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Wenn Mütter zu ihren Söhnen ein sehr inniges Verhältnis haben (Symbolbild).

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Frage:

Ich bin seit vier Jahren mit meinem Partner zusammen. Als ich seine Eltern (relativ bald) kennengelernt habe, hat mich eine Sache irritiert. Und zwar, dass ihn seine Mutter regelmäßig auf den Mund küsst. Bei der Begrüßung und Verabschiedung habe ich mir noch gedacht, okay, das machen viele Familien so, und mir nichts weiter gedacht. Später habe ich bemerkt, dass sie sich auch bei einem längeren Beisammensein häufiger Küsse von ihm "holt". Sie sagt dann: "Bekomme ich ein Bussi von meinem Sohn?" oder umarmt ihn, sagt, wie schön es ist, dass wir da sind, und spitzt die Lippen.

Mein Kopf sagt mir, dass es die Sache der beiden ist, wie sie ihre Mutter-Sohn-Beziehung gestalten. Gleichzeitig habe ich ein komisches Bauchgefühl. Für mich ist ein Kuss auf den Mund etwas Inniges, das man mit einem Partner oder einer Partnerin teilt. Mir sind die Situationen, in denen sie einander Bussis geben, immer irgendwie unangenehm, und ich habe den Eindruck, ihm auch. Ich schau dann immer weg, und aus dem Augenwinkel sehe ich, dass er checkt, ob ich das jetzt gesehen habe. Kann und soll ich ihn darauf ansprechen? Und wenn ja, wie? Wir haben eine schöne, harmonische und enge Beziehung und eine super Gesprächsbasis, aber das ist irgendwie eine Thema der anderen Art, bei dem es mir schwerfällt, darüber zu reden. Zumal ich seine Mutter wirklich sehr gerne mag. Mit vielen Schwiegermüttern ist es kompliziert, mit ihr nicht. Sie ist eine nette, fürsorgliche und lustige Frau.

Danke für Ihre Meinung zu meinem "Problem"!


Antwort von Linda Syllaba

Ich denke, dass Ihre Beziehung nach vier Jahren Innigkeit und super Gesprächsbasis tragfähig genug sein sollte, um Ihr Anliegen direkt beim Partner vorzubringen. Da Sie nach meiner Meinung gefragt haben, bestätige ich Ihnen gerne, dass ich es ähnlich wie Sie sehe, nämlich dass es unpassend ist, den erwachsenen Sohn auf den Mund zu küssen. Der Kuss auf den Mund gilt in unserem Kulturkreis als etwas Intimes, das Liebende austauschen – gerne auch im Zuge des körperlichen Liebesakts. Also Sexualität, und die ist definitiv nicht vorgesehen zwischen Mutter und Sohn.

Die erste Frau in seinem Leben war seine Mutter, da war er noch Kind. Nun sind Sie da und nehmen den Platz an seiner Seite ein. Als Mann und Frau.

Linda Syllaba ist diplomierte psychologische Beraterin, Familiencoach nach Jesper Juul und Mutter. Sie ist Autorin der Bücher "Die Schimpf-Diät" (2019) und "Selfcare für Mamas" (2021).
Foto: Bianca Kübler Photography

Für viele Mütter ist es schwer, die eigenen Kinder loszulassen, es fühlt sich nach deren Beschreibung selbst im Erwachsenenalter immer noch an, als wäre der eigene Sohn oder die Tochter ein (kleines) Kind. Doch das gilt es nachreifen zu lassen, selbst wenn es nur ein inneres Bild ist, das da erwachsen werden muss. Ob bei der Mutter oder beim Sohn, es kann ja beide Seiten betreffen.

Dieser Ablösungsprozess ist für jeden Menschen enorm wichtig. Wenn Sie weiterhin als Paar zusammenbleiben wollen, vielleicht sogar eine eigene Familie gründen wollen, empfehle ich Ihnen dringend, den Abnabelungsprozess zu thematisieren und voranzutreiben. Sie werden Ihren Partner in seiner vollen, "erwachsenen" Kraft und Eigenverantwortung brauchen.

