Der Gastkommentar des burgenländischen SPÖ-Landesgeschäftsführers Roland Fürst über den Zustand seiner Partei sorgt für Widerspruch. Politologe Anton Pelinka kritisiert die Thesen des Roten scharf.

Der "Versöhnungsversuch in Rot" des Landesgeschäftsführers der SPÖ Burgenland ist eine Brautwerbung, die Hans Peter Doskozil an Herbert Kickl schickt. Nichts, was in Roland Fürsts Ausführungen zu lesen ist, kann Kickl missfallen. Alles, was vom Brautwerber der umworbenen Braut übermittelt wird, muss dieser gefallen: die Erfindung eines Feindbildes ("das dritte Geschlecht"); die Vermeidung jedes Bezugs zur Europäischen Union und zur Logik des europäischen Binnenmarktes; die Attacken auf die "Lifestyle-Linken", die "lebensfremden Bobos und Pseudolinken". Das alles könnte von Jörg Haiders einstigem Ghostwriter formuliert sein.

Ist öfter auch gern ganz anderer Meinung als seine Parteichefin Pamela Rendi-Wagner: der burgenländische Landeshauptmann Hans Peter Doskozil.
Foto: APA / Herbert Neubauer

Fürst beruft sich auf die "tradierten Grundsätze" seiner Partei. Aber wurde zu diesen Prinzipien nicht einmal auch die "internationale Solidarität" gezählt? In einer verzwergten Sozialdemokratie, deren Horizont nur vom Neusiedler bis zum Bodensee reicht, ist für diesen Grundsatz kein Platz. Denn das Projekt Doskozil ist ein nationales Plädoyer für einen nationalen Klassenkampf.

Fürsts Sorge um die "Menschen in Österreich", die "trotz Vollzeitjobs und ohne Zusatzjobs oder Vererbtes nicht überleben" können, klingt falsch. Denn die wirklich sozial Vernachlässigten kommen in der Argumentation des Brautwerbers nicht vor: Hunderttausende, die seit vielen Jahren in Österreich leben und denen der Zugang zur Staatsbürgerschaft (und damit zur politischen Mitbestimmung) faktisch verwehrt wird; zehntausende EU-Bürgerinnen und -Bürger, ohne deren Arbeit das Gesundheits- und Sozialsystem Österreichs zusammenbrechen müsste und denen keine türkise, sondern eine türkis-blaue Regierung die Familienbeihilfe reduziert hat.

Verweigerte Solidarität

Dem Argument des burgenländischen Landesgeschäftsführers, man müsse zwischen "Migration" und "Asyl" unterscheiden, kann nicht widersprochen werden. Aber wie ist es mit den Menschen, die auf griechischen oder italienischen Inseln landen? Wer unterscheidet zwischen denen, die vor einer Diktatur fliehen mussten und Anspruch auf Asyl haben, und denen, die sich "nur" ein besseres Leben in Europa erhoffen? Österreich (und da teilen sich Sebastian Kurz und Doskozil und Kickl in einer unheiligen Allianz die Verantwortung) verweigert jede Solidarität nicht nur mit den Gestrandeten, sondern auch gegenüber Griechenland und Italien.

"Integration vor Zuzug" ist eine Formel, der man zustimmen kann. Was bedeutet aber Integration für den Werber um Kickls Gunst? Integration ist bei Fürst eine Überschrift ohne Inhalt. Förderungsprogramme in Form von Deutschkursen in allen Schulen statt Segregation zwischen "echten" und "unechten" Österreicherinnen und Österreichern? Schaffung von Anreizen zu sozialem Aufstieg von "Fremden" durch Bildung? Verzicht auf Diskriminierung von EU-Bürgerinnen und -Bürgern, im Sinne der Kritik der Europäischen Kommission? Erleichterung des Erwerbs der Staatsbürgerschaft? Solche Inhalte müssten Kickl missfallen. Fürst gibt sich als Sprecher der "Unterprivilegierten", die von der SPÖ wieder zurückgewonnen werden sollen. Er meint damit offenbar die Kinder derer, die ab den 1980er-Jahren die Haider-FPÖ zur größten Arbeiterpartei Österreichs gemacht haben. Will er, um sein Ziel zu erreichen, eine Doskozil-SPÖ als bessere Haider-Partei? Die Wählerinnen und Wähler von Haider und Heinz-Christian Strache haben FPÖ gewählt, weil sie den fremdenfeindlichen Parolen dieser Partei gefolgt sind. Soll die SPÖ diese Parolen überbieten?

Es gibt eine gute Nachricht: Die Ehe Doskozil-Kickl mag zwar zustande kommen, sie wird aber auch in einem neu gewählten Nationalrat keine Mehrheit finden.

Die europäische Dimension muss Fürst natürlich ausblenden. Denn sonst würde er als Brautwerber die Umworbene verärgern, noch bevor er diese für den Bräutigam gewonnen hat. Und deshalb ist sein Schweigen mindestens so aussagestark wie seine Polemik gegen "Bobos" und "Pseudolinke". Die Braut wird nicht erwähnt. Fürst wirbt nur indirekt um sie. Denn es wäre innerhalb der SPÖ zu gewagt, die FPÖ zu loben. Die FPÖ zu kritisieren, das aber müsste die Braut verletzen. Aus eben diesem Grund muss auch Europa ausgeklammert werden. Das Thema EU wäre ein Hindernis, das noch vor dem Erreichen des Zieles die Verbindung von Bräutigam und Braut verhindern könnte: Sich für die Stärkung, also für die Vertiefung der EU einzusetzen, das geht mit der FPÖ gar nicht. Und für einen Austritt aus der EU, dafür ist die SPÖ (noch?) nicht zu gewinnen.

Der burgenländische Landesgeschäftsführer nennt in seiner Kritik keine Namen. Wer hat denn "die SPÖ zu einer Sekte verkommen lassen"? Franz Vranitzky, Heinz Fischer, Pamela Rendi-Wagner? Fürst wirft mit populistischen Gemeinplätzen um sich. Aber wenn es darum geht, die Verantwortlichen für den aus seiner Sicht miserablen Zustand der SPÖ auszumachen, verlässt den Landesgeschäftsführer der SPÖ Burgenland plötzlich der Mut. Da weicht er zurück, denn sonst würde er riskieren, dass der Bräutigam in spe von Teilen seiner Gefolgschaft verlassen wird. Dann könnte Doskozil selbst als Sektenführer dastehen, als Kaiser ohne Kleider, und hätte so seiner Braut nichts zu bieten.

Es gibt eine gute Nachricht: Die Ehe Doskozil-Kickl mag zwar zustande kommen, sie wird aber auch in einem neu gewählten Nationalrat keine Mehrheit finden. Sebastian Kurz, dessen taktische Fähigkeiten schon oft unterschätzt wurden und der im Zweifel den Populismus einer Doskozil-SPÖ spielend überbieten kann, wird eine Regierung Doskozil-Kickl zu verhindern wissen. Und auch der Widerstand in der SPÖ wäre zu stark, wenn deutlich wird, was da in Gang gesetzt werden soll: ein Wettlauf mit sozialdemokratischer Beteiligung, ein Wettbewerb um die Rolle eines österreichischen Donald Trump oder Viktor Orbán. (Anton Pelinka, 1.6.2021)