Es wird vor allem an Kanzler Kurz' Parteifreunden liegen, ihren Chef daran zu erinnern, dass Wahlerfolge etwas Schönes sind, aber die Schwächung demokratischer Normen nicht wert.

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Die ÖVP wird sich über die Frage von Hans Rauscher im Wochenend-STANDARD, wie viel von Viktor Orbán denn in Sebastian Kurz stecke, kaum gefreut haben. Den Vergleich der beiden Regierungschefs weisen die Türkisen stets vehement von sich.

Und tatsächlich ist, wie Rauschers differenzierte Analyse zeigt, Österreichs Demokratie mit der wachsenden Autokratie im Nachbarland nicht gleichzusetzen. Anders als in Ungarn wurde unter Kanzler Kurz noch keine einzige Kontrollinstitution – seien es Gerichte, Universitäten oder die wichtigsten Medien – zum Schweigen gebracht. Selbst die zu Recht heftig kritisierten Angriffe der ÖVP auf die Justiz bleiben vorerst aufs Verbale beschränkt.

Aber das liege nicht daran, so warnen Kritiker des ÖVP-Chefs, dass Kurz dem Modell Ungarn nicht nacheifern wolle, sondern daran, dass es ihm noch nicht gelungen sei. Auch Orbán habe mehrere Anläufe und Jahre gebraucht, um seine Macht einzuzementieren.

Hassgefühle gegenüber dem jungen Kanzler

Diese teils diffusen, teils konkreten Sorgen über Kurz' langfristige politische Ziele prägen die Diskussionen in vielen linksliberalen Kreisen und führen bei manchen zu echten Hassgefühlen gegenüber dem jungen Kanzler.

Beispiele für Länder, in denen Politiker nach einem Wahlsieg alles daransetzen, die einmal gewonnene Macht nicht mehr zu teilen, gibt es in der Welt genug: von Ungarn und Polen bis hin zu Brasilien, Mexiko und — zumindest als Versuch – den USA. Die Türkei, Russland oder Belarus zeigen auch, dass die Ablöse schwieriger wird, je länger ein solcher Autokrat regiert, weil die demokratischen Institutionen dann immer mehr erodieren.

Aber woran erkennt man, ob Politiker – in selteneren Fällen Politikerinnen – dies vorhaben oder dazu tendieren? Es ist wie bei Brettspielen oder im Sport: Den einen geht es vor allem ums Spiel, den anderen nur um den Sieg.

In der liberalen Demokratie ist das Spiel wichtiger als der Sieg. Da werden die Regeln nicht mittendrin verändert, wird auf Fairness geachtet und werden Niederlagen ritterlich akzeptiert. Wer sich aus ideologischem Sendungsbewusstsein, persönlichem Ehrgeiz oder korrupter Gier an die Macht klammert, der ist letztlich bereit, das Spiel zu zerstören.

Die ÖVP hat seit ihrem ersten Verlust der Kanzlerschaft 1970 als loyale Opposition oder unbedankter Junior-Koalitionspartner die demokratischen Spielregeln verlässlich eingehalten. Bloß Wolfgang Schüssel war kein guter Verlierer, aber auch er musste sich nach der Wahlniederlage 2006 fügen.

Suspekte Einstellung zur Macht

Kurz’ interner Putsch gegen Reinhold Mitterlehner war vom Wunsch getrieben, die ewige Verliererrolle abzuschütteln. Er tat das mit großem Erfolg. Das macht seine Einstellung zur Macht suspekt oder fördert zumindest fragwürdige Neigungen. Wie großmütig Kurz auf eine Niederlage reagieren würde, weiß niemand – vielleicht auch nicht er selbst.

Die Justiz ist dank der Grünen vor türkisen Komplotten recht sicher. Ein Lackmustest für die Einstellung der ÖVP zur Demokratie wird die Wahl des ORF-Chefs im Sommer sein. Die Einsetzung eines türkisen Vasallen wäre ein Warnsignal.

Es wird vor allem an Kurz’ Parteifreunden liegen, ihren Chef daran zu erinnern, dass Wahlerfolge etwas Schönes sind, aber die Schwächung demokratischer Normen nicht wert. Es ist das Spiel, das Österreich so erfolgreich macht, nicht der Sieger. (Eric Frey, 31.5.2021)