Überall in Frankreich – hier in der Bretagne – kämpfen die Bürgerinnen und Bürger für ihre regionalen Sprachen.

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Der Junge heißt Fañch, er wohnt in der Bretagne und ist vier Jahre alt. So lange dauert auch der Streit um seinen Vornamen – oder präziser: um die Tilde auf dem "n". Denn der französische Staat erachtet das Wellenzeichen als illegal.

Fañchs Eltern Lydia und Jean-Christophe Bernard merkten dies, als sie den Vornamen in ihrem bretonischen Wohnort Rosporden in den Geburtsschein eintragen wollten. Eine Tilde existiere nicht in der französischen Sprache, wurde ihnen deutlich gemacht.

Seither kämpfen die Bernards vor Gericht für ihr Recht. Sie sind nicht die Einzigen: Überall im Land setzen sich Bürger dafür ein, dass ihre Regionalsprache als offizielles Idiom zugelassen wird. Das gilt nicht nur für das Bretonische, sondern auch für das Elsässische, das Korsische, Okzitanische, Katalanische, Baskische, Fränkische oder Picardische – Letzteres durch die nordfranzösischen "Ch’tis" bekannt.

Rechnung ohne den Staat

Im April dieses Jahres erhielten die Sprachregionen politische Schützenhilfe: Abgeordnete der Macron-Partei La République en Marche brachten ein Gesetz durch die Nationalversammlung, das die finanzielle, schulische und administrative Förderung der regionalen Idiome vorsieht. Sie hatten die Rechnung ohne den Zentralstaat gemacht. Einer seiner mächtigsten Arme, der Verfassungshof, der die Einhaltung des Grundrechts von 1958 überwacht, hat vor wenigen Tagen die beiden wichtigsten Punkte des neuen Regionalsprachen-Gesetzes aufgehoben. Diakritische Zeichen werden ebenso verboten wie der "immersive" Regionalsprachunterricht. Zur Begründung verweist der Conseil Constitutionnel auf Artikel 2 der Landesverfassung, der unmissverständlich lautet: "Die Sprache der Republik ist Französisch."

Die bisherige Regelung, die noch aus dem 20. Jahrhundert stammt, gilt damit weiter: Regionalsprache dürfen nur an Privatschulen – in der Bretagne heißen sie "Diwan" – gelehrt werden. An öffentlichen Schulen werden die Idiome höchstens als Freifach angeboten. Mehr ist nicht zulässig.

Aussterbende Idiome

Die Folgen sind gravierend. Selbst in der Bretagne, die noch über eine starke regionale Identität verfügt, lernen nur acht Prozent der Grundschüler ihre keltische Sprache, und das mit mäßigem Erfolg. Die 58 Dialekte und Idiome, die vor allem in den Randregionen Frankreichs, also weit entfernt von Paris, gesprochen werden, sterben langsam aus.

Die Gründe für dieses autoritäre Verhalten liegen tief. Frankreich, das keltische, lateinische und germanische Wurzeln und eine streitbare gallische Seele hat, fürchtet bis heute die Zentrifugalkräfte an seiner Peripherie, das heißt das Auseinanderfallen der Nation. Föderalistische Nachbarn wundern sich über diese Ängste, erscheint ihnen doch Frankreich als ein Land mit einem gesunden Nationalstolz, getragen von starken Symbolen wie der Trikolore und der Marseillaise.

Die stets skeptischen Jakobiner in Paris trauen den Bürgern der Randregionen aber nicht zu, neben ihren regionalen Wurzeln auch patriotische Gefühle für Frankreich hegen zu können. Deshalb macht die französische Verfassung schon im ersten Artikel klar, dass die Republik "unteilbar" sei. Und auf der linguistischen Ebene sorgt die Académie Française seit dem 17. Jahrhundert und mit regelmäßigen Gesetzen dafür, dass die Bürger die gleiche Sprache benützen.

Unterstützung von ganz oben

Auch Franzosen ohne regionale Identität stören sich aber laut Umfragen mehr und mehr an dieser von oben – aus Paris – dekretierten Uniformierung. In den sozialen Medien hagelt es seit einer Woche Kritik am Entscheid des Verfassungshofs. Am Samstag demonstrierten tausende Menschen bei mehreren Protestdemos von der Bretagne bis ins Elsass, von Nordfrankreich bis ins Baskenland. Sogar Präsident Emmanuel Macron, der oberste Wächter der nationalen Einheit, hatte zuvor die Regionalsprachen verteidigt und gesagt, sie seien eine "Bereicherung" des nationalen Kulturerbes. "Die gleiche Farbe, die gleichen Akzente, die gleichen Worte – das entspricht nicht unserer Nation", kritisierte er erstaunlich deutlich. (Stefan Brändle aus Paris, 31.5.2021)