Die Seen des ostafrikanischen Grabenbruchs sind einzigartige Schätze der Artenvielfalt und von großer kultureller und wirtschaftlicher Bedeutung in ihren Anrainerstaaten. Doch Bevölkerungswachstum, Ausbeutung von Bodenschätzen und Klimawandel setzen diesen Gewässern zu und gefährden damit nicht nur Flora und Fauna, sondern auch die Menschen, die von ihnen leben.

Tanganjika – ein ganz besonderer See

Dort, wo seit 20 Millionen Jahren der afrikanische Kontinent von einem tiefen Graben zerteilt wird, liegt eines der für die Evolutionsbiologie bedeutsamsten Ökosysteme der Welt. Die Seen des Ostafrikanischen Grabenbruchs werden zurecht oft als "Darwins Traum-Seen" bezeichnet, denn sie beherbergen eine einzigartige Fülle an Beispielen für die Entstehung von Artenvielfalt durch natürliche Selektion. Hätte Charles Darwin um diese Gewässer gewusst, er hätte vielleicht nicht 20 Jahre gebraucht, bis er ausreichend Material gesammelt hatte, um "Über die Entstehung der Arten" veröffentlichen zu können.

Es sind insbesondere die dortigen Buntbarsche (oder Cichliden), die zu Ikonen der Evolutionslehre geworden sind. Mit weltweit über 3.000 Arten, das sind rund fünf Prozent der heute existierenden Wirbeltiere, gehören sie zweifelsohne zu den erfolgreichsten Tiergruppen überhaupt. Etwa zwei Drittel aller Buntbarsche leben in den Gewässern Ostafrikas, und für den Großteil dieser Arten kann ihre Entstehungsgeschichte zu einem einzigen Ort zurückverfolgt werden: dem Tanganjikasee.

Mit einem Alter von über 15 Millionen Jahren und einer Tiefe von fast 1,5 Kilometern ist der Tanganjikasee der zweitälteste und zweittiefste Binnensee der Welt (in beiden Kategorien führt der Baikalsee die Ranglisten an). Obschon man dank einer maximalen Breite von nur etwa 50 Kilometer nie ganz das Ufer aus den Augen verliert, können Stürme, die über seine knapp 700 Kilometer lange Oberfläche toben, doch zu Wellen führen, die eher an Ozeane als an Teiche erinnern. Auch die Tierwelt wirkt in mancherlei Hinsicht beinahe maritim: Es gibt Quallen, Krabben, Aale, Muscheln und Sardinen, die meisten davon in ihrer Verbreitung auf den Tanganjikasee beschränkt (Biologen sprechen von endemischen Arten). Sogar Flösselhechte, die ähnlich urzeitlich erscheinen wie Quastenflosser, kann man im See antreffen.

Buntbarsche: Eine evolutionäre Erfolgsgeschichte

Vor allem aber beherbergt der Tanganjikasee eine Vielzahl von Buntbarschgroßgruppen – während fast alle Arten, die man zum Beispiel im Victoria- oder Malawisee findet, einer einzigen Gruppe zugeordnet werden können (den Haplochromini), trifft man im Tanganjikasee auf Vertreter von insgesamt 13 Buntbarschgruppen. Diese Beobachtung, zusammen mit Hinweisen aus der molekularen Biologie, legt nahe, dass der Tanganjikasee als "Wiege der Cichliden" gelten kann. Als solche sind zwar alle Buntbarscharten des Tanganjikasees näher miteinander verwandt als mit irgendeiner Fischspezies außerhalb des See, andererseits kann man aber doch eine erstaunliche Diversität an ökologischen Anpassungen beobachten. So ist zum Beispiel der kleinste Cichlide in diesem See nur knapp drei Zentimeter lang, bewohnt leere Schneckenhäuser und ernährt sich von Plankton, während der größte gut 80 Zentimeter messen kann, einer der Spitzenräuber des Sees ist und auf der Suche nach Beute weite Areale durchstreift.

