Die Transformation erhöht das Anspruchserleben am Arbeitsplatz. Erheblichen Anteil daran hat digitaler Stress. Denn "die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwimmen zunehmend", sagt Karlheinz Sonntag, Professor am Psychologischen Institut der Universität Heidelberg. Er leitet dort den Bereich Arbeitsforschung und Organisationsgestaltung. Die erweiterte Erreichbarkeit dank Smartphones und Laptops sowie Informationsüberflutung und Arbeitsunterbrechungen sind die Verstärker. Darauf verweisen zahlreiche aktuelle Studien, systematische Reviews und Untersuchungen zu den Auswirkungen der digitalen Transformation auf die Beschäftigten.

Sonntag sagt: "Sie zeigen einhellig, dass und wie sich die psychischen Belastungen am Arbeitsplatz verändert haben. Die Befragten nehmen eine Verdichtung und Intensivierung ihrer Arbeit wahr, beispielsweise müssen sie Aufgaben schneller erledigen, oftmals auch mehrere gleichzeitig." Unterm Strich heißt das für den Arbeitspsychologen: Die digitale Disruption bringt eine zunehmende Komplexität der Arbeitsinhalte mit sich. Verschärfend wirken Sonntag zufolge auch höhere kommunikationstechnologische Anforderungen. Sie erfordern nach Aussagen der Befragten eine ständige Weiterentwicklung vorhandener Fachkompetenzen.

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Die Transformation erhöht das Anspruchserleben am Arbeitsplatz. Erheblichen Anteil daran hat digitaler Stress.
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Weiterführende Analysen stellten signifikante Zusammenhänge zwischen Digitalisierung auf der einen und emotionaler Erschöpfung sowie Konflikten zwischen Arbeit und Familie auf der anderen Seite fest. Sonntags Forschungen verdeutlichen: Die Gefahr, dass Anforderung in Überforderung umschlägt und sich aus Überforderung psycho-mentale Ermüdung und Erschöpfung aufbaut, ist real. Der Geschäftsführer der Coverdale-Unternehmensberatung, Thomas Weegen, spricht die sich daraus aufbauende Problematik ungeschminkt aus: "Belegschaften am Rand ihres Fassungsvermögens fehlt die Kraft, mit der Dynamik der Transformation Schritt zu halten."

Aufmerksamkeit sinkt

Insbesondere im abnehmenden Vermögen, die Aufmerksamkeit beizubehalten und sich zu konzentrieren, finde diese Kraftlosigkeit ihren deutlichen Ausdruck. Darunter leidet die analysierende Durchdringung komplexer Problemstellungen. "Das nicht zuletzt auch deshalb, weil dieses Unvermögen, sich aufmerksam und konzentriert einer Arbeit widmen zu können, es erschwert, auf persönliches wie betriebsinternes Wissen und Können voll zuzugreifen", sagt der Münchner Berater. Sorge in diesem Zusammenhang bereitet ihm auch, dass aufmerksames und konzentriertes Arbeiten als hauptsächlicher Faktor bei der Arbeitsplanung wie der Arbeitsausführung vor Fehlern bewahrt. Und last, but not least, sagt Weegen, "ist von innerer Ruhe getragenes aufmerksam-konzentriertes Arbeiten der Kraftquell überlegen leistungsstarker und gleichzeitig belastbarer Menschen."

In der Ruhe liegt die Kraft. Darauf wies schon der chinesische Philosoph Konfuzius hin. Und das immerhin bereits rund 500 Jahre v. Chr. Aus dem Wissen um diesen Zusammenhang entwickelte sich über Jahrtausende hinweg in allen großen Hochkulturen das, was wir heute als Meditation kennen und nutzen. Meditation ist der Sammelbegriff für eine Gruppe von Übungen, die entweder im stillen Sitzen oder in Bewegung praktiziert werden und die darauf abzielen, "aufmerksamer, konzentrierter, achtsamer zu leben, die eigenen Gefühle in Richtung auf mehr Gelassenheit, auch mehr Akzeptanz und Mitgefühl sich selbst gegenüber zu regulieren", erläutert der Meditationsforscher Ulrich Ott.

