Christian Pilnacek geht vor Gericht gegen seine Suspendierung vor.

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Wien – "Das ist doch kindisch!", ruft Christian Pilnacek im Saal 29 des Bundesverwaltungsgerichts in Wien. "Auf dieses Niveau will ich mich jetzt nicht begeben", entgegnet der Disziplinaranwalt, der auf der Klägerseite des Saales sitzt.

Es geht um die Frage, ob Pilnacek als Beamter treuepflichtig gehandelt hat, als er sich empört mit dem Kabinettschefs von Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) über eine Hausdurchsuchung austauschte – und riet, eine Hausdurchsuchung rechtlich zu bekämpfen, von einem "Putsch" sprach und fragte, wer "Gernot" auf seine Vernehmung vorbereite. Er vertritt den Standpunkt, dass ihm ein Hinweis auf die Möglichkeiten der Strafprozessordnung im Rahmen eines privaten Gesprächs erlaubt sein müsse.

Kletzeln, zupfen, wippen

Es ist einer der wenigen Momente, in denen Pilnacek bei der Verhandlung am Dienstag emotional wird. Der suspendierte Leiter der Strafrechtssektion im Justizministerium sitzt ansonsten entspannt da. Nur wenn Richter Mario Dragoni sich etwas zu lange Zeit beim Aktensuchen im komplizierten Verwaltungsverfahren lässt, kletzelt er nervös am Nagelbett, zupft an seiner FFP2-Maske oder wippt unter dem Tisch in der Mitte des Raums mit den Füßen.

Dabei geht es um viel: Am Bundesverwaltungsgericht (BVwG) wird darüber verhandelt, ob Pilnacek zu Recht suspendiert wurde oder nicht. Parallel dazu läuft ein sich inhaltlich weitgehend damit deckendes Strafverfahren in Innsbruck. Die Disziplinarbehörde stützt die Suspendierung von Ende Februar auf vier Vorwürfe.

Vorwurf 1: Verratene Durchsuchung

Erstens: Pilnacek habe seinem Freund, dem Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter, den Termin einer Hausdurchsuchung bei dessen Klienten Michael Tojner verraten. Er bestreitet das: Tojners Anwältin habe nachweisbar schon länger von der geplanten Durchsuchung gewusst, während Pilnacek erst danach davon erfahren habe. "Es gibt kein einziges mich belastendes Beweismittel", stellt Pilnacek kühl fest. Die Entgegnung des Disziplinaranwalts: Die Staatsanwaltschaft hätte ihr parallel laufendes Verfahren wohl schon längst eingestellt, wenn der Tatverdacht so leicht zu entkräften wäre.

Vorwurf 2: Verratene Geheimnisse

Der zweite Vorwurf: Pilnacek habe einer "Kurier"-Journalistin verraten, dass die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) eine Strafanzeige gegen eine "Presse"-Redakteurin wegen eines kritischen Berichts gestellt hat. Dieselbe "Kurier"-Journalistin sitzt im Verhandlungssaal im Zuschauerbereich und hört zu, wie der Richter ihre Chatnachrichten mit Pilnacek verliest.

Der Ex-Sektionschef argumentiert: Er habe sich im Chat mit der Redakteurin nur bemüht, dass die Information über die Anzeige nicht an die Öffentlichkeit gelangt, bevor die betroffene Journalistin selbst davon erfährt. "Mir ist es daher auch nicht darum gegangen, eine kritische Berichterstattung gegen die WKStA zu initiieren", wenngleich er deren Vorgehen "kritisch betrachte". Überhaupt: "Journalistische Berichterstattung über laufende Strafverfahren wäre wohl überhaupt nicht möglich, wenn es nicht auch entsprechende Kontakte zu den Medien geben würde."

Doch ein verratenes Geheimnis ist ein verratenes Geheimnis, argumentiert der Disziplinaranwalt des Justizministeriums: "Ich glaube schon, dass es für einen hochrangigen Bedienstenen auch in Hinblick auf die Vorbildwirkung doch eine schwerwiegende Dienstpflichtverletzung ist, wenn man Amtsgeheimnisse preisgibt."

Vorwurf 3: Beratung für "Gernot"

Der dritte Punkt, in dem sich Pilnacek verteidigt: die eingangs erwähnte "Putsch!"-Causa. "Das ist ein Putsch!! Lauter Mutmaßungen, es muss Beschwerde gegen HD eingelegt werden, wer vorbereitet Gernot auf seine Vernehmung?", schrieb Pilnacek damals an den Kabinettschef im Finanzministerium. Mit ihm sei er seit Jahren befreundet, ein Ratschlag in diesem Kontext sei "völlig unverfänglich".

"Es kann doch nicht sein, dass jede Kritik am Vorgehen einer Staatsanwaltschaft verboten ist", argumentiert Pilnacek. Den ausführlich formulierten Verweis des Disziplinaranwalts auf die Treuepflicht quittiert Pilnacek dann aufgebracht mit "kindisch".

Vorwurf 4: Akten von der Oberstaatsanwaltschaft

Vierter Vorwurf: Pilnacek habe sich von Johann Fuchs, Leiter der Oberstaatsanwaltschaft Wien (OStA), Akten aus brisanten Verfahren schicken lassen, obwohl er nach seiner Entmachtung im Ministerium gar nicht mehr für Einzelstrafsachen, sondern nur für Strafrechtsangelegenheiten zuständig gewesen sei – und nicht dagegen protestiert. Dabei habe es sich aber einerseits nicht um aktuelle Fälle gehandelt, sagt Pilnacek.

Andererseits stimme es nicht, dass er nach der Organisationsreform gar nicht mehr für Staatsanwaltschaftliches zuständig gewesen sei – Fuchs habe ihm die Akten zum Zwecke der Qualitätskontrolle geschickt. Richter Dragoni scheint sich ihm anzuschließen: "Wenn ein nachvollziehbarer Vorwurf bleibt, dann ist es der, dass Sie den Fuchs anzeigen hätten müssen." Kaum denkbar, dass das hält, sagen die Blicke im Saal.

Kein Handy, keine E-Mails, keine Anhörung

Mehrmals während der Verhandlung beklagen Pilnacek und sein Anwalt Rüdiger Schender, dass sie Schwierigkeiten haben, sich effektiv zu verteidigen: denn die Staatsanwaltschaft hat immer noch Pilnaceks Diensthandy, auch auf seine E-Mails habe er keinen Zugriff. Er könne also gar nicht verifizieren, ob die ihm vorgeworfenen Chats so stattgefunden oder vielleicht gänzlich aus dem Zusammenhang gerissen seien. Und: Er sei im Verfahren zu seiner Suspendierung nicht einvernommen worden, da hätte er viele Widersprüche aufzeigen können, sagt der Ex-Sektionschef. Ein Mangel, den auch der Disziplinaranwalt nicht bestreitet.

Auf das Urteil werden Pilnacek, Ministerium und die Öffentlichkeit noch etwas warten müssen: Wegen der komplexen Aktenlage braucht Richter Dragoni noch Zeit, "und wenn ich das gleich mache, sitzen wir bis acht da". Das Urteil ergeht schriftlich. (Sebastian Fellner, 1.6.2021)