Aleksandar Dragovic ist angekommen. Im Leben sowieso und am Donnerstag im Teamquartier in Bad Tatzmannsdorf, um sich mit 25 Kollegen auf die EM vorzubereiten. Zuvor hat der Innenverteidiger seine berufliche Zukunft geklärt. Das Interesse Bayer Leverkusens an einer Weiterverpflichtung war bekanntlich enden wollend. Der ablösefreie Dragovic (30) musste das akzeptieren.

Aleksandar Dragovic hält bei 89 Länderspielen (zwei Tore). Am 2. Juni feiert er im Test in England den 90er. Sofern er von Franco Foda eingesetzt wird. Was aber sehr wahrscheinlich ist.
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Seine Sehnsucht nach Respekt wurde von Roter Stern Belgrad gestillt, er unterschrieb am Mittwoch einen Dreijahresvertrag. Sie wollten ihn unbedingt. Auch wenn die serbische Liga nicht zu den Traumadressen im globalen Fußball zählt, für Dragovic "ging ein Herzenswunsch in Erfüllung". Er hat serbische Wurzeln. Sein Opa, bei dem er aufgewachsen ist und der ihn einst zum Austria-Training chauffierte, ist verrückt nach Roter Stern. Der Opa ist nun erfreut und gerührt – der Bub im Roter-Stern-Dress, mehr geht kaum.

Polster zittert

In Franco Fodas EM-Kader ist Dragovic der Spieler mit den meisten Einsätzen. Es sind 89 (Debüt 2009 gegen Serbien), mehr geht schon noch. Ihm folgen Marko Arnautovic (87) und Kapitän Julian Baumgartlinger (82). In der ewigen Bestenliste liegt er auf Platz vier. Hinter Andreas Herzog (103), Toni Polster (95) und Gerhard Hanappi (93). Sollte Österreich ins Achtelfinale kommen (davor gibt es noch Tests gegen England und die Slowakei), und Dragovic sechsmal dabei gewesen sein, hätte er Polster eingestellt. "Als Kind träumst du von einem Länderspiel. Es ist erstaunlich."

Andreas Herzog habe nichts zu befürchten. Noch nicht. "Ich mache mich diesbezüglich nicht verrückt. Aber solange mich meine Beine tragen, spiele ich Fußball. Ich muss niemandem etwas beweisen." Dragovic fühlt sich als "echter Wiener", der zu "99,9 Prozent" nach seiner Karriere hier leben wird. "Es ist meine Stadt." Er sieht sich deshalb auch nicht als Musterbeispiel für eine gelungene Integration. "Ich war ja immer da, nie fremd."

Erst Austria, dann Basel

Von der Austria zog es ihn 2011 nach Basel, mit dem FC wurde er dreimal Meister. 2012 tätschelte er im Siegesrausch dem Schweizer Bundesrat Ueli Maurer den Kopf, das kam in der Öffentlichkeit nicht super an, Dragovic wurde mangelnder Respekt vorgeworfen. "Im Nachhinein war es nicht sehr klug. Ich war jung, ein bisserl dumm. Zum Glück war es nicht die Angela Merkel. Fehler passieren, sie sollten sich halt nicht wiederholen."

Erst Kiew, dann Leverkusen

2013 wechselte er zu Dynamo Kiew. Wie in Basel zählte er zum Stammpersonal, zwei ukrainische Meistertitel und zwei Cupsiege stehen in der Vita. 2016 begann das Kapitel Bayer Leverkusen, eine durchwachsene Geschichte. Pikanterweise war er erst in den letzten Runden gesetzt. "Die erste Saison war nicht gut von mir. Aber danach habe ich mir nichts vorzuwerfen. Ich habe nie verstanden, warum ich kaum Chancen bekommen habe. Klar, man hat keinen Freibrief. Aber man hat das Recht auf Erklärungen." Dragovic suchte Gespräche mit den Verantwortlichen von Leverkusen, oft vergebens. "Ich bin ein Mensch, der Vertrauen braucht."

Im Nationalteam hat er es. Es ist seine zweite EM. Frankreich 2016 ist bitter verlaufen, speziell für Dragovic. Gelb-Rote Karte gegen Ungarn (0:2), Sperre gegen den späteren Europameister Portugal (0:0), gegen Island (1:2) verschoss er einen Elfer (das ist übrigens Ronaldo gegen Österreich passiert). "Natürlich knabbert man daran, aber irgendwann musst du damit abschließen. Auch andere vergeben Chancen."

Nur leise Töne

2016 habe man zu viel Fehler gemacht. "Wir haben es verkackt, wollten zu viel." 2021 werde man sich "nicht verrückt machen lassen". Die Gruppe mit den Niederlanden, der Ukraine und Nordmazedonien sei "sehr ausgeglichen. Es wird jedes Spiel brutal hart, wir brauchen nicht große Töne spucken. Wie spielen teilweise gut, bringen es aber selten 90 Minuten über die Bühne. Auf die europäische Topspitze fehlt uns das gewisse Etwas. Aber wir werden an und über die Grenzen gehen."

Corona hat die Bühnen verkleinert, immerhin werden bei der EM wieder Zuschauer in den Stadien sein. Dragovic übt sich in Demut. "Wir müssen dankbar sein, dass wir privilegiert sind, unseren Beruf ausüben dürfen. Es gibt keinen Grund zum Jammern und keine Ausreden, sollte es schiefgehen." Das Leben in der Blase sei alternativlos, einem möglichen Lagerkoller sieht er gelassen entgegen. "Na und, gibt es eben langweilige Abende im Hotel. Andere wären froh darüber."

Aleksandar Dragovic ist also in Bad Tatzmannsdorf angekommen. (Christian Hackl, 28.5.2021)