"Wir kommen aus dem Öl, gehen ins Öl, sind im Öl." Das raunen einander gestandene OMVler gerne zu, wenn sie nach getaner Arbeit bei einem Glas oder zwei zusammensitzen. Um genau zu sein, ein Teil der OMV-Mitarbeiter.

Denn der teilstaatliche Konzern ist längst kein monolithischer Block mehr wie zu Zeiten, als die OMV noch ÖMV hieß. Seither fliegen die Hackeln tief, und es wird einmal mehr, einmal weniger offen um Macht und Einfluss gekämpft. "Alle gegen den Deutschen", schien die Devise bis vor kurzem zu lauten.

Der Deutsche, das ist Rainer Seele. Seit Sommer 2015 ist der gelernte Chemiker OMV-Chef. Sein Fehler: Er kann nicht Österreichisch. Er ist weder verhabert, noch gehört er einer Seilschaft an. Sich-Anbiedern mag er genauso wenig wie Herumgedruckse.

OMV-Chef Rainer Seele hat mit seinem Schwenk zu mehr Chemie in ein Wespennest gestochen.
Foto: APA / Helmut Fohringer

Stattdessen hat der Deutsche es gewagt, Privilegien anzutasten, etwa Dienstautos. Den Widerstand richtig angefacht hat Seele aber, als er die Weichen in Richtung mehr Kunststoffe zu stellen begann. Das hat zwar die Aktionäre begeistert, die Ölsucher im Unternehmen aber endgültig vor den Kopf gestoßen. Und er hat damit die um Einfluss fürchtende Belegschaftsvertretung gegen sich aufgebracht.

Der allmächtige Abraham

Im Hintergrund mischt immer noch Leopold Abraham mit, heißt es hinter vorgehaltener Hand. Der einstige OMV-Betriebsratskaiser ist zwar längst in Pension, verfüge aber noch immer über beste Kontakte. Jeder und jede habe vor ihm gezittert.

Christine Asperger, die bei der OMV als Lehrling begonnen hat, sei Abrahams "Erfindung für die Betriebsvertretung" gewesen, sagen Insider – als Dankeschön für viele Jahre loyaler Arbeit. Sie war seine Sekretärin. Der allmächtige Abraham habe Generaldirektoren gemacht und gesteuert. 2018, da war der inzwischen 73-Jährige längst weg und dennoch allgegenwärtig, schaffte Asperger als erste Frau den Sprung an die Spitze des Konzernbetriebsrats.

Im Herbst 2020 dann der Knall: Asperger legt alle Funktionen zurück und verlässt die OMV, nachdem auf Laptops Informationen gefunden worden sind, die aus Compliance-Gründen dort nicht sein durften. Seele sollte mürbe gemacht werden. Das ist mittlerweile gelungen. Der Deutsche will mit Auslaufen seines Vertrags im Sommer 2022 gehen.

Leopold Abraham, einst (fast) allmächtiger Betriebsratsboss in der OMV, mischt in der Pension noch mit.
Foto: Andy Urban

Der Zorn der Ölleute reicht aber viel weiter zurück. Ein erster Schock war 1995 die Streichung der zwei Punkte über dem O. Mit der Österreichischen Mineralölverwaltung, wie die ÖMV ausgeschrieben hieß, konnten sich die Ölleute identifizieren. Auch der von Marketingspezialisten erfundene Slogan "Österreicher mit Verantwortung" als Neuinterpretation der drei Buchstaben kam gut an. Aber OMV?

Verunsicherung verstärkt

Richard Schenz, Ex-Generaldirektor des Öl- und Gaskonzerns und verantwortlich für die Namensänderung, hat die Verunsicherung noch verstärkt. Auf die Frage, was OMV heiße, wusste er nichts Besseres zu sagen als: "So wie Schenz, also nichts."

Die Eliminierung des Umlauts im Firmennamen sollte die Internationalisierung erleichtern; gleichzeitig war dieser Akt ein Zugeständnis an das Internetzeitalter, in der Umlaute nur stören. Es sollte aber, aus Sicht der Öl-Leute, noch ärger kommen.

Dass die Verunsicherung in Österreichs größtem Industriekonzern stark und das Klima vergiftet ist, liegt auch an der Expansion ins Ausland, noch mehr aber an der Diversifizierung. Der Schwenk zu mehr Chemie unter Seele hat die stolzen Bergbauleute, und als solche fühlen sich viele OMVler in Gänserndorf noch heute, tief ins Mark getroffen. Angst vor Bedeutungsverlust hat sich breitgemacht.

Alfred Stern ist im Vorstand der OMV für den Chemiebereich zuständig. Auch er hat Chancen als CEO.
Foto: Borealis / Daniela Beranek

Spurensuche in Niederösterreich

Machtkämpfe in Unternehmen sind an und für sich nichts Ungewöhnliches; Hauen und Stechen, Mobben und Intrigieren wie im gegenständlichen Fall aber sehr wohl.

