M.B. wird seit über neun Jahren im Maßnahmenvollzug (Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher) angehalten. Bei der jährlichen Überprüfung hat das Gericht die bedingte Entlassung abgelehnt, weil der Gerichtssachverständige eingeschätzt hat, dass M.B. noch nicht so weit ist. Zugleich hat der Sachverständige aber Vollzugslockerungen empfohlen.

Vollzugslockerungen ("Anhaltung im gelockerten Vollzug") stellen Erleichterungen während der Anhaltung dar. Diese reichen von der Anhaltung ohne Verschließung der Aufenthaltsräume am Tag über Beschränkung und Entfall der Bewachung bei der Arbeit in der Anstalt und über begleitete Ausgänge bis hin zu unbegleiteten Ausgängen.
Auf solche Lockerungen hatten Untergebrachte ein Recht, wenn es organisatorisch möglich und ein Missbrauch nicht zu erwarten war. Außerdem konnte, nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs, bei Verweigerung durch die Justizanstalt an das Gericht Beschwerde erhoben werden (VwGH 2010/06/0010). Nach dem Oberlandesgericht Wien jedoch nur gegen die Verweigerung von Vollzugslockerungen an sich. Welche der Vollzugslockerungen konkret gewährt werden, stand auch bisher schon in der alleinigen Entscheidung der Justizanstalt, ohne dass ein Gericht diese überprüfen durfte (OLG-Wien 33 Bs 397/16y; 33 Bs 168/14v).

Vollzugslockerungen stellen Erleichterungen während der Anhaltung dar.
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Sachverständiger empfiehlt – Anstalt verweigert

In diesem Sinne wandte sich M.B. an das Gericht, weil ihm der Leiter der Justizanstalt keine einzige der Vollzugslockerungen gewährte und seinen Antrag zur Gänze abgewiesen hatte. M.B. berief sich darauf, dass der Sachverständige im gerichtlichen Entlassungsverfahren Vollzugslockerungen ausdrücklich empfohlen hatte und Untergebrachte so gut wie nie aus der Anstalt entlassen werden, ohne dass sie sich zuvor in Vollzugslockerungen bewährt haben.

Das Landesgericht für Strafsachen Graz hat seine Beschwerde dennoch abgewiesen, mit der Begründung, dass in seinem Fall ein unüberwachtes Verlassen der Anstalt nicht vertretbar sei. Das Gericht hat sich dabei weder mit der ausdrücklichen Empfehlung des Sachverständigen auseinandergesetzt noch damit, dass es eine Reihe von Vollzugslockerungen ohne unüberwachtes Verlassen der Anstalt gibt und die Auswahl der konkreten Lockerungen (beispielsweise hausinterne Lockerungen oder begleitete Ausgänge) ohnehin in der (unüberprüfbaren) Entscheidungsgewalt der Justizanstalt liegen.

Gericht verweigert Überprüfung

M.B. erhob daher Beschwerde an das Oberlandesgericht Wien. 2014 wurde dem Verwaltungsgerichtshof die Zuständigkeit für Straf- und Maßnahmenvollzugssachen entzogen und für solche Vollzugssachen das Oberlandesgericht Wien (nicht der Oberste Gerichtshof) als Höchstgericht für ganz Österreich festgelegt. In Straf- und Maßnahmenvollzugssachen kann nicht einmal die Generalprokuratur, wie sonst gegen jegliche Vorgänge bei Strafgerichten, den Obersten Gerichtshof anrufen.

Dieses Oberlandesgericht Wien ist nun von der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofs und seiner eigenen bisherigen (ohnehin schon restriktiven) Judikatur abgegangen und hat Untergebrachten auch noch die letzten Minirechte genommen. Es hat die Prüfung der Frage, ob M.B. Vollzugslockerungen zustehen, grundsätzlich verweigert. In Umkehrung der bisherigen Judikatur gewährt es nämlich nur mehr dann ein Recht auf gerichtliche Überprüfung, wenn ganz konkrete, zeitlich und örtlich eingegrenzte Lockerungen beantragt werden (OLG Wien 29.04.2021, 32 Bs 18/21p). Also beispielsweise ein begleiteter Ausgang am Tag X von (Uhrzeit) bis (Uhrzeit) zur Örtlichkeit Y. Eine solche zeitliche und örtliche Eingrenzung, die ja von den organisatorischen Gegebenheiten der jeweiligen Justizanstalt abhängig ist, stellt für Untergebrachte so gut wie immer ein Ding der Unmöglichkeit dar. Und wenn sie es ausnahmsweise einmal doch vermögen, so wird das beantragte Datum bis zur Entscheidung des Gerichts (sowohl der Anstaltsleiter als auch danach das Gericht haben vom Gesetz für ihre Entscheidungen je sechs Monate Zeit) bereits vergangen sein und die Beschwerde wegen Gegenstandslosigkeit zurückgewiesen.

Mühle auf, Mühle zu

Hatten Untergebrachte bisher wenigstens das Recht auf eine gerichtliche Entscheidung, ob Vollzugslockerungen überhaupt (wenn auch nicht, welche konkret) eingeleitet werden müssen oder nicht, so haben sie nun gar kein wirksames Recht mehr auf irgendeine gerichtliche Überprüfung. Die Anstalt entscheidet allein, endgültig und unüberprüfbar.

Gegen das übliche Mühle-auf-Mühle-zu-Spiel (keine Entlassung, weil noch keine Vollzugslockerungen, und keine Vollzugslockerungen, weil vom Gericht nicht entlassen) können sich Untergebrachte jetzt faktisch gar nicht mehr wehren. Das Landesgericht für Strafsache Wien hatte dieses Mühle-auf-Mühle-zu-Spiel 2016 als "geradezu unerträglich" bezeichnet und der Justizanstalt die Einleitung von Vollzugslockerungen aufgetragen (14.03.2016, 192 Bl 70/15m). Das ist – nach der neuen Entscheidung des Oberlandesgerichtes Wien – heute nicht mehr möglich. Insassen von Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher sind jetzt nicht mehr nur (potenziell lebenslang) weggesperrt, sondern insoweit auch rechtlos. Der von der Justizministerin und dem Innenminister jüngst vorgestellte Reformentwurf sieht diesbezüglich keine Änderung vor. (Helmut Graupner, 1.6.2021)