Der Verbund produziert nicht nur – wie hier im Kraftwerk Freudenau – Strom, sondern verkauft Energie auch an Privatkunden. Ein im Namen ihres Kindes abgeschlossener Vertrag führte eine 28-Jährige nun vor Richterin Beatrix Hornich.

Foto: Heribert Corn

Wien – "Telefon, Gas, Elektrik – unbezahlt, und das geht auch", singt Herbert Grönemeyer in seinem großartigen Lied "Mensch". Abseits der Kunst, im schnöden Alltag, spielt es den gegenleistungsfreien Konsum eher nicht. Weshalb sich Tamara M. vor Richterin Beatrix Hornich verantworten muss. Der 28-jährigen Angeklagten wird vorgeworfen, sie habe am 2. März den Namen ihrer achtjährigen Tochter verwendet, um mit dem Verbund einen Strom- und Gasliefervertrag abzuschließen – nachdem ihr Ende Februar die Energiezufuhr wegen unbezahlter Rechnungen gekappt wurde.

"Ich belehre Sie: Wenn Sie Verantwortung übernehmen, können wir das Verfahren auch mit einer Diversion beenden. Der Vorteil ist, Sie haben dann keine Vorstrafe", erklärt Hornich der Unbescholtenen die rechtliche Lage. Der verursachte Schaden für den Energielieferanten beträgt 377 Euro, ist also überschaubar und würde die vorläufige Einstellung des Verfahrens durchaus erlauben. M. bekennt sich dennoch nicht schuldig. Und ist von einer Intrige ihres Ex-Mannes überzeugt.

Zwei Kinder aus neun Jahren Partnerschaft

Neun Jahre war das Paar zusammen, zwei Kinder entsprangen aus der Beziehung. "Ab 2020 hat er mich jeden Tag grün und blau geschlagen, ist auch gegen die Kinder handgreiflich geworden und hat mich zum Sex gezwungen", behauptet die Angeklagte über das Ende des Zusammenlebens. Im Jänner 2021 sei der frühere Gatte endlich aus der gemeinsamen Gemeindewohnung verschwunden, erzählt M., die mittlerweile eine einstweilige Verfügung gegen ihren Ex-Mann erwirkt hat, weiter. Im Februar und März habe sie bei ihrem neuen Lebensgefährten in Niederösterreich gewohnt, ab April dann wieder in Wien.

Dass Strom und Gas in ihrer Abwesenheit abgedreht worden seien, habe sie nicht bemerkt, betont die Angeklagte. Auch Mahnungen vom Verbund habe sie nie erhalten – weder auf analogem noch auf elektronischem postalem Weg. M. vermutet jedoch, dass diese von ihrem Ex-Mann unterschlagen worden sein könnten. "Ich habe den Briefkasten noch nicht montiert, der Briefträger legt mir die Post immer auf die Türmatte." Sie sei zwar gelegentlich aus Niederösterreich vorbeigekommen, da die Hauseingangstür aber unversperrt sei, könnten auch der Ex-Partner oder dessen neue Freundin Schriftstücke mitgenommen haben.

Anzeige des Ex-Mannes

Und die E-Mails? "Mein Ex-Mann hat mir bei der Hochzeit einen Mail-Account eingerichtet, er kannte mein Passwort", erklärt die Angeklagte dazu. Sie habe nie Mahnungen oder die Information über die Vertragskündigung bekommen, habe extra auch Papierkorb und Spam-Ordner kontrolliert. Woher ihr Mann dann die an ihre Adresse gerichtete Mail mit dem Liefervertrag im Namen der gemeinsamen Tochter hatte, die er am 26. März der Polizei vorlegte? M. vermutet, dass der ehemalige Partner den Vertrag abgeschlossen habe, um ihr zu schaden. "Er hat mir ja schon angesagt, er macht mich fertig, bis ich am Ende bin!", verrät die Angeklagte.

Als ihr die Kopie des Stromvertrags gezeigt wird, bestreitet M., dass es sich um ihre Unterschrift handle. Zum Beweis legt sie der Richterin ihren Reisepass vor, Hornich kann auch selbst wegen M.s Antrag auf einen Verfahrenshelfer auf eine Schriftprobe zugreifen. Richterin und Staatsanwälte vermeinen tatsächlich Unterschiede in den Signaturen zu erkennen. Warum diese Erkenntnis aber wenig aussagekräftig ist, verrät der erste Zeuge, ein Verbund-Angestellter.

Der bestätigt nämlich, dass der Liefervertrag auf den Namen der Tochter am 2. März über den Verbund-Webshop abgeschlossen worden sei. Die Unterschrift müsse man dabei mit der Maus einmal in einem Feld tätigen, diese nicht wirklich handschriftliche Signatur werde dann automatisch an den notwendigen Stellen eingefügt. Nach dem Abschicken würde eine Mail an die angegebene E-Mail-Adresse übermittelt, mit einem Klick auf die Bestätigung sei der Vertrag zustande gekommen. "Wenn Sie mein Mailpasswort hätten, könnten Sie das natürlich in meinem Namen bestätigen", meint der Zeuge der Richterin.

