Lobbyisten unter sich: Der General (Martin Schwab, Mitte) mit Generalin (Maria Happel) und Ministern (Robert Reinagl, Arthur Klemt, re.) im Jagdhaus.

Susanne Hassler-Smith

Figuren in den Theaterstücken Thomas Bernhards sind immer Ungetüme. Aber solche Monster, wie sie Regisseurin Lucia Bihler am Akademietheater entworfen hat, sieht man wahrlich selten. Blutroter Knautschlack, wohin man blickt. Im Salon des in Blut getauchten Puppenhauses thront die Generalin (Maria Happel) neben dem Schriftsteller (Markus Scheumann). Er leistet ihr parlierend und darüber hinaus Gesellschaft, während der General zur Jagd ist.

Burgtheater Wien

Wo sind wir hier gelandet? Mindestens bei den Massakern der Gebrüder Grimm. Bihler, bekannt für ausstattungsstarke Inszenierungen, wendet in einem visuell extremen Zuschnitt die Fatalität der im Stück vorherrschenden Situation nach außen: Der Wald stirbt und mit ihm sein Besitzer. Die Borkenkäfer sind über 6000 Hektar hergefallen, und dennoch ist Jagdgesellschaft kein Klimastück. Bernhard verzeichnet in diesem frühen Drama den marodierten Zustand einer zwischen Jagdlobby und Politik verbrüderten Macht, die allerdings längst unterhöhlt ist. Der General (Martin Schwab) ist todkrank. Dass die Borkenkäfer knabbern, darf er nicht wissen. Mit zwei Ministern (Arthur Klemt, Robert Reinagl) ist er lobbyierend zur Jagd.

In dieser Jagdgesellschaft, uraufgeführt am Burgtheater 1974 mit Joachim Bissmeier und Judith Holzmeister, gruselt es wie in den Arbeiten von Ersan Mondtag, einem Neuerfinder theatraler Horrorlandschaften. Türen knarzen bedeutungsschwer, in den Gängen spukt es. Verfällt die Generalin auf ihrem Stuhl ins Wippen, so beginnt im Nebenzimmer wie von Geisterhand ein Schaukelpferd zu schaukeln. Lebendige Tiere gibt es ebenso: Mit zwei weißen Kaninchen zitiert Bihler Alice im Wunderland-Magie, doch sind sie in ihren blutroten Käfigen noch viel mehr: Die immerzu todgeweihten Tiere von der Hasenjagd, die die Köchin (Dunja Sowinetz) in der possierlichen Fleischküche im ersten Stock bedächtig durch den Wolf dreht.

Ungesunder Winkel

An diesem Blutrausch kann man sich zunächst kaum sattsehen. Es glänzen und blitzen die Lackkanten bei jeder Bewegung. Die Figuren sind auf Puppenhaftigkeit gebürstet und agieren körperlich abstrakt. Wenn die Generalin den Schriftsteller beispielsweise bittet, sich doch zu setzen, so stürzt sich dieser, der bis dahin im ungesunden Winkel am Konzertflügel lehnte, kopfüber über die Sofalehne und kommt mit seiner Dichterhalskrause und seinen Dichterpumphosen wie aufgebahrt auf dem Möbel zu liegen. Das Publikum mag das.

Die liebevollste Gruselaufwertung erfährt der Holzknecht Asamer (Jan Bülow). Er schiebt seine hohe und hagere Gestalt gebückt durch die knarzende Tür. Und mit einem Scheit Holz, das er in seinen horrorhaften Scherenhänden hält, trippelt er über den akustikverstärkten Boden zum Kamin. Sein meterlanges schwarzes Haar zieht erhaben mit ihm. Asamer streift nicht selten mit der Stielaxt in der Hand stumm durch die Stuben und legt sich, von der Generalin wieder einmal gescholten, zwischendurch auch mal zur Entspannung in die Badewanne. Er ist zweifelsohne die geheimnisvollste und am prächtigsten anzuschauende Erscheinung des Abends. Und Holz hacken kann er auch.

Frisch gewetzt

Auch Gewehre und frisch gewetzte Messer hängen an den Wänden, Zwillingskinder (Wiener Sängerknaben) richten im Spielezimmer die Stutzen gegeneinander. Lucia Bihler und Bühnenbildnerin Pia Maria Mackert haben den Schauplatz Jagdhaus sichtlich ausgekostet. Sobald man die Betriebsamkeit dieses Gruselmärchens aber einmal erkundet hat, fällt es dem Abend schwer, sich weiter zu behaupten. Schon im mittleren Akt verliert die Inszenierung entschieden an Höhe, vor allem weil der Text, auf dessen Irrsinn von Anfang an nicht besonders viel Wert gelegt wird, unter die Räder kommt. Markus Scheumanns süffisanter, aber tonloser Stimme fehlt es an Dringlichkeit.

Martin Schwabs General reißt mit einer kraftvollen Suada später noch einmal die Zügel an sich. Es ist indes nicht zu verhindern, dass der Abend – um im Bild zu bleiben – matt ausblutet. Wie ein leergelaufenes Getriebe. Der Schlusschor konnte das nicht mehr auffangen. Dennoch heftiger und lang anhaltender Applaus. (Margarete Affenzeller, 28.5.2021)