Die Kritik an der Islam-Landkarte reißt nicht ab.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Auch drei Tage, nachdem die sogenannte Islam-Landkarte präsentiert – oder wieder ausgegraben – wurde, ebbt die Kritik daran nicht ab. Nun kommt sie von Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). "Stigmatisierung von Religionen lehne ich prinzipiell ab", heißt es von Ludwig zum STANDARD: "Diese Landkarte trägt absolut nichts zur Integration bei, sondern befördert eine gesellschaftliche Spaltung. Ich spreche mich ganz klar für das Miteinander und für das respektvolle Zusammenleben aller in unserer Stadt und in unserem Land aus".

Susanne Raab (ÖVP) hingegen unterstellt dem Bürgermeister eine "Vogel-Strauß-Politik". Statt, wie die Hauptstadt, "Probleme und Wahrheiten konsequent zu ignorieren und zuzudecken" gehe es ihr darum, Transparenz zu schaffen. Man unterscheide "zwischen der Religion des Islam und integrationsfördernden Einrichtungen auf der einen Seite und dem politischen Islam und problematischen Strömungen und Ideologien auf der anderen Seite", heißt es in einem Statement an den STANDARD, in dem Raab aber auch betont: "Die Experten zeigen durch die Landkarte, wo Moscheen von Erdogan gesteuert werden, wo die grauen Wölfe türkisch- nationalistisches Gedankengut verbreiten und wo Antisemitismus verbreitet wird". Ludwig wäre gut beraten, seine "Vogel-Strauß-Politik in Integrationsfragen zu beenden und den Blick auch dorthin zu richten wo die Probleme liegen".

Rechtliche Schritte angekündigt

Erst am Samstag kündigte die Muslimische Jugend Österreich (MJÖ) im Gespräch mit dem STANDARD rechtliche Schritte gegen die von Integrationsministerin Susanne Raab (ÖVP) präsentierte Karte an. Auf dieser sind über 600 muslimische Vereine und Organisationen, aber auch Privatadressen, eingetragen. Eigentlich existiert die Karte bereits seit Jahren, nun wurde sie aber im Zuge der Arbeit der von Raab eingerichteten Dokumentationsstelle Politischer Islam erneut an die Öffentlichkeit getragen. Zum Unmut der Universität Wien: Diese untersagte, dass ihr Logo in dem Zusammenhang verwendet wird.

Ergänzend zu den Bedenken zur Listung diverser Orte gibt es jedoch auch nicht unerhebliche technische und datenschutzrechtliche Bedenken gegen die Website: Die Daten der Besucher werden zu Facebook und Amazon übertragen. "Bei der Erstellung der Seite ist wohl der Datenschutz etwas vernachlässigt worden – so wie auch die Sicherheit in manchen Punkten", sagt etwa Horst Kapfenberger, Informatiker bei der Non-Profit-Organisation Noyb.

Ludwig zur "Vollgas"-Aktion

Ludwig meint in Bezug auf den Umgang der Politik mit Religionsgemeinschaften außerdem: "Auch das unter Druck setzen von katholischen Kirchenvertretern lehne ich strikt ab". Erst am Sonntag wurde bekannt, dass die sogenannte "Vollgas"-Aktion der ÖVP gegen die katholische Kirche im Jahr 2019 länger vorbereitet war. Das zeigen vom Finanzministerium an den Ibiza-Ausschuss übermittelte Mails, über die die Tageszeitung "Österreich" berichtete. Demnach hat das Kanzleramt schon am 4. März eine Aufstellung "aller steuerlichen Begünstigungen im Zusammenhang mit Religionsgemeinschaften" angefordert. Am 13. März erfolgte die Aufforderung, gegenüber den Kirchenvertretern "Vollgas" zu geben.

Der damalige Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, hatte bei einem Treffen mit dem Generalsekretär der Bischofskonferenz, Peter Schipka, am 13. März 2019 angekündigt, "Steuerprivilegien" der Kirche durchforsten und Förderungen kürzen zu wollen. Bisher war aus den von der Staatsanwaltschaft ausgewerteten Chatprotokollen nur bekannt, dass Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) Schmid zuvor aufgefordert hatte, gegenüber den Kirchenvertretern "Vollgas" zu geben – und sich danach bedankte. Kurz' mittlerweile berühmte Zusage "kriegst eh alles was du willst" stammt ebenfalls aus diesem Chatverlauf. Schmid wurde zwei Wochen später zum Chef der Staatsholding ÖBAG gekürt.

Die zitierte Mail lässt nun auf eine Vorbereitung der Aktion im Kanzleramt schließen. Kirchenvertreter gehen davon aus, dass die damalige Drohung im Zusammenhang mit der Kritik der Kirche an der Flüchtlingspolitik der Regierung stand. Denn am 1. März hatte Schipka die von Türkis-Blau geplante "Sicherungshaft" für Asylwerber als Anschlag auf die Menschenrechte bezeichnet. Auch die türkis-blaue Reform der Mindestsicherung stieß auf Kritik der Kirche. Das Finanzministerium weist einen Zusammenhang damit gegenüber "Österreich" zurück: "Die Steuerprivilegien liegen bei weit über 15 Milliarden Euro. Im Rahmen von Steuerentlastungen werden auch Steuerprivilegien von Gruppen und Organisationen näher angeschaut."

"Botschafter des sozialen Zusammenhalts"

Am Samstag kündigte Wiens Stadtchef Ludwig via Twitter an, die Schirmherrschaft des Religions-Projekts "Botschafter des sozialen Zusammenhalts" zu übernehmen. Initiiert wurde es von Rabbiner Schlomo Hofmeister und Imam Ramazan Demir, mit dabei ist auch Generalvikar Nikolaus Krasa von der Erzdiözese Wien.

Ziel des Projekts laut Ludwig: Die Vertreter der drei monotheistischen Weltreligionen sollen an Schulen "die Gemeinsamkeiten bzw. Wurzeln der Religionen" aufzeigen – sowie ihre gemeinsame Geschichte und "gegenseitige Befruchtung". Damit soll interkultureller Austausch gefördert werden und dazu beitragen, "bestehenden oder aufkommenden Vorurteilen zu entgegnen und damit aktiv gegen Antisemitismus, Islamfeindlichkeit und Rassismus aufzutreten". (David Krutzler, Gabriele Scherndl, APA, 30.6.2021)