Naomi Osaka nimmt eine Auszeit.

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Der Konflikt zwischen Naomi Osaka und den Veranstaltern der French Open endete also mit einem Eklat. Die Japanerin zog sich noch vor der zweiten Runde aus dem Turnier am Bois de Boulogne zurück. Die als Nummer zwei gesetzte Spielerin begründete ihre Entscheidung mit Depressionen, die sie seit den US Open 2018 begleiten würden, und Angstzuständen im Rahmen der Pressekonferenzen.

Wie konnte es so weit kommen? Am 26. Mai, also unmittelbar vor dem Turnier, gab die 23-Jährige via Social Media bekannt, dass sie in Roland Garros nicht an Pressekonferenzen teilnehmen werde. Die Fragen dort würden sich wiederholen. Zudem wolle sie sich keinen Menschen aussetzen, die an ihr zweifeln würden. Viele, so Osaka, hätten keinen Respekt vor der mentalen Gesundheit der Sportlerinnen und Sportler.

Dieses erste Statement war, und das sah auch Osaka später so, weder besonders gut kommuniziert noch zeitlich gut gewählt. Es erwischte die Veranstalter, wenn man so will, auf dem falschen Fuß. Man bot Osaka Hilfe an und bat sie, ihre Position zu überdenken. Zugleich erinnerte man sie an die für alle geltenden Regeln und ihre vertraglich festgelegten Verpflichtungen.

Wachstum

Unter anderem hieß es seitens der vier Grand-Slam-Turniere: "Ein Kernelement der Bestimmungen ist die Verantwortung der Spieler, unabhängig vom Ergebnis ihres Spiels mit den Medien in Kontakt zu treten. Diese Verantwortung übernehmen die Spieler zum Wohle des Sports, der Fans und für sich selbst. Dies trägt zum Wachstum unseres Sports und der Fangemeinde einzelner Spieler bei."

Und dieses Wachstum ist nicht schlampert. Eine Niederlage in der ersten Runde wird mittlerweile bei Damen und Herren mit 60.000 Euro vergütet. Für Spieler jenseits der Top 50 bedeuten die vier großen Turniere eine relevante Einnahmequelle. Die Dotation ist einer detailverliebten Organisation und dem Zusammenspiel mit Sponsoren und Medien zu verdanken. Ein Rädchen greift ins andere. Vermarktung und Merchandise verdeutlichen: Der Star ist das Turnier.

Nachdem Osaka der Presse in Paris fernblieb, fuhren die Veranstalter also harte Geschütze auf. 15.000 Dollar Geldstrafe wären zu verschmerzen gewesen, die Androhung eines Ausschlusses saß tiefer. Hätten die Veranstalter ihre Androhung tatsächlich durchgezogen? Davon ist auszugehen. Genauso wie Novak Djokovic den Regeln bei den US Open zum Opfer fiel, wäre es auch Osaka bei den French Open so ergangen.

Die harte Linie wird mit folgenden Worten begründet: "Wir möchten unterstreichen, dass Regeln vorhanden sind, um sicherzustellen, dass alle Spieler gleichbehandelt werden. Es gibt nichts Wichtigeres, als sicherzustellen, dass kein Spieler einen unfairen Vorteil hat, was in dieser Situation leider der Fall ist, wenn ein Spieler sich weigert, Zeit für die Teilnahme an Medienverpflichtungen aufzuwenden, während alle anderen ihre Verpflichtungen einhalten."

Oberfläche

Aber wie spielen sich die Pressekonferenzen eigentlich ab? Nach dem Match haben die Profis rund eine Stunde Zeit für Massage und Weiteres, anschließend betreten sie die Räumlichkeiten der Medien. Die Stars werden in den großen Sälen mit rund 40 Journalisten erwartet, die Nebendarsteller bekommen es mit einigen wenigen Medienvertretern zu tun. Die Zeit ist dabei knapp bemessen. Die Pressekonferenzen dauern maximal 15 Minuten.

