Die israelischen Opfer werden in ihre Heimat überstellt.

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Rom/Stresa/Wien – Die Ermittlungen rund um das Seilbahnunglück am Lago Maggiore am vergangenen Sonntag mit 14 Toten zieht weitere Kreise. Nachdem am Mittwoch der Eigentümer der Seilbahngesellschaft, der Direktor und der Cheftechniker festgenommen wurden, werden die Ermittlungen auf weitere Mitarbeiter ausgedehnt. Laut den Ermittlern hatte die Seilbahn bereits seit eineinhalb Monaten technische Probleme, über die viele Mitarbeiter der Gesellschaft informiert gewesen sein sollen.

Der festgenommene Direktor der Seilbahn-Betreibergesellschaft Ferrovie del Mottarone bestreitet die Vorwürfe der Staatsanwälte. Er dementierte, über die absichtliche Abschaltung eines Sicherheitssystems, die das Unglück mit 14 Todesopfern verursacht haben soll, informiert gewesen zu sein. Der Direktor sei "ein äußerst gewissenhafter Ingenieur", betonte sein Anwalt.

Staatsanwaltschaft fordert harte Strafen

Der 51-jährige Ingenieur habe die verschiedenen Eingriffe der vergangenen Monate rekonstruiert und könne sich den Seilriss nicht erklären, auch weil alle Prüfberichte immer positiv ausgefallen seien, berichtete der Anwalt laut Medienangaben. Das Abschalten der Notbremse sei bei besonderen Eingriffen vorgesehen, aber natürlich nie bei einem Personenbetrieb.

Der Seilbahn-Einsatzleiter, der in der Nacht auf Mittwoch zusammen mit dem Direktor und dem Eigentümer der Seilbahnanlage festgenommen worden war, hat gestanden, dass die Notbremse absichtlich ausgeschaltet worden sei. "Es gab eine Störung an der Seilbahn, das Beförderungsteam hat das Problem nicht oder nur teilweise gelöst. Um die Verbindung nicht zu unterbrechen, entschieden sie sich, die 'Gabel', die verhindert, dass die Notbremse in Kraft tritt, an Ort und Stelle zu lassen", berichteten Ermittler.

Die ermittelnde Staatsanwältin sagte, es habe sich um eine "absolut absichtliche" Entscheidung gehandelt, um den Betrieb der Seilbahn aufrechtzuerhalten. Die Gabel zum Außerkraftsetzen der Notbremse sei am Sonntag sicherlich nicht zum ersten Mal eingesetzt worden. Die Seilbahn hatte demnach schon seit eineinhalb Monaten Probleme. Die Staatsanwaltschaft sprach von "unbedachtem Verhalten" der Angeklagten, das mit schweren Strafen geahndet werden müsse. Bossi erklärte, die drei Verdächtigten seien wegen konkreter Fluchtgefahr festgenommen worden.

Fünfjähriger Bub auf dem Weg der Besserung

Der italienische Verkehrsminister Enrico Giovannini betonte bei einer parlamentarischen Fragestunde in Rom, es gebe "schwerwiegende Beweise" für die Verantwortung des Seilbahn-Einsatzleiters, der mit Zustimmung des Direktors und des Eigentümers der Anlage das Sicherheitssystem ausgeschaltet habe, obwohl ihm die potenzielle Gefahr bewusst gewesen sei. "Dieser tragische Unfall bedeutet eine tiefe Wunde für Italien", sagte Giovannini, der den Familienangehörigen der Opfer kondolierte. Er lobte den Einsatz der Rettungsmannschaften, die exzellente Arbeit in einem schwierigen Bergumfeld geleistet hätten.

Inzwischen hat sich der Zustand des einzigen Überlebenden gebessert, eines israelischen Fünfjährigen, der mit mehreren Frakturen in einem Krankenhaus in Turin liegt. Der Bub, der bei dem Unglück seine Eltern, seinen zweijährigen Bruder und zwei Urgroßeltern verlor, komme schrittweise zu sich und sei nicht mehr intubiert, teilte Klinikchef Giovanni La Valle mit. Die Leichen der verstorbenen Angehörigen des Buben wurden am Mittwoch zum Mailänder Flughafen gebracht, um nach Israel überführt zu werden. Dort wurden am Donnerstag die Eltern des Buben beigesetzt.

Seilbahnwirtschaft: "In Österreich nicht vorstellbar"

In Österreich sei "ein Zugseilriss ohne äußere Einwirkungen theoretisch nicht vorstellbar", sagte Christian Felder, Vorsitzender des Technikerkomitees beim Fachverband Seilbahnen, heute am Rande eines Pressegesprächs in Salzburg. Er erklärt dies mit hohen Sicherheitsstandards. Dazu zähle nicht nur eines der strengsten Seilbahngesetze weltweit, sondern auch regelmäßige Kontrollen. Vorschriftsmäßig sei demnach jede Anlage jährlich einer umfangreichen Hauptrevision zu unterziehen. Zusätzlich würden die Zugseile monatlich visuell auf Drahtbrüche kontrolliert sowie mittels eines magnetinduktiven Prüfverfahrens inspiziert. "Auch wenn es zu menschlichen Situationen kommen kann: Wenn ich mir ansehe, was wir in Österreich lehren und vorgeben, kann ich ein solches Unglück grundsätzlich ausschließen", betonte Felder. (APA, red, 27.5.2021)