Ein circa 80 Zentimeter langer Yellowbelly (Boulengerochromis microlepis) bewacht seine winzigen Larven. Diese Art legt zehntausende Eier und verteidigt über mehrere Monate hinweg die Brut gegen Fressfeinde.
Foto: Arne Jungwirth

Tatsächlich besetzen Buntbarsche fast sämtliche ökologischen Nischen, die Fischen im Tanganjikasee zur Verfügung stehen: Es gibt reine Algenfresser, spezialisierte Muschel-, Krebs- und Schneckenfresser, solche, die sich vornehmlich von den Schuppen anderer Fische ernähren, die eingangs erwähnten Planktonfresser und Raubfische und solche, die Kleinstorganismen aus dem Sand filtern. Ähnlich vielfältig wie ihre Ernährungsgewohnheiten sind das Sozial- und das Paarungsverhalten der Tanganjikabuntbarsche.

Manche Arten gehen lebenslange Bindungen ein und ziehen ihre Jungfische gemeinsam groß, bei anderen treffen sich Männchen und Weibchen nur für wenige Minuten zum Austausch von Samen und Eiern. Zwar betreiben alle Buntbarsche bis zu einem gewissen Grad elterliche Brutpflege, aber nur im Tanganjikasee findet man solche Arten, in denen mehrere Tiere gemeinsam die Brut eines einzelnen Paares umsorgen – man spricht hier von kooperativer Fürsorge, einem Verhalten, das sonst eher von Menschenaffen und Wölfen bekannt ist. Und wieder gilt: Beinahe alle der rund 250 Cichlidenarten des Tanganjikasees kommen nur hier vor.

Vom Tanganjikasee leben

Die Fischerei ist der wichtigste Wirtschaftssektor am See und dient sowohl als Hauptquelle für die lokale Versorgung mit tierischem Eiweiß wie auch als primäre Einkommensquelle: Durch den Verkauf von gefrorenem und getrocknetem Fisch in die größeren Bevölkerungszentren (zum Beispiel Lusaka in Sambia) oder sogar ins Ausland fließt Geld in eine Region, die sonst keine nennenswerte Industrie- oder Dienstleistungsinfrastruktur hat. Außerdem sind Tanganjikacichliden bei Aquarianern extrem beliebt, was den Lebendexport von Fischen zu einer weiteren lukrativen Beschäftigung macht. Der tatsächliche Fischfang jedoch ist, neben den Buntbarschen (unter anderem Tanganjika Tilapia und der sogenannte Yellowbelly, Boulengerochromis microlepis), vor allem von Sardinen (lokal als Kapenta bekannt) und Nilbarschen aus der Gattung Lates (in der Bevölkerung als buka buka bezeichnet) dominiert.

Die meisten Fischer arbeiten heute in kleinen Familiengruppen. Insgesamt acht Fischer mit einem großen und zwei kleinen Holzbooten haben hier einen Kapentaschwarm mit ihrem Ringnetz eingekreist.
Foto: Arne Jungwirth

Gefischt wird meist von kleinen bis mittelgroßen Holzbooten aus, besetzt mit zwei bis zehn Fischern. Für Kapenta werden große Ringnetze verwendet, um ganze Schwärme zu fangen. Buka buka werden nachts mit starken Lampen in Netze an der Oberfläche gelockt oder mit Langleinen befischt. Es ist eine anstrengende und gefährliche Arbeit, denn die meisten Fischer sind keine guten Schwimmer, und die Erträge sind oft extrem gering. In Ermangelung von Alternativen werden trotzdem die meisten jungen Männer, die an den Ufern des Tanganjikasees geboren werden, Fischer. Insgesamt ernährt der See so direkt oder indirekt rund zehn Millionen Menschen. Zumindest vorerst noch.