Wenn man das Turnier gewinnt, hat man in zwei Wochen also rund zwei Stunden in den Medienrunden verbracht. Das ist im Normalfall keine extreme Belastung. Kaum jemand darf mehr als eine Frage stellen. Es wird ein gewisses Repertoire abgespult, hier ist nicht der Platz für Tiefgründiges. Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Spiel? Was erwarten Sie von Ihrer nächsten Gegnerin? Und so weiter. Der Mehrwert an Information ist überschaubar.

Es lohnt sich ein Blick auf die letzte Pressekonferenz, die Naomi Osaka in Paris gegeben hat. Und zwar am 1. Juni 2019 nach einer Drittrundenniederlage gegen Kateřina Siniaková. Hier bahnt sich bereits an, was zwei Jahre später passieren sollte.

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Frage: Ich weiß, dass Sie in Ihrer ersten Runde extrem nervös waren. Hat Sie das das ganze Turnier begleitet?

Osaka: Ja, das kann man so sagen. Ich war angespannt.

Frage: Wie groß ist die Enttäuschung im Moment?

Osaka: Sie sagten, was ist die größte Enttäuschung?

Frage: Ja, wie groß ist Ihre Enttäuschung?

Osaka: Oh, wenn es von eins bis zehn gehen würde, bin ich jetzt bei 100.

Frage: Sie waren ziemlich offen mit uns, was den Druck angeht, als Nummer eins bei einem Grand Slam anzutreten. Wollen Sie es das nächste Mal anders angehen?

Osaka: Ich lebe mein Leben in Momenten, also ich kann nicht wirklich über die Zukunft sprechen. Ich fühle, was ich jetzt fühle.

Frage: Was ist das?

Osaka: Dieser Kerl hat mich nur gefragt, ob ich mich depressiv fühle.

Frage: Nein, nein, es tut mir leid. Sie sagten, Sie fühlen, was Sie fühlen. Könnten Sie das bitte näher erläutern?

Osaka: Ich möchte nicht sagen, dass ich mich depressiv fühle, aber ich tue es. Ich denke, es ist ein natürlicher Teil des Lebens, vor allem wenn du für Momente hart trainierst, und dann performst du nicht so, wie du es willst. Zu sagen "Ich bin depressiv" ist eine starke Aussage. Weil ich mich früher so gefühlt habe, und so extrem ist es diesmal nicht. Ich würde nur sagen, dass ich sehr enttäuscht bin.

Der oben transkribierte Teil ist nicht im Video zu sehen. An dieser Stelle schloss die Pressekonferenz 2019 in Paris an.
Roland Garros

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Nervosität, Druck, Depressionen – man sieht, dass die Journalisten den Finger in die Wunde legen. Das muss nicht immer schlecht seien, das kann auch Tabus aufbrechen. Ob Ort und Zeitpunkt geeignet sind, ist eine andere Frage. Und vermutlich kann man diese Frage mit Nein beantworten. Es ist ein schmaler Grat zwischen Respekt und Nachhaken.

"Als Sportlern wird uns beigebracht, auf unseren Körper zu achten, und vielleicht kommt der mentale Aspekt zu kurz", sagt etwa Tennis-Ikone Martina Navratilova. Auch Basketball-Superstar Stephen Curry meldete sich zu Wort: "Du hättest nie in die Lage kommen dürfen, eine solche Entscheidung treffen zu müssen – aber es ist beeindruckend, dass du den schwierigen Weg nimmst, wenn die Mächtigen die Ihren nicht schützen."

Kuriosität

Und wie reagierten diese Mächtigen auf den Rückzug von Osaka? Montagnacht gaben die French Open ein kurzes Statement aus: "Der Rückzug ist bedauerlich. Wir wünschen ihr die beste und schnellstmögliche Genesung und freuen uns darauf, Naomi nächstes Jahr bei unserem Turnier zu haben. Wie bei allen Grand Slams, der WTA, der ATP und der ITF bleiben wir dem Wohlergehen aller Athleten und der ständigen Verbesserung aller Aspekte in unserem Turnier, einschließlich der Medien, verpflichtet – wie wir es immer getan haben."

Für ungewollte Kuriosität sorgte der französische Tennisverbandspräsident Gilles Moretton. Der FFT-Chef verlas in Paris die vorbereitete Stellungnahme, beantwortete danach aber keine Medienfragen. (Philip Bauer, 2.6.2021)