Aus Utzbach wird Fotzbach: Im zweiten Durchgang durch den "Theatermacher" gibt Uwe Rohbeck (hinten) den titelgebenden Protagonisten.

Foto: Ostermann/Volkstheater

Es war am 1. September 1986, als Claus Peymann seine Burgtheater-Intendanz mit der Wiener Premiere von Thomas Bernhards Theatermacher beging. "Was hier, in dieser muffigen Atmosphäre?", lauteten die ersten Worte von Hauptdarsteller Traugott Buhre als Theaterprinzipal Bruscon auf der Bühne des Burgtheaters.

Knappe 35 Jahre später eröffnet jetzt der neue Intendant des Wiener Volkstheaters, Kay Voges, seine Direktion mit dem gleichen Stück. Wie seinerseits Peymann ist auch er angetreten, eine Bühne wieder flottzumachen. Und wie Peymann hat er sich dazu ein Stück ausgesucht, das genau so viel von der Illusionsmaschinerie Theater wie von der Großmannssucht ihrer Protagonisten erzählt – von denen auf der Bühne, aber auch von jenen, die im Hintergrund die Fäden ziehen.

Wuchtig in der Tiefgarage

Claus Peymann konfrontierte Wien mit dem damals wichtigsten und wütendsten Autor des Landes, Voges will mit der Übernahme seiner Dortmunder Inszenierung von 2018 dagegen zeigen, was das Theater so alles mit dessen Stücken anfangen kann. Das ist bekanntlich einiges, wie die Bernhard-Aufführungstradition der vergangenen Jahrzehnte gelehrt hat. Selbst am Volkstheater wurde Bernhard nicht immer psychologisch ziseliert und in Karl-Ernst Herrmann’schen Raumkathedralen vom Blatt gespielt! Genau in dieser Tradition fängt Voges’ Proseminar in Sachen Bernhard-Inszenierungen aber an: "Was hier, in dieser muffigen Atmosphäre, als ob ich es geahnt hätte", tönt der Bruscon des wuchtigen Andreas Beck durch die Sichtbetongarage, die Daniel Roskamp auf die Bühne des Volkstheaters geklotzt hat.

Aus der Wirtshausbühne in Utzbach ist ein Tiefgaragentheater im provinziellen Nirgendwo geworden, aber damit hat es sich erst einmal mit einem beherzteren Regiezugriff auf Bernhards meistgespieltes Stück. In den ersten 75 Minuten lässt Voges diesen Theatermacher ganz brav und ziemlich dröge runterspielen – mit allem, was bei Bernhard dazugehört: den Erregungskaskaden eines alten Mannes und den Erniedrigungen seiner Bediensteten, die in diesem Fall seine "neurotische" Frau, die "dumme" Tochter, der "debile" Sohn und der Wirt des Gasthauses sind.

Bundesdeutsch-malträtierte "Frittatensuppe"

Becks Bruscon ist ein Brummbär, der auf Theatergockel macht, und der Wirt ein ironisch-lächelnder Beobachter mit Krauskopf-Perücke (Uwe Rohbeck). Das Wort "Frittatensuppe" kommt ihnen zwar genauso bundesdeutsch-malträtiert über die Lippen wie seinerzeit den Peymann-Schauspielern, doch 35 Jahre später scheint das auch die hartgesottensten Abonnenten nicht mehr aufzuregen.

Sie haben sich wahrscheinlich an vieles gewöhnt, womit Voges in den folgenden 75 Minuten in immer neuen Durchläufen durch den ersten Teil des Stückes aufwartet. Eine Anzeige am Bühnenhimmel springt um, und schon ist man wieder am Anfang des Stücks, allerdings in unterschiedlichen Figurenkonstellationen und mit unterschiedlicher Texttreue.

Während der zweite Durchgang schneller und schnoddriger daherkommt, lässt Voges ab dem dritten den Fleischwolf an. In Utzbach ist schließlich Blutwurstdienstag, und auch Becks Mitstreiter wollen mal die Hauptrolle spielen. Bruscon wird jetzt von Uwe Rohbeck als outriertem Dandy gegeben, bevor er den Stab in weiteren Durchgängen an Frau (Anke Zillich) und Kinder (Nick Romeo Reimann und Anna Rieser) weiterreicht.

Empörungsorgie mit Punk

Eine Horror- folgt auf eine Singspielversion, bis man sich am Ende als Punk und Hitlers im Tutu verkleidet und das Ganze in einer kollektiven Empörungsorgie als Höllenfahrt endet. Was Voges mit seiner Bearbeitung des Stoffes möchte, hat man zu diesem Zeitpunkt längst verstanden, und auch sonst quält man sich eher von Version zu Version, als dass man der nächsten neugierig entgegenblickte.

Ja, es gab in den vergangenen Jahrzehnten Regisseure, die Bernhards Texte aufgebrochen und ihre misogynen und gesellschaftsstabilisierenden Aspekte aufgezeigt haben. Voges’ Zugriff auf den Theatermacher gleicht aber eher einem selbstverliebten Ritt durch Inszenierungsmoden. Hoffentlich kriegt man am Volkstheater nicht zu viele davon zu sehen. (Stephan Hilpold, 27.5.2021)