Der grüne Parlamentarier Michel Reimon hat von seiner Covid-Infektion nichts mitbekommen.

Foto: APA

Zuerst kamen Müdigkeit und Leistungsschwankungen. "Ein paar Tage Vollgas, ein paar Tage kaputt", schreibt Michel Reimon auf Facebook. Mehr als 1.100-mal wurde das Posting des grünen Nationalratsabgeordneten bis Montag geteilt: "Ich habe Long Covid, und es ist schwierig." Vor rund einem Monat sei ihm die Diagnose gestellt worden. Von einer Corona-Infektion habe er "völlig ohne Symptome" nichts mitbekommen.

Mehr als 1,100-mal wurde das Posting des grünen Nationalratsabgeordneten Michel Reimon geteilt. Darin erzählt er offen von seinen Long-Covid-Symptomen.

Ab Dezember sei Reimon "leistungsmäßig immer öfter am Limit" gewesen. Er legte seinen Twitter-Account still, kappte berufliche und private Beziehungen, legte sein Doktoratsstudium auf Eis. Ende Jänner erlitt er einen epileptischen Anfall, Mitte April den nächsten. Die MRT-Befunde waren beide Male unauffällig, auch sonst fanden die Ärzte nichts. Erst ein positiver Corona-Antikörpertest brachte Gewissheit, schreibt er.

Rund zehn bis 20 Prozent der Covid-19-Patienten leiden laut Schätzungen an Folgen der Erkrankung, wobei Frauen zwischen 20 und 40 Jahren besonders häufig betroffen sind. Das britische National Institute for Health and Care Excellence (Nice) definiert unter Long Covid eine Vielzahl von Symptomen, die mehr als zwölf Wochen nach Beginn der Infektion bestehen bleiben – am häufigsten davon sind chronische Erschöpfung, Schwäche, Gedächtnisstörungen, Atemnot, Brustschmerzen, aber auch Kreislaufschwäche und Schlafstörungen.

In vielen Fällen sind die Symptome aber nicht durch die körperliche Belastung wegen eines Aufenthalts auf einer Intensivstation, psychiatrische Diagnosen oder Organschäden infolge einer Covid-Infektion zu erklären. "Bei Long Covid muss nach der Repräsentationsform unterschieden werden", sagt der Neurologe Michael Stingl, der sich auf die Behandlung von Long-Covid-Patienten spezialisiert hat. In seine Praxis kommen Menschen, die auch Monate nach ihrer Erkrankung unter Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen sowie unter chronischer Erschöpfung leiden.

Ursache nicht geklärt

Nach einer Covid-19-Infektion könne es zu "Fehlfunktionen des Nervensystems kommen", erklärt Stingl. Der Grund dafür sei aber meistens keine direkte Schädigung des Gehirns, sondern vermutlich eine überschießende Immunreaktion. Was genau diese auslöst, ist noch nicht abschließend geklärt.

Möglich wäre es, dass auch nach einer Erkrankung noch Restbestände des Virus im Körper sind, die das Immunsystem nach wie vor triggern. Oder dass die Erkrankung auch andere im Körper schlummernde Viren aktivieren kann.

Epileptische Anfälle hat Stingl in diesem Zusammenhang noch nicht beobachtet. Nach einer Infektion können sich Krampfneigungen aber grundsätzlich verstärken. Eine kürzlich veröffentlichte Fallstudie hat einen epileptischen Anfall als mögliches Long-Covid-Symptom bei einem 71-jährigen Mann dokumentiert. Auch hier vermuten die Wissenschafter eine anhaltende Entzündung als Ursache.

Für Patienten, deren Beschwerden nicht auf Organschäden oder psychiatrische Diagnosen zurückzuführen sind, gebe es derzeit fast keine Therapieangebote, sagt Stingl. "Es braucht hier eine Differenzierung", sagt er. Denn bei diesen Patienten würde sich der gesundheitliche Zustand verschlimmern, wenn sie ihren Körper, etwa durch klassische Reha-Programme, zu sehr aktivieren. Anstelle eines Leistungsansatzes müsse hier ein Ansatz des "Pacing" verfolgt werden. Das bedeutet: Die eigenen Energiegrenzen müssen akzeptiert und Leistungssteigerung dürfen nur sehr langsam vorgenommen werden. "Diese Angebote hätte man schon vor einem halben Jahr schaffen müssen", sagt Stingl. "Es wurde viel zu lange gewartet."

Zwist um Reha-Zentren

Am Wochenende forderten die Gesundheitsreferenten der Länder neben der Einbeziehung der Reha-Kosten für Long-Covid-Patienten in die Sozialversicherung auch Long-Covid-Reha-Zentren. Der Reha-Plan, der bis 2025 gilt und in dem Covid noch nicht vorkommt, müsse rasch überarbeitet werden, sagte Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) am Montag im Ö1-"Morgenjournal". Der Dachverband der Sozialversicherungsträger sah keinen Bedarf für eigene Reha-Zentren. Dessen Vorsitzender Peter Lehner sagte zur APA, dass es nicht die eine Erkrankung, sondern unterschiedliche Krankheitsbilder gebe. Die Patienten würden deshalb den jeweiligen Reha-Einrichtungen zugeteilt – das sei wirksamer und nachhaltiger als eigene Long-Covid-Einrichtungen.

Ein Angebot für Personen, die Corona überstanden haben, gibt es in Oberlaa. Insgesamt habe es ihr gutgetan, sagt eine Frau, die dort vor kurzem sechs Wochen lang eine ambulante Reha absolviert hat. Doch habe es vor allem in Bezug auf die Fitness geholfen. Andere Symptome – etwa ihre Schlafprobleme – habe sie durch die Therapie nicht in den Griff bekommen. Bei dem Reha-Programm gebe es offenbar ein "Patentrezept", sagt sie: "Wieder fit werden." (Eja Kapeller, Oona Kroisleitner, 1.6.2021)