Ein See und seine Anwohner in Not

Der Tanganjikasee und seine Artenvielfalt sind wie alle Gewässer des Grabenbruchs stark bedroht. Besonders für die drei großen Seen (Victoria, Malawi und Tanganjika) ist die Situation sehr prekär, da ihr Schutz und ihre Bewirtschaftung nicht in die Zuständigkeit eines einzelnen Staates fallen. So begrenzen zum Beispiel vier Staaten den Tanganjikasee: die Demokratische Republik Kongo, Burundi, Tansania und Sambia. Da in allen diesen Staaten die Bevölkerung seit Jahrzehnten rapide wächst, erhöht sich die Nachfrage nach Fischprodukten aus dem Tanganjikasee stetig. Obwohl Produktionsstätten und Fangmethoden ständig verbessert und industrialisiert worden sind, kann die Produktion von Fischprodukten der Nachfrage nicht mehr standhalten, denn die Bestände sind stark dezimiert.

Wirkungsvolle Schutzmaßnahmen scheitern aber daran, dass sich die beteiligten Länder nicht einigen können – jede Regierung hat Sorge, die eigene Bevölkerung könne zugunsten der Nachbarstaaten zu kurz kommen. Diese Voraussetzungen machen es nachvollziehbar, dass eine große Gefahr durch Überfischung besteht, die die Artenvielfalt und somit das gesamte ökologische Gleichgewicht des Sees gefährdet. Dies ist nicht nur eine biologische Katastrophe, sondern bedroht wie oben beschrieben auch eine wichtige ökonomische Einnahmequelle und Nahrungsgrundlage der Menschen in den Anrainerstaaten. Leider gibt es keine verlässlichen und aktuellen Daten über Frischproduktion und Fischfang am Tanganjikasee, aber die Daten, die vorhanden sind, zeichnen ein erschreckendes Bild: Obschon Fischfangaktivitäten stetig steigen, sinken die Fangquoten. Anschaulich illustriert wird dies durch stillgelegte Fischereiflotten.

Größere Fangflotten laufen schon lange nicht mehr aus, denn die Erträge aus dem Fischfang decken die Kosten für Mannschaft und Treibstoff nicht mehr. So verrosten die einstmals stolzen Schiffe an den Ufern des Sees.
Foto: Arne Jungwirth

Nicht nur die Überfischung verringert die Artenvielfalt am Tanganjikasee, auch die weltweite Klimaerwärmung macht dem See zu schaffen. Dies liegt daran, dass steigende Temperaturen die Wasserzirkulation des Sees verändern, die als wichtige Grundlage für viele Arten dient. Bis 2050 erwartet man einen Temperaturanstieg von bis zu drei Grad, der sich sehr negativ auf die Fangquoten, die landwirtschaftliche Produktivität sowie die Artenvielfalt im und um den See auswirken wird.

Eine der neuesten Bedrohungen des Tanganjikasees besteht darin, dass die großen Erdölreservoirs der Erde zur Neige gehen und somit, sehr oft unbemerkt von der Öffentlichkeit, weniger gut erschlossene Vorkommen von der Ölindustrie ausgebeutet werden. Der Ostafrikanische Grabenbruch ist deshalb in den Fokus von Erdölproduzenten gerückt. Hier gibt es solche unerschlossenen Ölvorräte, die Profite versprechen, meistens ohne Rücksicht auf die einzigartigen Ökosysteme. In Uganda, das an den Albertsee grenzt, erwartet man sich bis zu 3,6 Milliarden Dollar Gewinn durch den Ölhandel. Diese Zahl wirkt noch dramatischer, wenn man bedenkt, dass sie so hoch ist wie das aktuelle jährliche Budget des gesamten Landes. Solche Gewinne sind natürlich attraktiv für die armen Länder rund um die großen afrikanischen Seen – auch am Tanganjikasee. Die Gewinnung von Öl ist aber mit sehr hohen Risiken verbunden. Die Förderung und der Abtransport von Öl in dieser Region sind schwierig, und schon bei besser erschlossenen Ölfeldern kommt es bekanntlich viel zu oft zu Verschmutzungen durch Unfälle und Lecks. Diese Ölverschmutzungen gefährden den Tanganjikasee besonders, da der ganze See ein abgeschlossenes System ist mit einer Wasseraustauschrate von über 7.000 Jahren. Etwaige Ölrückstände würden also lange im Seewasser bleiben und somit einen nicht wiedergutzumachenden Schaden für Mensch und Natur auf Jahrtausende anrichten.