Mäßig intelligenter Algorithmus

Ob es nicht auffällig sei, wenn wenige Tage nach einer Stromabschaltung ein neuer Vertrag für dieselbe Adresse geschlossen würde, der sich nur im Vornamen unterscheidet, will Hornich vom Zeugen wissen. "Nein, es gibt keine Abgleichung zwischen Alt- und Neukunden", gesteht der Mann zu. "So intelligent sind Sie dann doch nicht?" sieht die Richterin Defizite beim Algorithmus-IQ. "Leider nein", lacht der Zeuge. Dieser verspricht am Ende seiner Einvernahme, sich von Kollegen mehr Daten schicken zu lassen, um zur Aufklärung beizutragen. Denn eine vom Gericht beauftragte Ermittlung der IP-Adresse des Absenders endete im digitalen Nirwana, da offenbar ein öffentliches WLAN genutzt wurde. Die angegebene Telefonnummer existiert nicht.

Der Ex-Mann der Angeklagten liefert bei seinem Auftritt gleich mehrere Überraschungen. So verrät er, dass die Scheidung bereits am 15. Mai 2019 stattgefunden habe: "Wir haben uns scheiden lassen, hatten aber weiter eine Beziehung und haben bis Jänner 2021 zusammengewohnt." Den Grund für dieses ungewöhnliche Arrangement gibt er bereitwillig preis: "Ich weiß, dass ich mich jetzt strafbar mache. Aber wir haben es gemacht, damit sie eine höhere Sozialhilfe und eine Gemeindewohnung mit den Kindern bekommt."

Mehrere Exekutionsverfahren gegen Angeklagte

Womit die finanziellen Verhältnisse der Angeklagten wieder in den Mittelpunkt rücken. Die erhält laut eigenen Angaben derzeit 1.580 Euro von der Wiener Magistratsabteilung 40, dazu kommen die Familienbeihilfe und Alimente für die beiden Kinder. Dennoch habe sie Schulden. "Wie hoch sind die?", will die Richterin wissen. "Das weiß ich leider nicht, es ist aber schon ein hoher Bereich", gibt M. zu. "Kann man das irgendwie beziffern?" – "Ich schätze, so 4.000 Euro. Von Versandhäusern, als ich 18, 19 gewesen bin." Hornich hält der Angeklagten auch vor, dass zwischen Herbst 2020 und März 2021 drei Exekutionsverfahren gegen sie am Laufen gewesen seien. "Damals hatte ich wirklich kein Geld, da es eine Verzögerung beim neuen Antrag für die Sozialhilfe gegeben hat", lautet die Antwort.

Der Angeklagte sagt, er sei Anfang 2021 ausgezogen, "da es nicht mehr gepasst hat". Da er von Geldproblemen der Angeklagten wusste, habe er aber telefonisch immer wieder Hilfe angeboten. Als sie ihm im Februar von Zahlungsschwierigkeiten bei der Miete berichtete, habe er diese beglichen. Obwohl er Mitte Februar vom neuen Partner im Leben seiner Geschiedenen erfahren habe – es handelt sich um einen seiner besten Freunde. "Und trotzdem zahlen Sie noch ihre Miete?", ist die Richterin skeptisch. "Was bringt da Streit? Wir haben ja auch gemeinsame Kinder", gibt sich der Ex-Mann abgeklärt.

Einbruch in Privatsphäre

Seine Aussage wird noch interessanter: Er legt nämlich Screenshots vom Posteingang der Angeklagten und einzelnen Mails vor. Wie er dazu gekommen sei? "Sie hat mir damals ihr Passwort verraten, sie hatte meines ja auch", behauptet er. "Und dann sind Sie eingebrochen, sozusagen. In ihre Privatsphäre" – "Das geb ich zu." Er habe eigentlich Beweise für seinen eigenen Prozess gesucht – er vermutet Absprachen zwischen seiner Ex-Frau und Zeugen.

Umso überraschter sei er dann gewesen, als er Mahnungen eines Versandhändlers und des Verbundes gesehen habe sowie den neuen Energievertrag im Namen der Tochter. Richterin Hornich interessiert sich besonders für einen bestimmten Schriftverkehr: Am 1. März, als die Angeklagte angeblich noch in Niederösterreich wohnte, kam an ihre Mailadresse die Bestätigung der Anmeldung bei einem anderen Gaslieferanten. Einen Tag später stornierte die Firma den Vertrag wieder, da die Bonitätsprüfung von M. negativ ausgefallen sei.

