Bild nicht mehr verfügbar.

Zu spät. Bremen kann nur noch zuschauen und staunen.

Foto: Bongarts/Getty Images/Friedemann Vogel

Das Entsetzen war ihnen ins Gesicht geschrieben. In dem Moment wussten die Bremen-Spieler: Sie haben das Duell mit Ronaldinho verloren. Und das Schlimmste: Per Mertesacker, Naldo und Miroslav Klose konnten nichts mehr dagegen machen, obwohl der Ball noch nicht einmal im Tor und nur Zentimeter von ihnen entfernt war. Das Problem: Sie waren hochgesprungen – in der Annahme, Ronaldinho würde den Ball über sie, die Freistoßmauer, hinwegschlenzen. Aber nicht an diesem Tag: Denn der freche Brasilianer roch den Braten und entschied sich völlig überraschend für einen Flachschuss. Dieser mündete nicht nur im 1:0, sondern in einem der ikonischsten Champions-League-Tore der 2000er-Jahre.

Vorsichtsmaßnahme

Die schlechte Nachricht: Die Chancen sind gesunken, so ein Tor wiederzusehen. Denn in dieser Saison machte sich ein Trend breit in der Königsklasse: Ein Spieler legt sich hinter der Freistoßmauer auf den grünen Rasen und blockiert damit die flache Ronaldinho-Route. So gesehen etwa beim Spiel zwischen Bayern München und RB Salzburg, als Mohamed Camara die Optionen von Robert Lewandowski einschränken wollte und es sich auf dem Boden gemütlich machte.

Mohamed Camara (RB Salzburg).
Foto: imago images/ActionPictures

Spurensuche in Brasilien

Aber woher kommt der Trend? Der Sender ESPN hat den Ideenursprung zurückverfolgt und ist indirekt wieder bei Ronaldinho gelandet, nämlich in dessen Heimat. In Brasilien hat der Ballkünstler seine Karriere ausklingen lassen und 2011 denselben Schmäh nochmals erfolgreich durchgezogen. 2013 legte sich sein Landsmann und Figueirense-Mittelfeldspieler Ricardinho dann hinter die Freistoßmauer – und erntete damit erstaunte Gesichter seiner Teamkollegen samt TV-Analyse dieser als kurios wahrgenommenen Szene.

GOL DE PLACA

Sein Trainer Adilson Batista meinte, dass sein Schützling sich eher scherzhaft auf den Rasen geschmissen habe. Aber Ricardinho meinte es ernst: "Ich habe mir davor ein paar Spiele angesehen und gemerkt, dass der gegnerische Freistoßschütze einmal unter der Mauer durchschießen wollte." Das galt es zu verhindern. Mit Erfolg. Trotz 2:3-Niederlage war dem Bodenturner nach dem Spiel das Lob der Kollegen sicher.

Laut ESPN könnten Brasilianer diese Methode dann nach Europa gebracht haben, in den Jahren drauf wurde sie zumindest zunehmend dort gesichtet.

Risikominimierung

Warum sich Spieler auf den Rasen werfen, ist klar: Risikominimierung. Der Flachschuss unter der Mauer durch ist damit ausgeschaltet. Die Mitspieler können sich auf die Luftverteidigung konzentrieren.

Bild nicht mehr verfügbar.

Ferencvaros' David Siger.
Foto: REUTERS/BERNADETT SZABO

Die Vorteile dürften für viele Teams die Nachteile, etwa einen Mann weniger für etwaige Deckungen, überwiegen. Auch wenn sich Batista sorgte: "Wenn jemand aus der Mauer hochspringt, könnte er auf seinem liegenden Teamkollegen landen." Ja, Innovation ist eben manchmal gefährlich. Oder schmerzhaft.

Das musste 2018 auch Marcelo Brozovic erfahren. Der Inter-Mittelfeldspieler schmiss sich im Champions-League-Spiel gegen Barcelona heldenhaft zu Boden – und wurde prompt von Luis Suraez abgeschossen. Brozovics Rückenschmerz wurde doppelt gelindert. Erstens: Tor verhindert. Zweitens: das anerkennende Lächeln von Superstar Lionel Messi.

Fiel diese Abwehrmethode früher nur in vereinzelten Spielen auf, hat sie sich in dieser Königsklassen-Saison verselbstständigt. Immer mehr Spieler haben der Mauer den Rücken gedeckt. So auch die beiden Halbfinalisten Manchester City und PSG.

Bild nicht mehr verfügbar.

Ilkay Gündogan (Manchester City).
Foto: AP Photo/Dave Thompson
Marco Verratti (PSG) deckt unten ab. Riyad Mahrez schießt oben rein.
Foto: imago/Dave Winter/BPI/Shutterstock

Der Profi weiß dabei: Obacht auf die Arme. Man will ja keinen Handelfmeter verschulden. Also am besten dem Schützen den Rücken zuwenden und die Arme verstecken.

Lazios Mohamed Salim Fares.
Foto: : AFP/CHRISTOF STACHE

Bild nicht mehr verfügbar.

Schachtar-Donezk-Spieler Marcos Antonio.
Foto: REUTERS/Valentyn Ogirenko

Fußballfans sollten im samstägigen Champions-League-Finale zwischen Manchester City und Chelsea also nicht unbedingt ein Freistoßtor per Flachschuss erwarten. Für so ein Schmankerl muss man weiterhin auf Ronaldinho zurückgreifen. (Andreas Gstaltmeyr, 28.5.2021)