Der grönländische Eisschild nähert sich einem Punkt, an dem die Ereignisse nicht mehr umgekehrt werden können: Der Eisverlust durch den Klimawandel ist in den zentral-westlichen Gebieten bald nicht mehr aufzuhalten – und würde selbst bei einem Stopp der Erderwärmung weiter voranschreiten. Die arktische Schmelze hat aber nicht nur dramatische Folgen für den Meeresspiegel und das Klimasystem, etwa durch eine Schwächung des Golfstroms. Es werden dabei auch große Mengen an Quecksilber freigesetzt, die mit dem Schmelzwasser in den Ozean gelangen, wie ein internationales Forscherteam im Fachblatt "Nature Geoscience" berichtet.

Das giftige Schwermetall gelangt über Schmelzwasserflüsse in den arktischen Ozean – und reichert sich im Ökosystem an.
Foto: Rue Perkins

Eigentlich wollten die Wissenschafter die Nährstoffzusammensetzung in Schmelzwasserabflüssen am südwestlichen Rand des grönländischen Eisschilds und an den flussabwärts gelegenen Fjorden untersuchen. Doch bei ihren Analysen sprangen ihnen extrem hohe Quecksilberwerte ins Auge: Nach Angaben der Forscher liegt der typische Gehalt an gelöstem Quecksilber in Flüssen, die nicht durch Industrie stark verunreinigt sind, bei etwa einem bis zehn Nanogramm pro Liter. In den Wasserproben fanden sich jedoch mehr als 150 Nanogramm pro Liter, dazu kamen mehr als 2.000 Nanogramm ungelöste Quecksilberpartikel pro Liter.

Anreicherung im Ökosystem

"Das gehört zu den höchsten Konzentrationen von gelöstem Quecksilber, die je in natürlichen Gewässern gemessen wurden", sagte Jon Hawkings vom Deutschen Geoforschungszentrum in Potsdam und der Florida State University, der Erstautor der Studie. "Und die hohen Werte bleiben auch in flussabwärts gelegenen Fjorden bestehen, was ein potenzielles Risiko der Anreicherung in küstennahen Nahrungsnetzen mit sich bringt."

Gelangt das Schwermetall ins Wasser, wird es in Form des hochgiftigen Methyl-Quecksilbers von Tieren aufgenommen und verbreitet sich in der Nahrungskette. Durch den Verzehr von belastetem Fisch und Meeresfrüchten wird es so auch zu einer Gefahr für Menschen. In der Umwelt kommt Quecksilber natürlich vor und kann durch Prozesse wie Erosion, Vulkanausbrüche oder Waldbrände freigesetzt werden. Zum anderen sorgen menschliche Aktivitäten dafür, dass gebundenes Quecksilber wieder in den Stoffkreislauf gelangt – vor allem durch die Nutzung fossiler Brennstoffe und den Bergbau.

Die Quecksilberwerte im grönländischen Schmelzwasser waren zehnmal höher als in durchschnittlichen Flüssen.
Foto: Marie Bulínová

Lösungen gesucht

Für die Freisetzung im grönländischen Eis ist der menschlich verursachte Klimawandel mitverantwortlich. Die Forscher nehmen an, dass das Quecksilber aus Gestein unter den Gletschern stammt und dort von Eismassen abgeschmirgelt wird. Auch geothermische Prozesse könnten dabei eine Rolle spielen. Durch die fortschreitende Erwärmung und zunehmende Eisschmelze werden immer größere Mengen davon in den Atlantik gespült. "Der Export von gelöstem Quecksilber aus dieser Region muss global gesehen als signifikant eingeschätzt werden", sagte Hawkings. Es handle sich um bis zu 42 Tonnen pro Jahr, das würde etwa zehn Prozent des geschätzten globalen Flussexports in die Ozeane entsprechen.

Die Wissenschafter warnen davor, die wachsende Gefahr dieses giftigen Eintrags zu unterschätzen: "Alle bisherigen Bemühungen um den Umgang mit Quecksilber gehen von der Vorstellung aus, dass die steigenden Konzentrationen, die wir im gesamten Erdsystem beobachten, in erster Linie von direkten anthropogenen Aktivitäten stammen", sagte Hawkings. "Aber Quecksilber, das aus klimatisch empfindlichen Umgebungen wie Gletschern stammt, könnte eine Quelle sein, die viel schwieriger zu handhaben ist." (dare, 31.5.2021)