Denkt man an das Mittelalter, so kommen sie einem zweifellos in den Sinn: mächtige Burgen, gebaut aus Stein, auf markanten Geländeformationen. Doch auch in der Ebene sind Hausberge oder Motten noch als Erdwerke in der Landschaft erkennbar. Die noch sichtbaren Überreste beflügeln die Fantasie der Menschen seit jeher und machen dieses Zeitalter für Jung und Alt greifbar. Fehlen diese oberflächlich erkennbaren Strukturen, verschwindet mit ihnen auch häufig das Bewusstsein in der Bevölkerung. Ein solches Schicksal erfuhr die Burg Konradsheim nahe Waidhofen an der Ybbs (Karte), die nach ihrer Zerstörung im Jahr 1360 Stück für Stück abgetragen wurde und heute der regionalen Bevölkerung meist nur durch einzelne Mythen und Sagen bekannt ist.

Neues Fundmaterial wurde eingemessen, fotografiert und beim Bundesdenkmalamt gemeldet.
Foto: G. Raab 2019

Eine jahrelange Spurensuche

Der aus Waidhofen stammende Archäologe und 3D-Techniker Gerald Raab war schon in jungen Jahren von dieser Burg fasziniert, von der heute so gut wie keine für Laien sichtbaren Überreste erhalten sind. Bei Begehungen vor Ort wurden immer wieder durch Erosion freigelegte Keramikfragmente im Nahbereich der Kirche aufgesammelt, es folgten zahlreiche Gespräche mit Anrainern über mögliche Baustrukturen oder überlieferte Fundkonzentrationen. Im Rahmen seines Studiums der Urgeschichte und historischen Archäologie veröffentlichte Raab 2010 erste Ergebnisse in einer Bachelorarbeit. Der gebürtige Konradsheimer und Theologe Nikolaus Farfeleder recherchierte für das Projekt weitere Hinweise in Urkunden und historischen Dokumenten. Aus alten Schul- und Pfarrchroniken sowie aus Reiseberichten konnten weitere, bis ins 19. Jahrhundert bestehende Mauern und Tore lokalisiert werden. Burgspezifische Flurnamen wie Hausstein, Schießkogel, Rossweide, Innermayerhof, Außermayerhof oder Knappenlehen wiesen ebenfalls auf den möglichen Standort der Burg hin. In den folgenden Jahren wurden Altgrabungen aus dem frühen 20. Jahrhundert lokalisiert und bekannte Sammlungen von Funden aus Konradsheim ausgewertet. Dadurch konnten klar abgegrenzte Fundzonen erstellt werden. Neues Fundmaterial wurde eingemessen, fotografiert und beim Bundesdenkmalamt gemeldet. Auffällig ist, dass in älteren bestehenden Gebäuden der Umgebung Steinmaterial der Anlage verbaut wurde. Exakte bauhistorische Untersuchungen stehen hierzu allerdings noch aus.

In einer interaktiven Kartierung kann man die gesammelten Ergebnisse aller bisher bekannten Befunde und Funde der mittelalterlichen Burganlage selbst entdecken.
Foto: G. Raab 2019; G. Raab, R. Skomorowski/Crazy Eye 2019

Bei mehrjährigen Befliegungen mittels Quadrocopter (UAV) wurden nicht nur Luftbilder ausgewertet, sondern auch ein hochauflösendes dreidimensionales Modell der Landschaft erstellt. Mit dem Bauamt Waidhofen und Archäologen der Abteilung Angewandte Geophysik der ZAMG ("Archeo Prospections") konnten 2019 kleine Bereiche mit Georadar gemessen werden. Direkt nördlich der Kirche wurden in ungefähr einem Meter Tiefe bisher unbekannte Mauern entdeckt. Die gesammelten Ergebnisse aller bisher bekannten Befunde und Funde der mittelalterlichen Burganlage kann man in einer interaktiven Kartierung selbst entdecken.

