Seit Ende April wird in Kolumbien gegen die Regierung demonstriert.

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Bogota – Einen Monat nach Beginn der massiven Proteste in Kolumbien hat sich die Lage weiter zugespitzt. In der Millionenstadt Cali waren am Samstag mehr als 1.100 von Präsident Iván Duque entsendete Soldaten im Einsatz, um die Ordnung wiederherzustellen. Cali ist das Zentrum der Demonstrationen gegen Duques Regierung, bei denen bereits dutzende Menschen getötet wurden. Menschenrechtsaktivisten werfen den Sicherheitskräften unverhältnismäßige Gewalt gegen Demonstranten vor.

In Cali zeugten am Samstag Berge aus Schutt und rauchende Überreste von Barrikaden von einer weiteren chaotischen Protestnacht. Am Freitag waren in der drittgrößten Stadt Kolumbiens nach Polizeiangaben 13 Menschen getötet worden, acht von ihnen durch Schüsse. Die Zahl der Toten seit Beginn der Proteste Ende April erhöhte sich nach offiziellen Angaben damit auf 59, die Zahl der Verletzten auf mehr als 2.300.

7.000 Soldaten im Einsatz

Human Rights Watch erklärte, es gebe "glaubwürdige Berichte" über mindestens 63 Tote landesweit. Die Situation in Cali sei inzwischen "sehr ernst", erklärte der Amerika-Direktor der Organisation, José Miguel Vivanco. Er forderte von Präsident Duque Sofortmaßnahmen zur Entschärfung der Lage. Unter anderem müsse Staatsvertretern der Einsatz von Schusswaffen verboten werden.

Duque hatte am Freitagabend die Entsendung von insgesamt 7.000 Soldaten in zehn Regionen des Landes angeordnet. Bei einem öffentlichen Auftritt in Cali am Samstag wurde der konservative Staatschef von jungen Menschen ausgebuht. Das für die öffentliche Sicherheit zuständige Mitglied der Stadtverwaltung, Carlos Rojas, sagte, die Konfrontationen in Cali hätten am Freitag fast die Dimension eines "urbanen Kriegs" erreicht. Es sei "nicht hinnehmbar", dass Demonstranten die Stadt "in ein Schlachtfeld verwandeln" wollten, fügte er hinzu.

Auslöser Steuerreform

Die Proteste in Cali und anderen kolumbianischen Städten hatten sich ursprünglich an einer geplanten Steuerreform entzündet, die inzwischen zurückgezogen wurde. Die Proteste richten sich nun aber allgemein gegen die Regierung. Die Demonstranten fordern bessere Arbeitsbedingungen, eine Reform des Rentensystems, einen besseren Schutz von Menschenrechtsaktivisten und die vollständige Umsetzung des Friedensabkommens mit der linksgerichteten Ex-Guerillabewegung FARC (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens). Die Proteste sind die blutigsten seit dem Friedensabkommen des Jahres 2016.

Während die Proteste Kolumbien in Atem halten, verschärft sich in dem Land derzeit wieder die Corona-Lage. Am Samstag meldeten die kolumbianischen Behörden mit 540 Todesfällen im Zusammenhang mit Covid-19 einen neuen Rekord. Insgesamt wurden in Kolumbien seit März 2020 mehr als 87.700 Todesfälle durch das Coronavirus und mehr als 3,3 Millionen Corona-Infektionen registriert. (APA, 30.5.2021)