Léonore Moncond'huy, die grüne Bürgermeisterin von Poitiers.

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Madame la maire – zu Deutsch: Frau Bürgermeisterin – kommt natürlich mit dem Fahrrad zum Termin im Rathaus. Und natürlich stehen Holzmöbel in ihrem schönen Eckbüro. Léonore Moncond'huy (31), seit vergangenem Juni Vorsteherin von Poitiers, ersetzte nach ihrer Wahl umgehend die Glastische und -stühle ihres sozialdemokratischen Vorgängers. Seine Partei hatte die zentralfranzösische Stadt, die mit der Agglomeration 240.000 Einwohner zählt, 43 Jahre lang regiert – politisch eine Ewigkeit.

Neben Poitiers eroberten die französischen Grünen 38 Städte wie Lyon, Bordeaux und Straßburg; in Paris und Marseille teilen sie sich mit der Linken in die Macht. Europe Écologie – Les Verts (EELV) überholte landesweit sogar die einstige Volkspartei der Sozialisten.

Das ist umso bemerkenswerter, als die Verts in Frankreich weniger konsensuell antreten und betont linke Standpunkte vertreten. Auch Léonore Moncond'huy. "Wenn wir die Gesellschaft nicht radikal umbauen, wird es die Klimaerwärmung an unserer Stelle tun", sagt die elegant und farbbewusst gekleidete Frau mit den rotbraunen Haaren. Die Politik der ehemaligen Jugendhelferin ist rotgrün. Ihr erster Amtsentscheid war nicht ökologisch motiviert, sondern sozial: Die Stadt organisierte Gratissommerferien für 1.500 Kinder vor allem aus den Banlieue-Zonen. Dann erst bediente die Bürgermeisterin das grüne Credo: Das Stadtzentrum wird massiv bepflanzt, und jeder verkehrspolitische Entscheid wird auf seine Fahrradtauglichkeit geprüft.

"Fliegen darf kein Kindertraum sein"

Landesweit sorgte Moncond'huy vor allem mit einem Satz für Aufregung: "Fliegen darf nicht länger ein Kindertraum sein", sagte sie im Stadtrat, als dieser die kommunale Subvention für ortsansässige Aeroklubs kürzte. Die Opposition schimpfte, die Aussage zeuge von der menschenfeindlichen Ideologie "grüner Khmer".

Andere Bürgermeister der Écologistes hatten sich zuvor in die Nesseln gesetzt. In Bordeaux erklärte Pierre Hurmic, er wolle zu Weihnachten keinen "toten Baum" vor sein Rathaus stellen. Ein Aufschrei ging durchs katholische Land. In Lyon deklarierte Grégory Doucet, seine Stadt werde nicht mehr Etappenort sein für die "machohafte" Tour de France mit ihrer "verschmutzenden" Autokarawane im Schlepptau. Aufschrei zwei, gefolgt von Nummer drei: In Straßburg wollte Jeanne Barseghian den Bau einer Erdoğan-nahen Moschee subventionieren. Weitere Proteste gab es gegen Vegetariermenüs an den Schulen in Lyon oder gegen altersfeindliche Anti-Boomer-Wahlplakate in Paris.

Moncond'huy räumt im Gespräch ein, vieles davon sei "ungeschickt" gewesen. Wie auch ihr Spruch über das Fliegen. In der Sache wolle sie den kleinen städtischen Flughafen – der Linien nach Lyon oder London anbietet – aber wirklich für den kommerziellen Betrieb schließen und nur noch für Notfälle wie Organtransporte offenhalten. Linienflüge von und nach Poitiers solle es nicht mehr geben.

Auch ihre städtischen Schulkantinen will die umgängliche, aber entschlossene Bürgermeisterin in Zukunft zumindest an zwei Wochentagen fleischlos verköstigen. Zudem solle Poitiers nicht mehr wie 2020 die Tour de France empfangen, sondern deren weibliche Version, die 2022 starten soll. Auf Twitter leitet Moncond'huy den Slogan weiter: "Poitiers, feministische Stadt."

Zufriedenheit in der Stadt

Radikal? In der Stadt hört man kaum negative Meinungen zur neuen Lokalregierung. "Bis jetzt geht mit ihr alles gut", sagt ein Bäcker hinter seinem Covid-Schutzglas. Vielleicht hat Moncond'huy recht mit ihrer Behauptung, die ganze Aufregung um ein paar verunglückte Aussagen werde von den Pariser Medien geschürt; hier in Poitiers interessierten sich die Einwohner nicht dafür.

Ein Lokalredakteur der Zeitung "La Nouvelle République" bestätigt, die grüne Regierung gehe lokal vorsichtig vor. Moncond'huy siedelt er indessen eher im Fundi-Flügel der Verts an. Im letzten Lokalwahlkampf habe sie mit den Kommunisten Kampagne gegen die Sozialisten gemacht.

Und was hält sie von den deutschen Grünen? Die Vorsteherin von Poitiers sieht in ihnen Realos mit "grundlegenden Unterschieden" zu den französischen Verts. Das sei teils systembedingt: Jenseits des Rheins neige man zu Koalitionsabkommen und politischen Kompromissen, während in Frankreich die stärkste Partei allein regiere. Vor allem aber, so meint Moncond'huy, hielten die Verts an einer "linken Software" fest, während die deutschen Grünen vielleicht kraft ihrer Erfahrung und Machtausübung zu konsensuelleren Positionen gekommen seien.

Mit Parteien wie den Républicains – in Deutschland wäre das die CDU – würden die französischen Verts aber nie handelseinig, glaubt die zentralfranzösische Stadtchefin. Sie ist vehement gegen "ultraliberale Positionen" etwa in Sachen Freihandel: "In Frankreich gilt der Vorrang des Staates, und daran halten wir fest."

"Ermutigendes" Zeichen

Dessen ungeachtet hält die ehemalige Pfadfinderin den Vormarsch der deutschen Grünen für "sehr ermutigend". Bei den französischen Präsidentschaftswahlen in knapp einem Jahr rechnen sich die Verts von EELV erstmals reale Wahlchancen aus. Präsident Emmanuel Macron ist unbeliebt, und die Rechtspopulistin Marine Le Pen kaum mehrheitsfähig; die Konservativen und die Sozialisten sind nur noch Schatten ihrer selbst.

Mit Yannick Jadot haben die Grünen einen pragmatischen, medienversierten Kandidaten, der über seine Partei hinausdenkt. Schon zweimal versuchte er Vertreter aller Linksparteien an einen Tisch zu bringen. Auch wenn das Resultat enttäuschend war, wird Jadot zu einer – wenn nicht der – zentralen Figur seines Lagers.

Yannick Jadot, eine zentrale Figur der französischen Grünen.
Foto: AFP / Pascal Guyot

Kann er Frankreich bei den nächsten Regional- und dann den Präsidentschaftswahlen die nächste "grüne Welle" bescheren? "Ich weiß nicht", meint Léonore Moncond'huy plötzlich eher wortkarg. Auch wenn sie es nicht offen sagt, scheint der "Realo" Jadot nicht ihr Fall zu sein.

Aber so sind die französischen Verts: Orthodoxe und Pragmatiker finden kaum je zusammen. Fast scheint es, als ob die Klima- und auch die Covid-Krise den Graben durch die Partei noch verschärft hätten. Sollten die deutschen Grünen im Herbst in das Kanzleramt einziehen, wäre das sicher ein starker Impuls für die Wahlen in Frankreich. Aber nur, wenn die französischen Grünen über ihren eigenen Schatten springen. (Stefan Brändle aus Poitiers, 2.6.2021)