Auf Spurensuche wird man in Niederösterreich fündig. Einmal in Schwechat, wo Österreichs einzige Raffinerie steht und wo Borealis auf dem benachbarten Grundstück Kohlenwasserstoffe zu Ausgangsmaterial für Kunststoff weiterverarbeitet.

Bei Borealis handelt es sich um jenes Unternehmen, das im Vorjahr um 3,8 Milliarden Euro mehrheitlich unter das Dach der OMV gekommen ist. Dort wird kräftig investiert, während von Öl und Gas immer mehr Abstand genommen wird. Der einzig wichtige Standort der OMV sei aber Gänserndorf, sind noch immer viele in der OMV überzeugt, namentlich jene, die mit Ölpumpen im Weinviertel zu tun haben.

"Vor den Toren Wiens hat alles begonnen", sagt ein altgedienter OMVler, der seinen Namen "lieber nicht ausgeschrieben" sehen möchte. Er, nennen wir ihn Robert, hat bereits als Kind auf Bohrtürmen gespielt. Schon sein Vater war bei der OMV, der Großvater ebenfalls. "Kurz nach dem Krieg war das, die Firma hieß SMV, Sowjetische Mineralölverwaltung", sagt Robert. Aus dieser ist im Sommer 1956 die Österreichische Mineralölverwaltung Aktiengesellschaft hervorgegangen.

Das Herz der OMV

"Die OMV, das war bis in die 1990er-Jahre das Matzner Feld und Gänserndorf, mehr war nicht", erinnert sich Robert. Die Zentrale stand zwar in Wien und auch eine Werkstätte sowie Bürogebäude. Geld verdient wurde aber im Weinviertel mit jedem Liter Öl. "Wir sind das Herz der OMV, wir bringen die Kohle – das war früher so, und das glauben heute auch noch viele. Das schweißt zusammen", sagt Robert. Gänserndorf gegen den Rest der OMV-Welt, auch was die Bezahlung betrifft.

Johann Pleininger, im OMV-Vorstand für Öl und Gas zuständig, ist in Gänserndorf sozialisiert worden.
Foto: APA / Georg Hochmuth

Dort ist auch Johann Pleininger groß geworden. Der im Konzern für das Öl- und Gasgeschäft verantwortliche Vorstandsdirektor hat in Gänserndorf als Betriebsschlosser begonnen und es bis zum Generaldirektor-Stellvertreter gebracht.

Mitarbeitern hat Pleininger anvertraut, was er tun würde, sollte er CEO werden: eine neue Strategie vorlegen, eigene Leute in Schlüsselpositionen bringen und u. a. Betriebsräten, Politikern und Aufsichtsräten wieder mehr Gehör schenken. Offene Flanken, die Seele zu verantworten habe, seien schlecht für das Unternehmen und müssten schleunigst geschlossen werden. Er sei Garant dafür, sagte Pleininger in einem kürzlich publik gewordenen Mitschnitt sinngemäß.

Dass der Ölmensch Pleininger die einseitige Forcierung der Chemie als Irrweg sieht, ist ein offenes Geheimnis. Dabei hat er dem Strategieschwenk unter Seele noch zugestimmt. Gleichgesinnte hat er jedenfalls viele bei der OMV Austria in Gänserndorf. "Besser er als jemand von außen, denken die meisten. Sie sagen, der Hans ist einer von uns und weiß, was wir brauchen", erzählt Robert. "In Gänserndorf hat Pleininger seine Hausmacht."

Erdölgemeinden als Unterstützer

Niederösterreichs Erdöl- und Erdgasgemeinden sind große Fans der alten OMV, egal ob rot oder schwarz regiert. Abgesehen davon, dass Generationen ihr Geld dort verdient und Kaufkraft in die Gegend gebracht haben, ist die OMV ein wichtiger Geldgeber.

Sportplätze, Kindergärten, Dorffeste: Immer wenn ein Sponsor benötigt wird, ist die OMV zur Stelle. Beim Geldverteilen meist auch dabei: Helga Vogg. Sie ist die Schwester von Pleininger und seit Herbst 2016 in Gänserndorf als Communications Expert das Gesicht der OMV Austria nach außen. Gänserndorf, ein abgeschotteter Bereich im Konzern, ein Biotop.

Läuft es auf eine interne Nachfolge für Seele hinaus, hat auch Alfred Stern Chancen. Der Ex-Chef von Borealis ist seit April im Vorstand der OMV für die Integration der Kunststofftochter verantwortlich. Für die Gänserndorf-Fraktion wäre er ein Affront, sie würde damit weiter an Bedeutung verlieren. Den Frust würden sie wohl mit viel Weinviertler Rebensaft hinunterspülen. Dann wären sie im übertragenen Sinn doch wieder im Öl. (Günther Strobl, 29.5.2021)