Rubina Möhring von Reporter ohne Grenzen.

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Das unabhängige russische Nachrichtenportal newsru.com stellt seine Arbeit ein.

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Rund um Pfingsten ging es Schlag auf Schlag. Zunächst empfing Russlands Präsident Wladimir Putin seinen belarussischen Amtskollegen Alexander Lukaschenko betont freundlich und versprach diesem einen 500-Millionen-Dollar-Kredit. Ausgerechnet kurz nachdem am Pfingstsonntag ein belarussisches Kampfflugzeug wider alle guten Sitten eine zivile Verkehrsmaschine in Belarus zur Landung gezwungen hatte. Das zivile Flugzeug war von Athen, Griechenland, nach Vilnius, Litauen, unterwegs. An Bord war der 26-jährige, im Exil lebende Lukaschenko-Kritiker und Blogger Roman Protassewitsch. Tags darauf legte dieser vor einer Kamera mit geschwollenem Gesicht ein Bekenntnis zur Regierung Lukaschenko und deren demokratiefeindlicher Ideologie ab. Das Wladimir-Alex-Bussi-Bussi-Treffen im russischen Kurort Sotschi stand deshalb unter keinem guten Licht für den russischen Präsidenten. Die Berichterstattung in den Medien seines Landes war neutral.

Inzwischen erschüttert folgende Meldung zumindest intern die russische Medienlandschaft: Nach 21 Jahren stellt newsru.com seine redaktionelle Tätigkeit ein. Damit geht die Stimme eines der ältesten unabhängigen Nachrichtenportale Russlands verloren. Mundtot gemacht durch politischen Druck von ganz oben. Die monatliche Reichweite von immerhin drei Millionen dürfte die Geduld des Kreml überfordert haben.

Kritik zum Abschied

Eingestellt wird/wurde newsru.com aus wirtschaftlichen Gründen, bedingt "durch die politische Situation in unserem Land". So die Worte der Redaktion von newsru.com zum Abschied. "Wir mussten immer öfter über die Verabschiedung restriktiver Gesetze schreiben, die zu jedem beliebigen Zeitpunkt auch uns selbst hätten treffen können." Und: "Uns wurde zunehmend nahegelegt, geschätzte Menschen und Quellen wahrheitsgetreuer Informationen als ausländische Agenten und Extremisten zu kennzeichnen."

Herausgeber, Chefredaktion, Redaktion bewahrten sich gemeinsam ihren aufrechten Gang im Sinne und Dienst der Informationsfreiheit. Sie bewahrten sich auch ihre professionelle Treue gegenüber der demokratiepolitischen Verpflichtung, unabhängig zu berichten und dem Mitarbeiter- bzw. Zuarbeiterstab unverändert treu zu sein, treu zu bleiben.

Zuvor war die Existenz durch entsprechende Werbe- und Inseratenverträge abgesichert gewesen. Je regierungsunabhängiger sich jedoch das Nachrichtenportal positionierte, umso mehr versiegten die entsprechende finanziellen Unterstützung, auch die privater Förderer. Das Nachrichtenportal, dessen Redaktion in Lettland, dem baltischen Nachbarland Litauens, angesiedelt war, galt schon seit längerem als angezählt. Nun ist das endgültige Aus angesagt. Aus ist auch der Traum vom Menschenrecht "Informationsfreiheit", wie es von den UN und der EU nach dem Zweiten Weltkrieg jeweils definiert und beschlossen worden war.

Wo die Willkür zuhause ist

Russland gilt als eine jener Großmächte, einer jener Staaten generell, wo autoritäre Regime und politische Willkür zu Hause sind. So auch Belarus. Wahrheitspflicht ist, wie es scheint, in diesen Ländern nur dann verbindlich, wenn gewährleistet ist, dass Wahrheiten und deren Findungen flexibel sind. Im Fall der vom belarussischen Militär entführten westlichen Verkehrsmaschine wurde offiziell erklärt, die radikalislamische palästinensische Organisation Hamas habe gedroht, an Bord der Maschine eine Bombe zu zünden, sollten die westlichen Industriestaaten nicht ihre Unterstützung für Israel einstellen. Warum die Hamas das Flugzeug nach dem bereits mit Israel vereinbarten Waffenstillstand und ausgerechnet im belarussischen Luftraum hätte sprengen sollen, wurde von dem Regierungssprecher in Minsk nicht erörtert. Frei nach dem Motto: Wahr ist, was wahr sein soll.

Sanktionen

Die Europäische Union reagierte auf die Flugzeugentführung empört mit Sanktionen gegenüber dem Staat Belarus und dessen vermögenden Staatsangehörigen. Die USA arbeiten Sanktionen aus. In Europa kam es in mehreren Staaten zu Demonstrationen gegen das Regime Lukaschenko. Auch in Österreich, organisiert von dem Verband "Vienna goes Europe". Repräsentantinnen und Vertreter aller demokratieorientierten Parteien waren gekommen. Statt sich in gegenseitigen Verbalinjurien zu ergehen, artikulierten diese nun Einigkeit im Sinne von Recht und Freiheit in Belarus. Die FPÖ war nicht präsent.

Themenwechsel, und nur ganz nebenbei gefragt: Warum ist es so still geworden um das geplante neue Informationsgesetz und die Abschaffung des traditionellen Amtsgeheimnisses? Hier bei uns in unserer kleinen, österreichischen Medienlandschaft zwischen Boden- und Neusiedler See? Hat sich die Regierung die eingereichten kritischen Gutachten zu Herzen genommen und überarbeitet nun dementsprechend den ursprünglichen Gesetzesentwurf? Auch das könnte ein wunderbarer, zudem leicht realisierbarer Traum sein. Noch dazu ganz im Sinn von Presse- und Informationsfreiheit. (Rubina Möhring, 2.6.2021)