Über viele Monate verschwand die Dokumentationsstelle Politischer Islam völlig aus dem Diskurs. Im Hintergrund baute das Prestigeprojekt von Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) Strukturen auf und suchte unter anderem nach Personal. Aber man arbeitete auch an Grundlagenpapieren, die an das vorerst letzte von Ende Dezember anschließen sollen. Damals widmete man sich nach der Razzia gegen angebliche Muslimbrüder in Österreich ebenjener islamistischen Gruppierung und definierte für sich den Begriff des politischen Islams. Nun veröffentlichte die Forschungsstätte Grundlagenpapiere, in denen der Fokus auf den drei relevanten muslimischen Dachverbänden in Österreich liegt.

Es sei nicht die Aufgabe der Dokumentationsstelle, Angaben darüber zu machen, wie viele Moscheevereine tatsächlich als radikal einzustufen sind, sagt der Leiter des wissenschaftlichen Beirats, Mouhanad Khorchide.
Foto: APA/ Georg Hochmuth

Allen voran steht hier die Atib. Sie ist die größte Gruppe in Österreich und gilt als Vertreterin der Partei AKP des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Ein weiteres Dossier widmet sich der Islamischen Föderation, einem Ableger der islamistischen Millî-Görüş-Bewegung, die laut den Vertretern der Dokumentationsstelle eine Nähe zur Muslimbruderschaft aufweise. Es ist jener Verband, der den aktuellen Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Ümit Vural, stellt. Den Abschluss bilden die rechtsextremen türkischen Grauen Wölfe, die hierzulande als Türkische Föderation bekannt sind.

Im Wesentlichen liefert die Dokumentationsstelle damit keine neuen Erkenntnisse. Das sei auch nicht der Anspruch gewesen, heißt es. Vorläufig gehe es um eine Lagebilderfassung. In den Papieren werden neben der Herkunft und Ideologie der Verbände auch die Strukturen und Netzwerke sowie Verbindungen ins Ausland analysiert.

Der Leiter des wissenschaftlichen Beirats, Mouhanad Khorchide, sieht in den Grundlagenpapieren auch keine Abrechnung, sondern vielmehr eine Einladung zum gemeinsamem Diskurs über einen europäischen Islam. Man kann aber nicht sagen, wie viele Vereine der unterschiedlichen Verbände tatsächlich gefährlich sind. "Das ist nicht die Aufgabe der Dokumentationsstelle, solche Angaben zu machen", sagt Khorchide. "Wir differenzieren nach Positionen." Soll heißen, den Wandel und die unterschiedlichen Schwingungen innerhalb der Gruppierungen zu begleiten und etwaige Probleme konkret zu benennen.

Aus der Isolation in die Mitte der Gesellschaft

An anderer Stelle sollen dann aber doch die "Schwächen" aufgezeigt werden. Dafür wird ein altes Projekt von Ednan Aslan revitalisiert. Der Professor für Religionspädagogik hat vor etlichen Jahren an der Universität Wien eine digitale "Islam-Landkarte" erstellt – die einst nicht bei allen Organisationen auf Wohlwollen stieß. Diese soll eine Übersicht über islamische Moscheevereine und ihre geografische Lage geben. Mehr als 600 Organisationen seien dort inzwischen eingetragen, erklärt Aslan. Manche mehr, manche weniger vollständig. Gemeinsam mit der Dokumentationsstelle soll die Karte nun laufend aktualisiert und befüllt werden. Konkret möchte man darüber neben Kurzbeschreibungen samt Adresse der jeweiligen Organisation auch ihre ideologische und theologische Ausrichtung transparent machen. Aber nicht nur das. Es soll auch ersichtlich werden, welche Moscheevereine einen guten Integrationsbeitrag leisten. Laut Aslan gehe es darum, die muslimischen Organisationen aus "einer Isolation" zu befreien, sie in die Mitte der Gesellschaft zu bringen – auch zur Selbstreflektion.

Ministerin Raab betonte, dass eine solche Landkarte jedenfalls keinen Generalverdacht gegen alle Musliminnen und Muslime bedeuten solle. Man wolle aber klar trennen zwischen dem Islam als Religion und dem politischen Islam als "gefährliche Ideologie, die spaltend und integrationsfeindlich wirkt". Aslan fügte an, sich mit den Verbänden über die Islam-Landkarte ausgetauscht und mit ihnen über die dort veröffentlichten Texte gesprochen zu haben.

"Gegenteil von Integrationspolitik"

Begrüßt wurde die "Islam-Landkarte" von ÖVP und FPÖ. Mehr als verstimmt reagierte der Juniorpartner der Bundesregierung. Die Grünen beklagen, darüber nicht informiert worden zu sein, dass nun auch die Dokustelle an jener digitalen Übersicht mitarbeiten wird. "Dieses Projekt ist das Gegenteil davon, wie Integrationspolitik und Dialog auf Augenhöhe aussehen sollten", sagt die grüne Integrationssprecherin Faika El-Nagashi in einer Aussendung. " Muslimische Einrichtungen werden vorweg mit islamistischen vermischt, medial wird von hunderten Organisationen auf einer staatlichen ,Watchlist' gesprochen. Die Stigmatisierung der muslimischen Communities durch diese Liste ist massiv und aus unserer Sicht nicht dazu geeignet, zu einem besseren Zusammenleben beizutragen." Die Grünen wollen nun zu einem eigenen runden Tisch mit den Communities und Expertinnen und Experten laden. "Wir werden unsere Bedenken auch direkt mit der Dokumentationsstelle besprechen", erklärt Georg Bürstmayr, Sicherheitssprecher der Grünen.

Kritik kam auch von der Muslimischen Jugend (MJÖ). Ein gefährliches Beispiel für den Generalverdacht gegen Muslime ortete ihr Vorsitzender, Adis Šerifović. Die sogenannte "Islam-Landkarte" stelle einen weiteren, gefährlichen Tiefpunkt dar. Unter dem Deckmantel von Transparenz und Dialogbereitschaft werden islamische Organisationen und Einrichtungen einem massiven Sicherheitsrisiko ausgesetzt, so die Argumentation. Zudem kritisierte Šerifović die Arbeit der Dokumentationsstelle als "sehr intransparent". (Jan Michael Marchart, APA, 27.5.2021)