Isolde (Kristiane Kaiser) vermisst Tristan, der nun tot daliegt. Über ihn beugt sich Melot (Kristján Jóhannesson), dahinter König Marke (Günther Groissböck) und Brangäne (Juliette Mars).

Prammer

Richard Wagners klangrauschhafter, nachtverliebter Liebeswahn Tristan und Isolde in der Kammeroper? Das mutet an, als wolle jemand den Eiffelturm in eine Zündholzschachtel quetschen. Allerdings nennt sich das Unterfangen Tristan Experiment und meint nicht nur die Regie von Günther Groissböck. "Experiment" darf auch auf die Strichfassung und die reduzierte bis erweiterte Instrumentierung (Akkordeon!) bezogen werden.

Und, ja: Das Musikexperiment, wenngleich seine Notwendigkeit nicht zwingend wirkt, geht in Ordnung. Das Wiener Kammerorchesters und Dirigent Hartmut Keil deuten mit dem Arrangement von Matthias Wegele durchaus jene Intensität an, welche diesen Exzess der Emotionen durchwirkt. Die klangliche Überwältigung, die etwa das melancholische Vorspiel zum dritten Akt in der Originalfassung auslöst, ist natürlich nicht zu erwecken. Anämisch jedoch klingt es nicht.

Impulsiver Wahn

Ein Vorteil: Die Stimmen müssen in diesem Bühnenraum, den man zum Trichter umgeformt hat, nicht mit Orchesterwogen kämpfen. Ihr Charme ist einer der bisweilen subtilen Unmittelbarkeit. Norbert Ernst wandert (als Tristan) kultiviert Richtung ekstatischen Deliriums. Noch homogener Kristiane Kaiser (als Isolde) und überragend die tiefste Stimme: Günther Groissböck würzt sein besonderes Timbre mit delikater, dynamischer Schattierungskunst und präziser Diktion.

Er ist der entehrte König Marke, wobei das hier nicht ganz stimmt. In der Regieversion des Sängers ist Marke der Leiter eines Laborexperiments, der so monochrom-eisig gewandet ist wie der Bond-Bösewicht Dr. No (aus den frühen 1960er-Jahren). Der Kern des Konzeptes aber: In Dr.Nos Experiment sind Tristan und Isolde nicht sie selbst.

Historische Bezüge

Sie sind Patient und Patientin, die sich in einer Gefühlsannäherung als Tristan und Isolde fühlen oder einander aber auch als Richard Wagner und Mathilde Wesendonck anschmachten. Damit verweist die Regie auf die Tatsache, dass Wagner durch seine emotionale Aufwallung gegenüber Frau Wesendonck einst zu dieser Oper inspiriert wurde.

Also: Das sind ganz schön viele einander verwirrende Ebenen. Es zeigt sich: Eine theoretisch reizvolle Idee taugt nicht automatisch zu einer bühnenwirksamen Umsetzung, hier eher zu einer verkrampft originellen. Auf der anderen Seite war die Atmosphäre (auch durch das Videodesign von Philipp Batereau und die Lichtästhetik Franz Tschenk) stark surreal, was ja zu den Nachtliebenden gut passte.

Übrigens: Brangäne (Juliette Mars) blieb, was sie bei Wagner ist. Kristján Jóhannesson hingegen musste als multiple Persönlichkeit Suizid begehen (er ist Kurwenal und sein Gegner Melot). Selbstmord begeht auch Patient/Tristan/Wagner. Isolde/Patientin lebt als Mathilde irgendwie weiter. (Ljubiša Tošic, 28.5.2021)