Stirbt ein Kind oder ein Jugendlicher, muss die Schule auch ein Ort der Trauer sein.

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Der Vater ist hörbar aufgeregt. Eine Klassenkollegin des Sohnes ist gerade gestorben. Jetzt sorgt er sich, wie die Jugendlichen, die mit dem Mädchen befreundet waren, mit der Sache umgehen. Welche Unterstützung bekommen sie vonseiten der Schule? Wie kann gemeinsames Trauern gelingen? Welchen Rahmen kann die Klassengemeinschaft dafür bieten?

Das, was eine ganz konkrete Sorge von Betroffenen ist, wie DER STANDARD erfährt, ist gemeinhin kein Thema, über das an Schulen viel geredet wird. Dabei sterben auch junge Menschen, und zwar gar nicht so selten: Rund 200 Menschen zwischen fünf und 19 Jahren sterben in Österreich pro Jahr.

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Zurück bleiben neben der Familie oft zahlreiche Freundinnen und Freunde, Lehrkräfte, Bekannte, die das Erlebte verarbeiten müssen. Rein formal sieht das Bildungsministerium bei einem Todesfall einer Schülerin oder eines Schülers folgende Vorgangsweise vor: Die Schulleitung informiert zunächst die zuständige pädagogische Leitung der Bildungsdirektion, die Schulpsychologie und den Klassenvorstand oder die Klassenvorständin der betroffenen Klasse.

Grundsätzlich ist eine an das Alter der betroffenen Schüler angepasste Vorgehensweise wichtig, sagt die Psychologin Luise Hollerer. In der Volksschule etwa könne man noch nicht davon ausgehen, dass Kinder schon mit dem Tod konfrontiert waren – man müsse also auch für allgemeine Fragen zum Sterben Raum schaffen. Bei Schülern in der Pubertät erzeugen der Tod und die Trauer dagegen oft eine besondere Resonanz, "weil sie sich durchaus mit den Fragen der Endlichkeit und dem Sinn des Lebens auseinandersetzen", sagt Hollerer, die beim Berufsverband Österreichischer PsychologInnen die Fachsektion Pädagogische Psychologie leitet.

Lehrer müssen reflektieren

Lehrer müssten vor allem gut vorbereitet in eine trauernde Klasse gehen – dazu gehöre auch, sich mit der eigenen Vorgeschichte zum Thema Tod auseinanderzusetzen. "Kinder brauchen in einer Situation Personen, die ihnen klare Botschaften vermitteln und die in der Lage sind, die Emotionalität der Kinder aufzufangen, zu lenken und zu leiten", sagt Hollerer. Lehrer müssten sich darum die Frage stellen: "Bin ich in der Lage, den Kindern in dieser Situation eine gute Begleitung zu sein?"

Im Schulgebäude soll der Todesfall öffentlich gemacht werden, etwa mit einem Tisch mit einem Foto, zu dem Mitschüler Texte dazulegen können. Nach dem Begräbnis soll dieser wieder entfernt werden, rät Hollerer: "Es wissen alle, und alle konnten sich verabschieden – und ihr Leben geht weiter".

Trauer und Trauma

Die deutsche Trauerexpertin Hanne Shah ergänzt, dass ein Todesfall in einer Schule "immer eine Mischung aus Trauer und Trauma" hervorrufe. Jeder Fall sei dabei individuell: Es mache etwa einen Unterschied, ob der Todesfall plötzlich eintritt oder nach einer Krankheit, ob Mitschüler Zeugen des Todes wurden oder ob Schuldfragen im Raum stehen. Und auch die einzelnen Schüler reagieren unterschiedlich: Hat etwa ein Jugendlicher einen tödlichen Unfall beobachtet, versucht er sich meist abzuschotten "und tut vielleicht besonders cool, weil er mit diesen Schreckensbildern nicht umgehen kann". Lehrer sollten das wissen, "um das auch einmal stehen lassen zu können und kein Kind zu verurteilen". Im Idealfall kann man eine Klasse in solchen Situationen auch in zwei Gruppen aufteilen, sagt Shah.

Zudem verbreiten sich über soziale Netzwerke Gerüchte rasend schnell – es sei deshalb wichtig, dass Lehrkräfte die wichtigsten Fakten klarstellen. "Das ist ein ganz wichtiger Lernprozess für Kinder: Es gibt ganz viel von diesem Gerede, aber es ist wichtig, dass wir uns auf das verlassen, was wirklich geschehen ist."

Die Schulpsychologin oder der Schulpsychologe könnte der Schulleitung und dem Klassenvorstand zum Beispiel folgende Schritte vorschlagen, die jetzt möglichst rasch zu setzen sind: etwa eine Klassenintervention noch am selben Tag des Bekanntwerdens, aber auch das Angebot, mit einzelnen Schülerinnen und Schülern separat zu reden. Außerdem gilt es festzulegen, wer den Kontakt mit den Eltern aufnimmt. So sehen es auch die Krisenpläne der einzelnen Bundesländer vor.

Die Theorie und das Leben

Dass die Praxis nicht immer hält, was der Plan verspricht, weiß der Direktor eines Gymnasiums im Osten Österreichs. "Meist wissen es die Schülerinnen und Schüler vor uns", sagt der Schulleiter, der angesichts eines erst kurz zurückliegenden Todesfalls eines Jugendlichen anonym bleiben will. Auch das anhaltendende Distance-Learning während der Corona-Pandemie habe die gemeinsame Trauerarbeit erschwert: Er habe in der aktuellen Situation mehrere Online-Gedenkstunden in Kleingruppen angesetzt. Kein leichtes Unterfangen: Was, wenn dann ein junger Mensch allein zu Hause vor dem Computer sitzt und keine Ansprache für das Erlebte hat?

Unmittelbar nach Bekanntwerden des Todesfalls habe man die Klassenkolleginnen und -kollegen in geteilten Gruppen in der Schule empfangen. Mit Maske und Abstand. Der Direktor beschreibt eine verzwickte Situation: "Das echte Leben ist dann halt so ganz anders als die Theorie." In seiner langen Schullaufbahn habe er das leider schon einige Male erleben müssen. (Sebastian Fellner, Karin Riss, 27.5.2021)