Nun ist es ja etwas wirklich Schönes, wenn die beiden einander sehr zugeneigt sind, doch gibt es auch da Grenzen. Und, wie ich verstehe, touchiert das Thema Ihre.

Sie müssen Ihre persönlichen Grenzen genauso aufzeigen (dem Partner gegenüber), wie Ihr Partner das tun muss – natürlich auch Ihnen, doch in diesem Fall seiner Mutter gegenüber. Er darf seine Mutter selbstverständlich weiterhin lieben und wird bestimmt eine andere Form finden, seine Zuneigung auszudrücken. Und die Mutter auch. (Linda Syllaba, 1.6.2021)


Antwort von Hans-Otto Thomashoff

Offenbar geht es in diesem Beispiel ausnahmsweise einmal um Kindererziehung aus der Retroperspektive. Nicht nur das, ist es zugleich faszinierend zu sehen, wie "einfach kompliziert" (Thomas Bernhard) das Leben manchmal sein kann. Wie das kommt? Es liegt daran, dass unser Gehirn so flexibel aufgebaut ist, dass wir lernen, was man uns beibringt, und das so Gelernte dann für "normal" halten, solange wir nicht eines Besseren belehrt werden. Die nicht enden wollenden Mutterküsse sind natürlich kein existenzielles Problem, da hat Ihr Verstand recht. Insofern stellt sich die Frage, was daran denn änderungswürdig ist. Warum nicht Augen zu und durch und lächeln, schließlich leben wir ja in einer Gesellschaft, wo die Art der Zuneigungsbekundungen jedem freisteht, was gut ist; ebenso steht jedem frei, das Objekt seiner Zuneigungen frei zu wählen, sofern er von Minderjährigen absieht, was ebenfalls gut ist.

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
Foto: Andrea Diemand

Ihr Bauchgefühl jedoch rebelliert, weil es spürt, dass der Kuss auf die Lippen nicht einfach nur ein Kuss auf die Lippen zu sein scheint, sondern auch eine Form der Zuneigungsbekundung, die zugleich einen Besitzanspruch zu signalisieren scheint. Und der stört sie. Und das ist nachvollziehbar, denn was ich über die Kinderbeziehung immer wieder schreibe, gilt auch für die Elternbeziehung: Die eigene Partnerschaft geht vor.

Auch Ihren Freund scheint diese in der Kussszene versteckte Botschaft zu stören, denn auch für ihn scheinen die Küsse weniger Genuss als Pflicht zu sein, was wenig überrascht, kommt für ihn doch zum möglichen Besitzanspruch durch seine Mutter noch die Wirkung auf sein Selbstbild als erwachsener Mann hinzu, sich selbst, Ihnen und anderen Zeugen der Szene gegenüber. Da es ihm unangenehm zu sein scheint, spricht nichts dagegen, über die Situation mit ihm zu reden, am besten mit der Schilderung Ihres Gefühls, dass Ihnen das komisch vorkommt, als Einstieg. Gemeinsam können Sie dann überlegen, wie Sie mit der Situation umgehen wollen – der Mutter Ihre mutmaßlich liebenswerte Marotte zu lassen oder aber danach zu streben, sie zu begrenzen.

Ist Letzteres Ihre gemeinsame Entscheidung, sollte Ihr Freund das Gespräch mit seiner Mutter suchen. Er müsste ihr liebevoll deutlich machen, dass er finde, dass nun das Alter gekommen sei, wie ein erwachsener Mann die Küsse für seine Auserwählte zu reservieren, was allerdings aus seiner Sicht der Mutterliebe in keine Weise Abbruch tue, schließlich gebe es für ihn auf immer und ewig nur die eine Mutter. Sie merken, ein wenig Augenzwinkern sollte dabei helfen, der Lage den Ernst zu nehmen, den sie ja bei näherer Betrachtung auch nur begrenzt hat. (Hans-Otto Thomashoff, 1.6.2021)