Wie kaputt ist die österreichische Politik? Das Ibiza-Video stellte diese Frage mit der gebotenen Dringlichkeit. Die Antwort darauf wollte der Bundespräsident geben: "So sind wir nicht", sagte Alexander Van der Bellen. In den knapp zwei Jahren seit der Veröffentlichung des Ibiza-Videos wird Tag für Tag klar: "Wir" sind noch viel schlimmer – oder zumindest die Regierung, die all diese unappetitlichen Vorgänge auslöst, fördert oder ignoriert.

Finanzminister Gernot Blümel zeigte seine Ignoranz gegenüber dem VfGH, indem er Akten nicht an den U-Ausschuss lieferte.
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Es sind demokratiepolitische Albträume, die sich vor aller Augen offenbaren. Da wäre mit Christian Pilnacek zum Beispiel ein suspendierter Sektionschef im Justizministerium, der zehn Jahre lang die Aufsicht über alle Strafsachen in Österreich hatte – und in seinen Chats seiner Verachtung für die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) und den Verfassungsgerichtshof (VfGH) freien Lauf lässt. Letzteren will er nach Kuba exportieren, dort würde man auf die (afroösterreichische) Vizepräsidentin stolz sein; eine andere Verfassungsrichterin gäbe eine "gute Müllfrau" ab. Sein Chatpartner: der ehemalige Justizminister Wolfgang Brandstetter, nun selbst Verfassungsrichter, der sich als Antwort nur zu einem "Du bist heut echt giftig" durchringt.

Die Chats der beiden sind bekannt, weil im Raum steht, Pilnacek könnte Brandstetter Details über eine geplante Hausdurchsuchung bei dessen Mandanten, dem superreichen Michael Tojner, verraten haben. Gegen den ermittelt die verhasste WKStA, über die Pilnacek auch in einem Chat mit einem Wiener Anwalt schimpft. Genau der vertritt Mandanten in Ermittlungen der "missratenen Staatsanwaltschaft", wie Pilnacek sie nennt. Was war da los in den zehn Jahren, in denen Pilnacek die Staatsanwaltschaften beaufsichtigte? Und "sein Präsident" Brandstetter, wie er ihn nennt, sogar Minister war?

Gier nach Macht

Eine ähnliche Hybris ist auch bei Thomas Schmid erkennbar, der für uns Bürgerinnen und Bürger Staatsbeteiligungen im Wert von über zwanzig Milliarden Euro verwaltet und dafür von uns hunderttausende Euro Jahresgage erhält. Den Posten in der Öbag dürfte er mit großer Hilfe seiner "Familie", der ÖVP, erhalten haben; die Ausschreibung für die Stelle formulierte er mit; den Aufsichtsrat, der ihn bestellte, wählte er mit aus – unter den Augen von Kanzler Sebastian Kurz und anderen.

Betriebsrat in der Öbag? "Weg damit." Reisen ohne Diplomatenpass? "Wie der Pöbel." Besuch in der Polizeistation? "Zu den Tieren." So redet Schmid mit einer Vertrauten; zwar privat, aber dennoch, offenbart sich hier das Selbstverständnis, etwas Besseres als der Rest zu sein und die Regeln zum eigenen Vorteil maximal auszunutzen.

Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus, die verzweifelt auch so sein wollten, sind über ihre Gier nach Macht gestolpert. All jene aus dem Universum der ÖVP, der noch stärksten Partei, sind aber nach wie vor in Amt und Würden. "Du bist Familie", schrieb der jetzige Finanzminister Gernot Blümel einst an Schmid; sein Kabinettschef beriet mit Pilnacek über weitere Schritte in Blümels Korruptionsverfahren.

Später zeigte Blümel selbst seine Ignoranz gegenüber dem VfGH, indem er Akten nicht an den U-Ausschuss lieferte. Wusste man nicht, wie der Öbag-Chef und der Sektionschef ticken? Oder, so die Befürchtung: Waren sie vielleicht gerade deshalb so eng mit ihnen, weil sie so tickten? (Fabian Schmid, 2.6.2021)