Die Digitalisierung der Schulen bringt Nutzen und Nachteile, sagt Bildungsexperte Fares Kayali.

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Wien – Der Achtpunkteplan für Digitalisierung des Bildungsministeriums hat für Fares Kayali, Professor für Digitalisierung im Bildungsbereich an der Uni Wien, durchaus das Potenzial, den Unterricht in Österreichs Klassenzimmern besser zu machen. Dafür müssten die Schulen allerdings auch ausreichend Unterstützung beim Einsatz der neuen Technologie bekommen. Außerdem warnt er davor, dass durch die Digitalisierung sozial benachteiligte Schüler weiter abgehängt werden könnten.

Diesen Effekt habe man schon während des Corona-bedingten Fernunterrichts gesehen. "Hier haben wir eine ganze Menge an Schülerinnen und Schülern auf der Strecke bleiben lassen", beklagt Kayali im Gespräch mit der Nachrichtenagentur APA. Überhaupt werde im österreichischen Bildungssystem derzeit generell nicht ausreichend auf einen sensiblen Umgang mit Diversität geachtet, sagt er mit Blick auf Maßnahmen wie die separaten Deutschförderklassen. Gleichzeitig werde anstelle des emotionalen Wohls der Kinder und Jugendlichen Leistung immer stärker ins Zentrum gestellt.

Im Herbst sollen nun alle Schüler der 5. und 6. Schulstufe mit günstigen Laptops oder Tablets ausgestattet werden. Wenn die Kinder aber – wie zuletzt beim Fernunterricht – zur Nutzung die Unterstützung der Eltern brauchen, könnte das die Bildungsunterschiede zwischen Schülern, deren Eltern ihnen beim Lernen helfen oder Hilfe zukaufen können, und jenen, deren Eltern das nicht können, noch weiter vergrößern. "Hier kann die Technologie spaltend wirken."

Computer kann Lernstoff erlebbar machen

Allerdings bietet sie für Kayali auch viele Möglichkeiten, Vielfalt zu fördern. "Es ist positives und negatives Potenzial da." So könnten digitale Tools nicht nur genutzt werden, um etwa im Mathe-Unterricht Kurven zu visualisieren, sondern auch um Schülern ein selbstbestimmteres Lernen zu ermöglichen: Über Lernplattformen können sie individuell Themen erarbeiten, daheim können Apps das Vokabeltraining erleichtern. Gerade beim spielerischen Lernen gebe es viele Möglichkeiten, den analogen Unterricht im Klassenzimmer zu ergänzen: So könne beim Thema Klimawandel in den verschiedenen Fächern das Grundwissen vermittelt und dann in einer Computersimulation erlebbar gemacht werden, wie sich verschiedene Faktoren (Flugverkehr, Fleischkonsum et cetera) auf den Verlauf auswirken.

Die Umstellung auf Fernunterricht habe dem heimischen Bildungssystem den Spiegel vorgehalten, wie sehr man hier in der Lehre hinterhergehinkt sei, sagt Kayali. "Frontalunterricht ist sowieso kein zeitgemäßer Unterricht. Im Distance-Learning wird er dann noch mehr ad absurdum geführt." Er hofft, dass diese Erfahrungen ein Anstoß dafür sein können, generell die Art des Lehrens und Lernens zu überdenken.

Druck aus dem System

Gleichzeitig gebe es auch die reale Gefahr, dass Schüler und Lehrer im Herbst mit den neuen Geräten dasitzen und nicht wissen, was sie damit machen sollen. "Es ist nicht damit getan, Geräte anzuschaffen und zu glauben, dass davon alles besser wird", betont Kayali. Entscheidend sei eine gute Begleitung in der Lehrerfortbildung und ausreichend Unterstützung vor Ort. "Man darf hier nicht alles den Schulen umhängen."

Grundsätzlich plädiert Kayali dafür, angesichts der aktuellen Situation Druck aus dem System zu nehmen. Die Schüler seien in der Pandemie sehr gefordert gewesen und hätten, obwohl Kinder und Jugendliche selbst durch das Virus nur sehr selten schwer erkranken, zum Schutz der älteren Generationen viel Last tragen müssen. "Sie verdienen dafür viel Wertschätzung, und ab Herbst brauchen sie nun besonders viel Unterstützung, ganz besonders in ihrer sozialen und emotionalen Entwicklung." (APA, 27.5.2021)