Alles halb so wild: Weil ÖVP-Klubchef Wöginger die Justiz attackiert hatte, rief sein grünes Pendant Maurer den großen Koalitionspartner zur Räson – zu Wochenbeginn waren beide Seiten um Beruhigung bemüht.

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Schon seit dem Amtsantritt von Türkis-Grün im Jänner 2020 fällt ihr amikales Verhältnis auf: Egal weshalb die rot-blau-pinke Opposition gerade tobte, die Klubobleute der Koalition, August Wöginger (ÖVP) und Sigrid Maurer (Grüne), blieben einander stets als "der Gust" und "die Sigi" samt inflationärem Gebrauch des Du-Worts verbunden.

Doch am Wochenende verschärfte sich der Ton. Weil Wöginger die jüngsten Schritte der Korruptionsstaatswaltschaft gegen ÖVP-Justizsprecherin Michaela Steinacker als "politisch motiviert" gebrandmarkt hatte, fuhr ihm Maurer in die Parade: Sie attestierte der Kanzlerpartei "einen unsouveränen Umgang" mit den Ermittlungen gegen ihre Politiker – und stellte sich vor die Justiz "als zentrale Säule" der Demokratie.

Hintergrund: Nach Kanzler Sebastian Kurz und Finanzminister Gernot Blümel ist mit Steinacker noch ein Mitglied der türkisen Familie ins Visier der Korruptionsjäger geraten, weil sie einst von einer Tochter der Raiffeisen bezahlt worden sein soll, zeitgleich jedoch hauptsächlich im Dienst der ÖVP gestanden haben soll.

Vom Kanzler vorgeschickt

Auch hier gilt die Unschuldsvermutung. Doch ist angesichts der jüngsten ÖVP-Troubles nun auch schon die Achse zwischen Wöginger und Maurer angeknackst?

Am Montag war man auf beiden Seiten bemüht, den Vorfall als simple Kritik abzutun. Bei den Grünen hieß es, Wöginger wurde "halt vom Umfeld des Kanzlers" vorgeschickt, was die Kooperation zwischen ihm und Maurer nicht weiter beeinträchtige – und schon gar nicht den durchaus passablen Zustand der Koalition.

In der ÖVP wiederum beruhigte man, jede der beiden Regierungsparteien vertrete zum aktuellen Vorgehen der Korruptionsstaatsanwaltschaft unterschiedliche Positionen, die man auch nach außen "für die eigene Klientel" vertrete. Das ändere aber nichts daran, dass Wöginger und Maurer weiterhin die Handschlagqualität des jeweils anderen zu schätzen wüssten.

Lieferten sich ÖVP und Grüne rund um die türkisen Malversationen also gar nur ein Scheingefecht? Maurer selbst versichert dem STANDARD, mit Wöginger weiter "eine gute, seriöse Zusammenarbeit" zu haben. Man konzentriere sich "auf die Umsetzung des Regierungsprogramms und den Wiederaufbau nach der Pandemie".

Die Dellen der Menschenrechtspartei

Schon zu Koalitionsantritt wollten Wöginger und Maurer der Opposition Teile ihres Untersuchungsbegehrens zum Ibiza-U-Ausschuss zusammenstutzen, doch der Verfassungsgerichtshof gab damals schon der SPÖ und den Neos recht. Jetzt wiederum ist Maurer Wöginger im Wort, dass die Grünen einer Verlängerung des auslaufenden Untersuchungsgremiums nicht zustimmen werden.

Der Politikberater Thomas Hofer konstatiert: Mit ihrem Konfrontationskurs gegen die Justiz füge die ÖVP den Grünen ständig neue Dellen als Antikorruptionspartei zu. Als Menschenrechtspartei sei der Juniorpartner schon mit den nächtlichen Kinderabschiebungen von Innenminister Karl Nehammer vorgeführt worden. Aktuell geraten die Grünen außerdem wegen der umstrittenen Islam-Landkarte von Integrationsministerin Susanne Raab unter Druck.

Hofers Fazit lautet daher: "Wenn die Koalition zerbrechen sollte, stehen die Grünen derzeit mit leeren Händen da." Daher bliebe ihnen nicht viel anderes übrig, als bei jeder Attacke gegen die Korruptionsstaatsanwaltschaft aufs Neue zu protestieren – "doch wenn keine Taten folgen, schmilzt die Glaubwürdigkeit der Grünen weiterhin dahin", warnt Hofer. Dazu komme, dass ihre Umweltanliegen – CO2-Besteuerung, ökosoziale Steuerreform, 1-2-3-Ticket – "nicht unter Dach und Fach" seien.

Nichts wie weg!

Ein Mitarbeiter eines ÖVP-geführten Ministeriums zweifelt wegen alledem am Fortbestand der Koalition. Sein Rat an die Grünen: "Wenn ich der Juniorpartner wäre, ich wäre weg." Denn wenn Kogler, Maurer und Co dem türkisen Treiben kein Ende setzen, "stehen sie mit absolut nichts da". Dass die Grünen "nur noch das Ende der Pandemie abwarten" und dann abspringen, hält er für eine Möglichkeit.

Die nächste Koalitionsprobe für ÖVP und Grüne könnte aber schon viel früher stattfinden: Weil die Korruptionsstaatsanwaltschaft in Sachen Steinacker um die Auslieferung der Abgeordneten angesucht hat, soll der Immunitätsausschuss wohl Mitte Juni darüber befinden. Spätestens vor dieser Abstimmung haben Wöginger und Maurer erneut erhöhten Gesprächsbedarf, denn: Die Grünen dürfen die ÖVP auch hier nicht überstimmen, da dies das Koalitionsende bedeuten würde. (Colette M. Schmidt, Nina Weißensteiner, 1.6.2021)