Die Visualisierung: Ein vorläufiges Ergebnis

Alle Recherchen und Arbeiten mündeten in einem fundierten, digitalen 3D-Modell der Burg Konradsheim, das auch in der lokalen Bevölkerung ein stärkeres Bewusstsein für ihr kulturelles Erbe schafft. Eine Visualisierung bedeutet immer auch ein kritisches Abwägen zwischen wissenschaftlicher Vertretbarkeit und künstlerischer Vision – die dargestellte Architektur sollte möglichst auf vorhandenen Quellen basieren. Diese werden nach dem Schema von Franzmeier und Hagenauer (2019) in ein Dreistufensystem gegliedert, in dem beispielsweise Grabungen und Ergebnisse der Geophysik auf Stufe eins, Fundzonen und Kartierungen auf Stufe zwei und eher spekulative Überlieferungen auf Stufe drei einzuordnen sind. Nach der Gewichtung und Einteilung der Quellen in dieses Schema beginnt man mit der eigentlichen Modellierung. Eine rekonstruktive Visualisierung stellt immer nur einen Zwischenstand einer aktuellen Interpretation der Erkenntnisse dar. Das Modell kann und soll diskutiert und durch zukünftige Forschungen ergänzt und adaptiert werden. Als Leitfaden zur Erstellung von computergestützten Visualisierungen von kulturellem Erbe dient beispielsweise die London Charta.

Für die Burg Konradsheim existieren momentan ein wissenschaftliches Weißmodell sowie eine eher interpretative Version in Farbe.
Foto: G. Raab/Crazy Eye 2020/2021; Kapelle: W. Rechberger 2020/2021

Auch die umgebende Landschaft wurde nach den bisherigen Ergebnissen modifiziert, um moderne Veränderungen virtuell rückgängig zu machen. Die Modelle erlauben einen differenzierten Blick auf ein mögliches Aussehen der hoch- bis spätmittelalterlichen Burganlage. Der Mittelalterarchäologe und Burgenexperte Thomas Kühtreiber war für die Visualisierung und Interpretation der Burg Konradsheim ein wichtiger Partner.

Ein Erlebnistag für Jung und Alt

Doch wie erreicht man mit diesen Ergebnissen ein breites Publikum? Gemeinsam mit dem Erlebnisgestalter und Mediendesigner Wolfgang Rechberger wurde dazu ein umfassendes Konzept entwickelt, das nun in Zusammenarbeit mit dem Musealverein Waidhofen und der Gemeinde realisiert wurde. Im Rahmen des Viertelfestivals NÖ Mostviertel 2021 mit dem Thema "Bodenkontakt" wird am kommenden Samstag in Konradsheim die verschwundene Burg für alle wieder erlebbar gemacht.

Am kommenden Samstag wird in Konradsheim die verschwundene Burg für alle wieder erlebbar gemacht.
Foto: W. Rechberger/erlebnisgestalter.at 2021)

Ein Programmpunkt ist dabei eine Outdoor-Führung mit Gerald Raab, bei der mittels Virtual-Reality-Web-App ausgewählte Burgbereiche besichtigt werden. Ein weiteres Highlight ist der Erlebnisraum im Veranstaltungsgebäude Haus Konradsheim, der das Thema mittelalterliche Burg analog und digital in Szene setzt. Zusätzlich wurde ein frei zugänglicher Schauraum in der Pfarrkirche Konradsheim eingerichtet, in dem Originalfunde und historische Informationen vom Neolithikum bis in die Neuzeit präsentiert werden. Die große Unterstützung durch die Pfarre Konradsheim, die Anwohner, den Musealverein Waidhofen und das Fünf-Elemente-Museum sowie weitere Helferinnen und Helfer motivierten das Team während der gesamten Entwicklung und Umsetzung. Sie zeigt auch das wachsende Interesse am Erhalt des für die Region wichtigen Kulturguts. (Gerald Raab, Wolfgang Rechberger, Aenna Linzbauer, 3.6.2021)