Meditationsübungen

Welche Übungen dabei bevorzugt würden, hänge davon ab, wie jemand meditieren möchte. Wer die Meditation in der Bewegung vorziehe, dem böten sich beispielsweise Techniken wie Yoga, Tai-Chi oder Qigong an. Für Einsteiger empfiehlt Ott das Standardisierte Programm "Stressbewältigung durch Achtsamkeit" (MBSR, Mindfulness-based Stress Reduction), das geistige mit sanften Yoga-Übungen kombiniert. "Sie unterstützen dabei, das innere, vegetative Erregungsniveau zu senken und dadurch zur Ruhe zu kommen. Wer lernt zu meditieren, gewinnt an geistiger Klarheit, Fitness und Kreativität und lebt entsprechend selbstbestimmter", verdeutlicht Ott, der seit über 20 Jahren an der Justus-Liebig-Universität Gießen die von der Meditation ausgelösten Kraftströme erforscht, die Wirkung der Meditation. Das erleichtere es, die Aufmerksamkeit zu steuern, konzentrierter und achtsamer zu arbeiten und überhaupt zu leben.

"Bereits acht Wochen nach Übungsbeginn lässt sich ein Zuwachs an grauer Substanz im Hippocampus nachweisen", sagt Meditationsforscher Ott. Das ist die Hirnregion, die für die Gedächtnisleistung zuständig ist und die besonders empfindlich auf Dauerstress reagiert.
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Im Kern bedeutet Meditation, "durch kontinuierliches Üben zu lernen, den Geist zu steuern", sagt Ott und erklärt: Die Aufmerksamkeit wird auf ein Meditationsobjekt gerichtet. Machen sich die Gedanken selbstständig, schweifen sie ab, werden sie zurück auf dieses Objekt fokussiert. Sich in dieser Aufmerksamkeitssteuerung zu üben und darin sicherer zu werden führe automatisch zu höherer Konzentrationsfähigkeit und Leistungskraft. Gleichzeitig wirke diese Aufmerksamkeitssteuerung stressreduzierend. Sei doch gerade von Stress ausgelöstes ungesteuertes und folglich unkonzentriertes Denken ein höchst beeinträchtigender Stressor. Das auch deshalb, weil die menschliche Fähigkeit, mit sich selbst zu reden, enorm destabilisierend und stressend wirkt, wenn dieser Dialog ungesteuert abläuft.

Meditierende erfassen im Lauf ihrer Meditationspraxis, wie ihr Geist funktioniert, wodurch sie sich selbst unter Druck setzen, sich in ungesteuertes Denken hinein- und davon herunterziehen lassen. Kurz, wie vagabundierendes Denken sowohl den außenweltlichen Stress als auch den Stress, den Menschen sich mit ihren ungebremsten Vorstellungen selbst bereiten können, noch verstärkt.

Schneller Erfolg

Wer mithilfe der Meditation lernt, kontrolliert(er) zu denken, dem gelingt es mit der Zeit "bewusst anders zu handeln, konzentrierter, achtsamer vorzugehen, mehr innere Freiheit zu entwickeln, die eigenen Körperempfindungen besser wahrzunehmen", veranschaulicht Ott die Wohlfahrtswirkungen des Meditierens. Das verfeinere das Gespür dafür, wie Emotionen und körperliche Reaktionen zusammenhängen. Diese Wirkung lässt sich nachprüfen. Beispielsweise werden Meditierende befragt, ob und was sich durch ihre Übungspraxis verändert hat. Die Antworten sind aufschlussreich.

Eine andere Möglichkeit bieten objektive Testverfahren. Mit ihrer Hilfe lässt sich nachweisen, wie spürbar beispielsweise ein Training in Achtsamkeitsmeditation die Aufmerksamkeitsleistungen verbessert. Hirnscans, modernste bildgebende elektronische Verfahren, legen offen, was Meditation im Gehirn bewirkt. Diese hochaufgelösten Bilder der Hirnstruktur zeigen, dass erfahrene Meditierende in bestimmten Regionen mehr Hirnzellen aufweisen als Kontrollpersonen. Meditation führt also zu objektiv erkennbaren Veränderungen im Gehirn. Das erklärt, wie sich mit Achtsamkeitsübungen die Aufmerksamkeitsleistungen verbessern und die Stressempfindungen reduzieren lassen.

"Bereits acht Wochen nach Übungsbeginn lässt sich ein Zuwachs an grauer Substanz im Hippocampus nachweisen", sagt Ott. Das ist die Hirnregion, die für die Gedächtnisleistung zuständig ist und die besonders empfindlich auf Dauerstress reagiert. Und da Dauerstress nicht nur Aufmerksamkeit und Konzentration stark beeinflusst bis gänzlich unmöglich macht, sondern auch die Leistung des Immunsystems schwer beeinträchtigt, wird deutlich, weshalb die eingangs erwähnten Forschungserkenntnisse nicht auf die leichte Schulter genommen werden sollten. (Hartmut Volk, 3.6.2021)