Ein starker Kontrast: links die heilige und unbewohnte Insel Mbita (Kumbula), rechts die dichtbesiedelte Insel Mutondwe (Crocodile Island). Entwaldung, Erosion und die daraus entstehenden Probleme (Mangel an Bau- und Feuerholz, Versandung ufernaher Lebensräume) sind Schlüsselherausforderungen in der Region.
Foto: Arne Jungwirth

Die Krise verstehen, um die Krise zu lindern

Neben Überfischung, Klimaerwärmung und Ölverschmutzung wird der See auch durch die Entwaldung seiner Ufer, den illegalen Fisch- und Wildfang, invasive Arten und generelle Wasserverschmutzung bedroht. Diese Vielzahl an Gefahren macht jeden Umweltfreund ohnmächtig, aber es gibt Ideen und Vorschläge, wie man diese Situation verbessern könnte. Es ist immer schwierig, Menschen oder sogar ganze Staaten zum Umdenken zu bringen. Das gilt insbesondere, wenn mit bestimmten Aktivitäten viel Geld gemacht werden kann und die einzigen Kosten zulasten der Umwelt fallen, und wenn die Interessen verschiedener Parteien (oder Staaten) kollidieren. Es wird keine schnelle Lösung für die aufgeführten Probleme geben, aber wir möchten auf drei wichtige Punkte hinweisen, die zu einer Verbesserung führen könnten.

Datengestütztes Wissen ist die allerwichtigste Ressource in jeder Krise, wie wir alle in der vorherrschenden Pandemie miterleben. Gerade die Krise am Tanganjikasee leidet aber besonders an einer Knappheit an verlässlichen Daten, die Prognosen und Eingriffe erlauben würden, und der Unwissenheit der beteiligten Partner. Die finanziellen Möglichkeiten für Langzeitstudien in den Anrainerstaaten sind sehr begrenzt, und auch ausländische Förderungen von wissenschaftlichen Studien sind Mangelware. Nur mit verlässlichem Wissen darüber, was tatsächlich geschieht, können wir adäquat und effizient gegensteuern.

Natürlich muss dann dieses Wissen in die Gesetzgebung der Länder einfließen, und es müssen Gesetze und Auflagen gemacht werden, die nicht nur auf Profit, sondern auch auf Nachhaltigkeit ausgelegt sind. Hier müssen Regierungen und internationale Förderungen dafür sorgen, dass Menschen ihren Lebensunterhalt finanzieren können, ohne die entsprechenden Ökosysteme zu zerstören. Es müssen leistbare und adäquate Infrastrukturen und Produkte zur Verfügung gestellt werden, und die Gemeinschaften, die direkt vom und um den See leben, müssen in alle Entscheidungsprozesse eingebunden werden.

Die Bildung und das Bewusstsein der Menschen, die in den Anrainerstaaten leben, zu steigern ist zudem von großer Wichtigkeit. Am Ende sind sie die Leidtragenden der sich nähernden Katastrophe. Dies kann nicht nur durch explizite Programme in den jeweiligen Ländern geschehen, sondern auch durch einen aktiven Diskurs von Menschen, die in Österreich leben. Wir können das Augenmerk der Welt und somit der Politik auf diese hier beschriebenen Probleme richten. (Stefan Fischer, Arne Jungwirth, 4.6.2021)