Claas Relotius veröffentlichte den Großteil seiner Texte im "Spiegel". Entlarvt wurden seine Fälschungen von seinem Kollegen Juan Moreno.

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Berlin – Der frühere "Spiegel"-Reporter Claas Relotius hat zweieinhalb Jahre nach Bekanntwerden des Betrugsskandals bei dem Nachrichtenmagazin erstmals ausführlich in einem Interview über seine gefälschten Texte gesprochen. Der Zeitschrift "Reportagen" aus der Schweiz sagte er auf die Frage, wie viele seiner insgesamt 120 verfassten Texte in seiner Journalistenzeit korrekt waren: "Nach allem, was ich heute über mich weiß, wahrscheinlich die allerwenigsten."

Reue

Er habe "in der unverrückbaren Überzeugung geschrieben, es würde bei der Erzählform Reportage keinen Unterschied machen, ob alles 1:1 der Realität entspricht oder nicht", so Relotius. Er drückte an einer anderen Stelle sein Bedauern aus: "Ich habe offensichtlich sehr viel Verantwortungsgefühl ausgeschaltet, am meisten gegenüber Kollegen, aber auch gegenüber realen Menschen, über die ich geschrieben habe. Ich hatte beim Schreiben nie niederträchtige Absichten, und ich wollte auch niemanden verletzen, indem ich etwas Falsches schreibe. Dass ich das getan habe, bereue ich am meisten."

Erfundenes

Das Magazin "Reportagen" veröffentlichte am Dienstag auf seiner Webseite ein ungewöhnlich langes Interview mit mehr als 90 Fragen an den früheren "Spiegel"-Reporter, der Ende 2018 die Medienbranche schwer erschütterte. Relotius hatte für den "Spiegel" Reportagen geschrieben, die fehlerhaft waren und zum Teil erfundene Szenen, Gespräche und Ereignisse enthielten. Er war als Journalist mit Preisen überhäuft worden und genoss hohes Ansehen. Der "Spiegel" machte den Betrugsfall selbst öffentlich und arbeitete ihn akribisch auf.

Relotius, der damals für das Gesellschaftsressort tätig war, hatte die Fehler laut "Spiegel" eingeräumt. Seine Karriere bei dem Nachrichtenmagazin war vorbei. Es folgten weitere personelle Konsequenzen im Haus, das Magazin überarbeitete zudem seine redaktionellen Standards.

Quellenchecks

Viele andere deutsche Redaktionen steuerten bei ihren Quellenchecks nach. Für das Magazin in der Schweiz, das das Interview nun veröffentlichte, hatte Relotius in seiner Journalistenzeit ebenfalls mehrere Texte geschrieben. (APA, dpa, 1.6.2021)