"Haben Sie bei einer anderen Firma Gas bestellt?", fragt die Richterin folgerichtig die Angeklagte. "Ich habe schon dort hingeschrieben, aber das war mir dann zu kompliziert", verteidigt die Angesprochene sich. Die Benachrichtigung über die negative Bonitätsprüfung will sie dagegen noch nie gesehen haben. "Wenn ich drauf hinweisen darf: Alle Mails im Posteingang waren geöffnet", merkt der Ex-Mann an. Bei seinem Abgang erkundigt er sich noch, ob er über das Urteil informiert werde. "Das bräuchte ich fürs Familiengericht und das Jugendamt." Da er nur Zeuge sei und keine Parteienstellung im Strafverfahren habe, lehnt Hornich ab.

Offene Jahresabrechnung

Dann bittet die Richterin wieder M. auf den Anklagestuhl. "Sie haben uns doch erzählt, dass Sie mit dem Verbund so zufrieden gewesen sind. Warum kontaktieren Sie dann einen anderen Gaslieferanten?", fragt Hornich. "Erst war ich zufrieden mit dem Verbund, am Ende dann nicht mehr." – "Und warum?" – "Mir schien die letzte Jahresabrechnung zu hoch. Ich habe dann dort angerufen und gesagt, ich kann das nicht auf einmal zahlen. Die haben aber gesagt, das geht nicht."

Die Richterin bemüht sich, angesichts dieser Offenbarung ihre Emotionen im Zaum zu halten. "Sie haben also schon im Dezember gewusst, dass Sie Schulden beim Verbund haben? Und das sagen Sie erst jetzt, nachdem wir schon über eineinhalb Stunden verhandeln?" – "Ja, aber wegen der Jahresabrechnung", verteidigt sich die Angeklagte. "Um die geht es aber auch im Strafantrag! Was passiert, wenn man Rechnungen nicht zahlt?" – "Man bekommt Mahnungen und Sperren." – "Damit hätten Sie plötzlich ein Motiv!" – "Ja, das stimmt. Aber ich war das nicht", bestreitet M. weiter, den Vertrag im Namen der Tochter abgeschlossen zu haben. Ebenso beharrt sie darauf, nie irgendeine Mahnung gesehen zu haben.

Vorbestrafter Zeuge

Ihr Verteidiger bittet um eine Unterbrechung und berät sich mit der Angeklagten kurz vor der Saaltür. Überraschenderweise folgt nach der Rückkehr kein Geständnis – der Anwalt fragt nach dem Grund für die Scheidung 2019. "Weil es nicht mehr gepasst hat", sagt M. darauf. "Und warum hat er dann bei Ihnen gelebt?", wundert sich die Richterin. "Weil er nirgends hinkonnte. Er ist ein Psycho!", behauptet die Angeklagte. Ihr Rechtsvertreter legt auch einen Strafregisterauszug des Ex-Mannes vor, wonach dieser zwischen 2013 und 2019 mehrere Vorstrafen erhalten habe. "Mein Leumundszeugnis ist leer!", hält M. dazu empört fest. "Das sagt nichts über den Lebenswandel aus. Nur, dass man noch nicht erwischt worden ist", reagiert Hornich auf diese Feststellung.

Die Richterin hofft, dass der Verbund-Zeuge mittlerweile die Daten bekommen hat, die die Lösung des Rätsels bergen könnten. Er wird wieder in den Saal gerufen, kann aber nur weitere Indizien liefern. Demnach habe am 23. November 2020 jemand im Kundencenter angerufen, um den Zahlungsrückstand zu besprechen. Am 25. Februar 2021 habe jemand angerufen und sich erkundigt, wieso der Vertrag gekündigt worden sei, da der Ex-Mann doch versprochen habe, die Schulden zu begleichen. Am 2. März schließlich – also dem Tag, an dem angeblich die Achtjährige Kundin wurde – gingen gleich vier Anrufe ein, in denen eine möglichst rasche Bearbeitung urgiert wurde.

Gesprächsaufzeichnungen sollen helfen

"Hmmm, wer hat am 2. März in Ihrer Wohnung gewohnt? Ihr Ex-Mann ist ja schon im Jänner ausgezogen? Der wird keinen Strom mehr gebraucht haben?", wendet sich die Richterin an die Angeklagte. "Ich weiß es nicht. Vielleicht war es seine neue Freundin!", ist M. von einem Komplott überzeugt. Der Verbund-Zeuge kann weiterhelfen: "Wenn die Kundin oder der Kunde es nicht explizit ablehnt, werden die Gespräche aufgezeichnet", verkündet er. Es würde aber einige Tage dauern, diese Dateien auszuheben. "Dann hört man ja, wer angerufen hat!", verlangt der Verteidiger eine Vertagung, um diese Beweisstücke besorgen zu lassen. Hornich erfüllt ihm mit der Anmerkung, dass sie wieder einmal das Ermittlungsverfahren im Hauptverfahren durchführen müsse, diesen Wunsch, am 11. Juni geht es weiter. (Michael Möseneder, 28.5.2021)