur für die Angehörigen der Vermissten "traumatisch", sondern für alle Flüchtlinge in Shire. Tausende Menschen hätten inzwischen die informellen Lager in der Stadt verlassen, "weil sie sich nicht mehr sicher fühlen".

Biden fordert Sicherheit

Angesichts der "eskalierenden Gewalt" hat US-Präsident Biden einen Waffenstillstand gefordert. "Politische Wunden können nicht mit der Kraft von Waffen geheilt werden", erklärte Biden am Mittwochabend (Ortszeit). Die Menschenrechtsverletzungen in Tigray, darunter auch weitverbreitete sexuelle Gewalt, "sind inakzeptabel und müssen aufhören", forderte Biden. Familien jeglicher Herkunft und Volksgruppe hätten ein Recht darauf, dort in Frieden und Sicherheit zu leben.

Die Truppen Eritreas und die Kräfte der Volksgruppe der Amharen – die beide aufseiten der äthiopischen Armee kämpfen – müssten abziehen und den Zugang für humanitäre Hilfe gewähren, um eine Hungersnot in der Region zu verhindern, forderte Biden. Der Sondergesandte der US-Regierung für das Horn von Afrika, Jeff Feltman, werde kommende Woche erneut in die Region reisen, um eine friedliche Beilegung der Konflikte zu erreichen, erklärte Biden.

Festgenommene sollen "überprüft" werden

Ein Behördenvertreter aus dem Verwaltungsbezirk um Shire hatte am Dienstag der Nachrichtenagentur AFP gesagt, der Grund für die Festnahmen seien Berichte über eine Infiltration der Flüchtlingslager durch Regierungsgegner gewesen. Die Festgenommenen würden nun überprüft, neun Zivilisten seien am Dienstag wieder freigelassen worden. Am Mittwoch äußerte er sich auf AFP-Anfrage allerdings nicht erneut dazu, ob dies auch passiert sei.

Äthiopische Regierungstruppen begannen im November eine Offensive gegen die Volksbefreiungsfront TPLF, nachdem diese ein Armeelager der Regierung überfallen hatte. Der Streit selbst reicht freilich viel weiter zurück: Die TPLF, einst eine erfolgreiche Rebellenarmee, hatte die äthiopische Regierung seit Beginn der 1990er-Jahre weitgehend kontrolliert. Dies gelang ihr, obwohl das Volk der Tigray nur rund sechs Prozent der äthiopischen Bevölkerung ausmacht. Erst die Ernennung Abiy Ahmeds zum Premier bereitete dieser Dominanz 2018 ein Ende. Der Sohn eines muslimischen Oromo und einer christlichen Amharin entstammt den beiden größten Volksgruppen des Landes (je rund 30 Prozent). Zudem schloss Abiy Frieden mit dem benachbarten Eritrea, mit dem die TPLF nach einem blutigen Grenzkrieg 1998 bis 2000 in tiefer Feindschaft liegt. Dafür erhielt er 2019 den Friedensnobelpreis.

Truppen ziehen nicht ab

Seit Beginn des aktuellen Krieges sind die geschätzt sechs Millionen Einwohner der Region großteils vom Rest der Welt abgeschnitten. Im Zuge des Konflikts waren auch Soldaten aus dem Nachbarland Eritrea einmarschiert, denen – wie auch den äthiopischen Truppen selbst und der TPLF – Massaker an der Zivilbevölkerung und sexuelle Gewalt gegen Frauen vorgeworfen werden. Abiy hatte mehrfach deren Rückzug verkündet, sie befinden sich allerdings weiterhin in Tigray.

Auch mehr als sechs Monate nach dem Einmarsch der äthiopischen Truppen gehen die Kämpfe weiter. Experten warnen vor einer drohenden humanitären Katastrophe und einer Hungersnot – weitere betonen, diese sei von den Kriegsparteien womöglich sogar gewollt. So werden unter anderem von Soldaten Felder abgebrannt. Nach Darstellung Abiys ist die Region jedoch zur Normalität zurückgekehrt. Seinen Angaben zufolge werden Lebensmittel und andere Hilfsgüter an die Bevölkerung geliefert. (APA, 27.5.2021)