Fevzi Sakar und Sohn Aytug an der Glutgrube, wo Kokoreç, Uykuluk und andere Innereien der Extraklasse gegrillt werden.
Foto: Gerhard Wasserbauer

Dass die türkische Küche neben der französischen und chinesischen einst als eine der raffiniertesten überhaupt gegolten hat, lässt sich in unseren Breiten kaum noch nachschmecken. Sicher, ein ehrenwerter Döner gehört zu den großen Freuden der Sandwichkultur. Nur: Wo bekommt man den in Wien?

Früher war da noch mehr zu holen. So erinnern ältere Semester eine Phäakenhöhle namens Kervansaray in der Mahlerstraße als jenen Ort, von dem aus Familie Doğudan (Do & Co) in den Tiefen der 1970er die Eroberung Wiens und des Rests der Welt in Angriff genommen hatte. Döner und andere Finessen der türkischen Küche gab es hier über Jahrzehnte in tadelloser Vorrichtung. Ist aber lange vorbei und war zum Schluss zur durchaus ernsthaften Prüfung der Geschmacksnerven verkommen.

Jetzt aber tut sich wieder etwas. In der Gegend um den Viktor-Adler-Markt, wo die extreme Rechte sich in Wahlkampfzeiten auf Schweinefleischpflicht im Kindergarten und andere Grundwerte schrumpfaustriakischer Leitkultur einschwört, hat sich – durchaus kontrapunktisch – in den vergangenen Jahren ein Qualitätscluster türkischer und mittelöstlicher Lebensfreude etabliert. Kurz nach dem ersten Lockdown kam mit dem Baba Kokoreç ein besonders hell leuchtender Stern dazu. Betreiber Fevzi Sakar und die Söhne Okur und Aytug stammen aus Sakarya am Schwarzen Meer, sie hatten zuvor bereits einen sehr idyllisch am Ufer der Fischa gelegenen Gasthof mit angeschlossener Landwirtschaft (und Schafzucht!) im niederösterreichischen Haschendorf betrieben.

Im Baba Kokoreç fokussieren Vater und Söhne auf ein herausragend geschmackvolles Lieblingsthema der türkischen Küche: die Innereien vom Lamm und ihre Zubereitung am offenen Feuer. Der namensgebende Kokoreç, kunstvoll zum Großkebab auf einen Spieß gewickelte und knusprig gegrillte Dünndärme vom Lamm, ist da nur ein speziell legendäres Beispiel.

Sirdan Dolma, ebenso kunstvoll wie suggestiv gefüllten dritten Kuttelmägen vom Lamm (siehe Bildmitte) umkränzt von mit Reis gefülltem Schafsdarm "Mumbar"
Foto: Gerhard Wasserbauer

Was abenteuerlich klingt, erweist sich gehackt, in Pide gepackt und mit nichts als Salz und Pul Biber (Chiliflocken) gewürzt, als extrem zugängliches, geradezu frühstückstaugliches Wunderbrötchen, dessen rauchig-knuspriger Inhalt dem Neuling auf den ersten Biss klarzumachen versteht, warum die türkische eine sehr fortgeschrittene Küche ist. Wer ein so pures, elegantes, zielsicher euphorisierendes Sandwich zusammenbringt, der hat es einfach drauf.

Suggestiv gefüllte Kuttel

Uykuluk Güveç – Herzbries vom Lamm – setzt als souverän sautierte Edelinnerei, mit knappem Paradeis- und Paprika-Einsatz gefällig kombiniert, noch eins drauf. Köfte aus Lammfaschiertem, scharf zu elastischer Knusprigkeit gegrillt, werden mit Petersilien-Sumach-Zwiebelsalat und Haydari (mit Minze und Schafskäse gewürztes Dickjoghurt) kombiniert und bei Tisch auf heißes Fladenbrot getürmt – zum Abheben gut.

Die Schmorküche wird ungeachtet der Glut-Expertise ebenso gepflegt: Im irdenen Topf über der Glut gedünsteter Ochsenschlepp zum Beispiel oder ganz prachtvolle Schafskopfsuppe mit Hirn, Zunge und Backerl als Einlage, die in ihrer geradlinigen, blitzsauberen Urgewalt mutmaßlich auch mehrjährig Verstorbene ins Leben zurückholt. Die Krönung aber stellen wohl Sirdan Dolma dar, die ebenso kunstvoll wie suggestiv gefüllten dritten Kuttelmägen vom Lamm (siehe Bildmitte, umkränzt von mit Reis gefülltem Schafsdarm "Mumbar"): souverän milde, in paprizierter Gemüsesuppe geschmorte Monumente zartfühlenden Umgangs mit dem Innersten des Tiers.

Dazu trinkt man Ayran oder, noch besser, das aus violetten Karotten fermentierte Rübenwasser Şalgam Suyu – ein richtig köstlicher, in seiner komplexen Würze durchaus mit Wein vergleichbarer Speisenbegleiter. Wer jetzt meint, einen leitkulturellen Rülpser lassen zu müssen: ganz ruhig. Bier wird es schon demnächst auch geben. (Severin Corti, RONDO, 2.6.2021)

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