Von links: Manuel Scherscher (Initiative Gemeinsam sicher im Bundeskriminalamt), Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), Kanzleramtsministerin Susanne Raab (ÖVP) und Ulrike Schiesser (Bundesstelle für Sektenfragen) im Rahmen einer Pressekonferenz am Montag.

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Er besucht Überlebenstrainingskurse, rechnet damit, dass das Wirtschaftssystem bald zusammenbrechen wird, und überlegt, sich eine Waffe zuzulegen. Mit diesen Schilderungen meldete sich in den vergangenen Monaten die verzweifelte Partnerin eines radikalisierten Mannes bei der Bundesstelle für Sektenfragen. Es ist ein Beispiel von vielen, das den Boom von Verschwörungstheorien seit der Corona-Pandemie verdeutlicht.

Seit März 2020 melden sich verstärkt Angehörige zum Thema Verschwörungstheorien bei der Beratungsstelle. Zumeist ist das Umfeld schockiert davon, wie rasch sich bei manchem Familienmitglied oder Freund ein Gesinnungswandel vollzogen hat, berichtete Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen am 31. Mai im Rahmen einer Pressekonferenz. So kämen die ins Verschwörungsmilieu abgedrifteten Personen eigentlich oft aus dem links-alternativen Milieu und teilten plötzlich rechtsradikale Inhalte in sozialen Medien. Insgesamt würden die Theorien nicht nur häufiger, sondern auch irrationaler und extremer.

Kinder als "letzte Eskalation"

Ein anderes Beispiel einer Angehörigen: Der Bruder überredete die 82-jährige Mutter, ihren Impftermin abzusagen, mit dem Argument, dass ihr dabei ein Chip implantiert werde. Die "letzte Eskalation", sagt Schiesser, sei schließlich, wenn die Kinder in den Mittelpunkt rücken: Wenn diese etwa panische Angst davor haben, Masken zu tragen, oder aufgrund ihrer Eltern die Tests in Schulen verweigern.

Was den Umgang mit Verwandten und Bekannten betrifft, die in ein einschlägiges Milieu abrutschen, empfiehlt Schiesser: "Offen sein, zuhören, Kontakt nicht abbrechen. Aber auch: ganz klar Position beziehen. Aussprechen: Das ist ein Mythos, das ist rechtsradikal."

Maßnahmen

Die Behörden wollen nun mittels einer Informationskampagne in sozialen Medien gegensteuern. Acht Großdemonstrationen mit insgesamt 45.000 Teilnehmern habe es alleine im Jahr 2021 gegeben, führte Manuel Scherscher, Leiter der Initiative "Gemeinsam Sicher", aus. Diese Personen seien solche mit Existenzängsten, aber auch Fundamentalisten und Rechtsextreme, die bewusst den Maßnahmenkritikerdiskurs gekapert hätten. Wenn Personen verletzt werden – Scherscher spielte auf einen Security-Mitarbeiter an, der im Zuge einer Demo angegriffen wurde – oder in Foren Gewaltfantasien und Angriffspläne ausgetauscht werden, dann sei "eine rote Linie überschritten".

Im bundesweiten Netzwerk für Extremismusprävention und Deradikalisierung arbeite daher eine Gruppe an Empfehlungen zum Umgang mit diesen Gruppierungen. Im Rahmen von "sozialen Stammtischen" sollen Angehörige zudem die Möglichkeit bekommen, sich auszutauschen.

Ermittlungen laufen

Es gehe nicht um eine "harmlose Spinnerei", sondern eine "brandgefährliche Entwicklung in unserer Gesellschaft" – oft mit antisemitischem Kern, sagte Kultusamtsministerin Susanne Raab (ÖVP) dazu. "Verschwörungstheorien greifen die Grundsäulen unserer Demokratie an." Die Tatsache, dass Verschwörungstheoretiker dazu neigen sich zu immunisieren, alarmiere auch die Polizei, sagte Innenminister Karl Nehammer (ÖVP). "Das bedeutet, dass sie besonders gefährlich werden können, weil sie dadurch Angriffe legitimieren." Die extreme Rechte versuche aktuell eine "Jahrhundertchance" zu nutzen, um die politische Bühne wieder zu betreten.

Was die Ermittlungen rund um die Gruppe an Corona-Leugnern betrifft, die mutmaßliche Angriffe auf die Polizei planten und bei denen jüngst im Zuge einer Razzia Waffen gefunden wurden, sagte Nehammer: "Es handelt sich um ein laufendes Verfahren, die Ermittlungen gehen in alle Richtungen." Nach wie vor werde geprüft, ob unter den Personen auch (ehemalige) Angehörige des Bundesheeres seien. Das Verteidigungsministerium hat dem STANDARD schon vor einigen Tagen bestätigt, dass ein ziviler Beamter des Bundesheeres darunter ist. (Vanessa Gaigg, 31.5.2021)