6. Jänner 2021: Ein Mob – angestachelt unter anderem von Donald Trump – stürmt das Kapitol, das Parlamentsgebäude der USA.

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Mit emotionalen Worten hatte Gladys Sicknick in letzter Minute versucht, den Republikanern ins Gewissen zu reden. Jenen Senatoren, die sich gegen eine Kommission sträubten, die den Sturm auf das Kapitol lückenlos aufklären sollte. "Ich schlage vor", sagte sie, "dass alle, die gegen dieses Gesetz sind, das Grab meines Sohnes auf dem Friedhof von Arlington besuchen". Dort sollten sie darüber nachdenken, was eine negative Entscheidung für die Polizisten bedeute, die sie auch in Zukunft beschützen würden.

Arlington, vor den Toren Washingtons, ist die letzte Ruhestätte für Soldaten aus allen Kriegen, die die Vereinigten Staaten je geführt haben, für Astronauten, Forscher und Schriftsteller, für die ermordeten Brüder John und Robert Kennedy. Auch Brian Sicknick wurde dort beigesetzt, ein Officer der Capitol Police, der am 6. Januar von einem aufgeputschten Mob überrannten Parlamentspolizei. Von Eindringlingen angegriffen, erlitt er einen Herzinfarkt und starb am nächsten Tag im Krankenhaus. Nun trat seine Mutter Gladys auf die politische Bühne. Widerstrebend, wie sie erklärte, weil sie sich jenseits des Rampenlichts wohler fühle. Aber der Suche nach der Wahrheit verpflichtet.

Kein Sinneswandel

Am Freitag stimmte der Senat über die Bildung einer Untersuchungskommission ab, deren Aufgabe es gewesen wäre, die Hintergründe der Erstürmung des Kapitols auszuleuchten. 54 der 100 Mitglieder der Kammer votierten mit Ja, sechs von ihnen Republikaner. Damit ist das Vorhaben blockiert: Es hätte einer Mehrheit von 60 Stimmen bedurft, um das Gremium ins Leben zu rufen. Am Donnerstag hatte Gladys Sicknick, jeweils unter vier Augen, mit etlichen konservativen Volksvertretern gesprochen, um sie zu einem Sinneswandel zu bewegen. Letzten Endes vergebens.

Was die Demokraten anstrebten, war eine zweite "9/11 Commission", wie sie nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gegründet wurde, um der Frage nachzugehen, warum die Attacken Amerikas staatliche Institutionen trotz mancher Warnhinweise völlig unvorbereitet trafen. Diesmal sollte ein zehnköpfiger, paritätisch mit Politikern beider großer Parteien besetzter Ausschuss endgültig klären, warum das Parlament nicht besser bewacht wurde an jenem 6. Januar, an dem es den Wahlsieg Joe Bidens zu beglaubigen hatte. Warum es länger als drei Stunden dauerte, bis Soldaten der Nationalgarde eintrafen, um der überforderten Parlamentspolizei zur Seite zu stehen. Wieso man im Pentagon, das die Mobilisierung der Gardisten abzusegnen hatte, so lange zögerte.

Es ging um den Versuch, eine Rebellion, bei der fünf Menschen getötet und 140 Polizeibeamte verletzt wurden, politisch aufzuarbeiten und daraus Lehren zu ziehen. Zwar wird mittlerweile gegen rund 430 Beteiligte strafrechtlich ermittelt, doch was dabei zu kurz kommt, ist die Frage nach dem Motiv. Zu kurz kommt auch, welche Rolle Donald Trump, der sich mit seiner Wahlniederlage nicht abfinden wollte, in den Tagen und Wochen vor dem Angriff spielte. Nur eine unabhängige Kommission, glauben die Demokraten, kann ein vollständiges, wahrheitsgemäßes Bild zeichnen.

Angst vor Trump

Noch vor drei Monaten hatten es einige der prominentesten Republikaner ähnlich gesehen. Damals stimmte Mitch McConnell, ihr Fraktionschef im Senat, gegen ein Impeachment Trumps, sprach aber zugleich von Falschaussagen und Verschwörungstheorien, die der abgewählte Präsident verbreitet habe, indem er sich des "größten Megafons auf dem Planeten Erde" bediente. Trump, so McConnell im Februar, sei in keiner Weise entlastet, auch als Privatbürger werde er sich verantworten müssen für das, was er im Amt getan habe. Hatte das noch nach Rückendeckung für intensive Recherchen geklungen, so folgte Mitte Mai der Rückzieher. Inzwischen spricht der Senator aus Kentucky von irrelevanten Nachforschungen und einer überflüssigen Kommission, die an Fakten nichts ausgraben würde, was man über das bereits Bekannte hinaus wissen müsste.

Chuck Schumer, der demokratische Mehrheitsführer der Kammer, hält für Augenwischerei, was sein Widersacher McConnell an Gründen anführt. "In Wahrheit", sagt er, "lehnen die Republikaner die Kommission ab, weil sie fürchten, es könnte Donald Trump wütend machen". (Frank Herrmann aus Washington, 28.5.2021)