Gründer Andrew Frame sieht seinen Dienst als eine Art Ersatzpolizei.

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Insbesondere in den USA versuchen Start-ups in immer neue Geschäftsfelder vorzudringen. Auch eigentlich vom Staat abgedeckte Aufgaben bilden dabei keine Ausnahme – beispielsweise öffentliche Sicherheit. Hier versucht der von Andrew Frame gegründete Dienst Citizen, sich ein Standbein zu schaffen, in dem man Aufgaben wahrnimmt, die eigentlich der Polizei obliegen.

Wie sich aktuell zeigt, ist das ein Ansatz, der sehr problematisch werden kann. Auf Initiative von Frame wurde über die App Kopfgeld auf eine Person ausgelobt, die sich allerdings als unschuldig herausstellte, wie "The Verge" und "Vice" berichten.

Konkret geht es um ein Feuer in einem Stadtteil von Los Angeles namens Pacific Palisades, das am Abend des 14. Mai (Freitag) ausgebrochen war. Frame erhielt einen Hinweis, dass dieses von einem Brandstifter gelegt worden sei. Ob ihn diese Information erreichte bevor oder nachdem die Feuerwehr einen entsprechenden Verdacht öffentlich machte, ist unklar. Stammen soll der Tipp nach Angaben der Betreiber von einem Beamten der Polizei. Die Pacific Palisades Resident Association veröffentlichte am Samstagnachmittag ein Facebook-Posting, in dem ein ungenannter Obdachloser als mutmaßlich Verantwortlicher genannt wurde. Nach einer Medienanfrage wurde das Posting gelöscht.

Betreiber "jagten" Obdachlosen

Doch wie geleakte Nachrichten aus dem Slack-Chatkanal der Citizen-Betreiber zeigen, hatte Frame wohl den Eintrag gesehen und witterte darin offenbar eine "Chance" für seine App, ihre "wahre Mission" zu erfüllen. Wenige Stunden nutzte man das erst kürzlich eingeführte Livestream-Feature, um ein Foto des angeblichen Täters zu veröffentlichen und 10.000 Dollar Belohnung für Hinweise, die zu dessen Verhaftung führen. Die Summe wurde im Laufe der folgenden Stunden auf 20.000 und schließlich auf 30.000 Dollar erhöht, die Frame persönlich auszahlen wollte.

Dabei sparte Frame auch nicht mit emotionalen und deutlichen Statements, in denen der Verdächtige bereits behandelt wurde, als wäre der erwiesenermaßen der Brandstifter. Frame hatte seine Angestellten dazu angewiesen, nicht nur seinen Vornamen, sondern alle verfügbaren Informationen zu nennen.

Ein Posting von Citizen (im Original mit unzensiertem Gesicht des zu Unrecht Verdächtigten)
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Aus Frames Äußerungen geht hervor, dass er davon ausging, dass es sich beim Verdächtigen auch um den Täter handeln musste. "Findet diesen Ficker. Schnappen wir ihn noch vor Mitternacht. Er ist fällig", schrieb er im Chat. Später: "Dieser Typ ist der Teufel. Schnappt ihn!", ehe er schließlich veranlasste, dass alle Citizen-User in Los Angeles benachrichtigt werden sollten. Der Hinweis auf das auf 30.000 Dollar erhöhte Kopfgeld wurde an knapp 850.000 Nutzer per Pushnachricht verschickt. Zudem versuchte man auch über Twitter, Interesse für den Stream zu generieren.

Ein Mitarbeiter, der darauf hinwies, dass man mit der Veröffentlichung aller verfügbaren Informationen über den Verdächtigen die eigenen Nutzungsbedingungen verletze (die das Veröffentlichen von Daten, die eine Identifikation ermöglichen, untersagen), wurde schlicht ignoriert. Stattdessen erfreute man sich am hohen Interesse am Livestream, der laut dem Chatprotokoll teilweise 40.000 gleichzeitige Zuseher hatte.

Ein Werbespot für Citizen (damals: Vigilante) aus dem Jahr 2016.
Citizen

Scharfe Kritik an Vorgangsweise

Am frühen Sonntagmorgen nahm die Polizei schließlich eine Person fest, was kurzzeitig in einem anderen Slack-Kanal für Feierstimmung sorgte. Es sollte sich jedoch herausstellen, dass die verhaftete Person nicht jener Mann war, dessen Name und Foto man verbreitet hatte und auf den man 30.000 Dollar ausgelobt hatte. Dieser war bereits am Samstagabend kurzfristig in behördlichen Gewahrsam genommen worden, aber mangels Beweisen, die ihn in Verbindung mit dem Feuer hätten bringen können, wieder auf freien Fuß gesetzt worden.

Jim Braden, der Sheriff der örtlichen Polizei, verurteilte das Vorgehen der Citizen-Betreiber. Deren Handeln sei "desaströs" gewesen und hätte dazu führen können, dass jemand verletzt werde. Seitens der Verantwortlichen versprach man zwar, das nächste Mal vorsichtiger zu sein, man will aber auch in Zukunft Geld für Hinweise auf Verdächtige ausloben.

"Kopfgeld"-Praxis soll fortgesetzt werden

Laut den Chats sieht Frame die Rolle seines Dienstes tatsächlich als eine Art von seinen Angestellten und den Nutzern selbst betriebene Ersatzpolizei und betrachtete den Vorfall in Pacific Palisades als "Experiment", aus dem man Lehren für die weitere Erschließung des Marktes ziehen kann. Die App startete ursprünglich unter dem Namen "Vigilante" und sorgte ob ihrer Aufmachung für eine Kontroverse. Apple hatte sie einige Zeit auch aus seinem Appstore verbannt.

In einem frühen Werbeclip ist eine Frau in New York zu sehen, die von einem Verbrecher verfolgt und schließlich angegriffen wird. Über die App erhalten schließlich andere Nutzer einen Hinweis auf den Ort des Geschehens, was schließlich darin mündet, dass eine Menschenmenge den Verbrecher stellt. Citizen nimmt Geld über einen kostenpflichtigen Service ein. Gegen 20 Dollar Monatsgebühr kann man einen Livestream zu den Betreibern schalten, wobei auch der eigene GPS-Standort mitgeschickt wird. Ein "Protect Agent" von Citizen überwacht den Stream und soll im Notfall sofort Hilfe schicken. (gpi, 2.6.2021)