Auf der Suche nach ihrem eigenen Sound: Cynthia Erivo als Aretha Franklin.

Foto: National Geographic / Richard DuCree

Die junge Aretha Franklin (Shaian Jordan) auf Gospel-Tour mit ihrem Vater.

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Aretha Franklin (Cynthia Erivo) im Studio mit dem legendären Produzenten Jerry Wexler (David Cross).

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Die "Queen of Soul" in ihrem Element: Aretha Franklin (Cynthia Erivo) auf der Bühne.

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Eine wunderbare Ehe, drei prächtige Söhne, und als Herkunft eine bemerkenswerte Familie: "Ich bin eine Prinzessin in einem Märchen." Als die Soul-Sängerin Aretha Franklin dieses Bild ihrer künftigen Presseagentin eintrichtert, ist klar, dass die Wahrheit eine andere ist.

Ihr bisheriger Manager und zu Gewalt neigender erster Ehemann verdient sich nebenher sein Geld als Zuhälter. Ihr Vater, ein den Frauen und dem Exzess zugeneigter Prediger, hat Franklin schon als Kind mit auf seine Gospel-Tourneen genommen. Ihr erstes Kind bekam die Sängerin mit zwölf Jahren, das zweite mit vierzehn.

Die dritte Staffel der von National Geographic produzierten Serie Genius, zu sehen ab Freitag auf Disney+, kann aus dem Vollen schöpfen. Nach Albert Einstein und Picasso ist Aretha Franklin das dritte Genie, dessen Leben in acht fiktionalisierten Folgen aufbereitet wurde.

Aretha statt Mary

Statt der erst geplanten britischen Frankenstein-Schöpferin Mary Shelley kam damit eine schwarze Sängerin zum Zug, die Ende der 1960er-Jahre als "Queen of Soul" ausgerufen und bis zu ihrem Tod 2018 nicht entthront wurde.

Am Anfang der Serie steht die Jagd nach einem Hit. Weil es damit in New York selbst unter den Fittichen von John Hammond, dem legendären Entdecker unter anderem von Billie Holiday, nicht so recht klappen will, reist Franklin (Cynthia Erivo) in den Süden, um in den Fame Studios in Muscle Shoals, Alabama, einen neuen Anlauf zu unternehmen. Dort wartet der von David Cross mit viel Charme verkörperte legendäre Produzent Jerry Wexler – nicht als Architekt, sondern als Geburtshelfer von Franklins ureigenem Sound.

Die Showrunnerin, Autorin und Pulitzer-Preisträgerin Suzan-Lori Parks, legt Genius: Aretha als Geschichte der Selbstfindung und Emanzipation an. Dabei gilt es, eine quecksilbrige Persönlichkeit auszuleuchten, die nicht nur in musikalischer Hinsicht ihre Stimme findet, sondern auch zur unüberhörbaren Stimme der Bürgerrechtsaktivisten avanciert.

Alte Traumata

Um die Entwicklung der Sängerin zu verankern, bedient sich die Serie eines aus Biopics wohlbekannten Kniffs: Die jeweilige Gegenwart wird von Flashbacks der meist in Schwarz-Weiß in Szene gesetzten Vergangenheit durchbrochen, zurückliegende Traumata durchreißen wie Blitze Momente auf der Bühne wie im Privatleben. Dem Hang zum Melodramatischen, der sich dabei offenbart, spielt zudem eine bisweilen pickige musikalische Sauce in die Hände, die der Filmkomponist Hans Zimmer manchen Passagen hinzugefügt hat.

Ein Ausschnitt aus "Genius: Aretha".
National Geographic

Die Musik und vor allem die famos singende Hauptdarstellerin Cynthia Erivo sind es aber auch, die dieser Staffel von Genius ihre größten Stärken beschert. Die Britin, 2020 für ihre Darstellung der afroamerikanischen Fluchthelferin Harriet Tubman für einen Oscar und einen Golden Globe nominiert, nähert sich der Soul-Ikone nicht über Imitation oder Manierismen an. Stattdessen hat sie einen eigenen Tonfall gefunden, bei dem man Äußerlichkeiten rasch vergisst und gespannt einer Frau folgt, die als Aretha Franklin durch und durch plausibel erscheint.

Immer wieder gelingen echte Gänsehautmomente. Etwa wenn Franklin in den Fame Studios nach dem richtigen Groove für ihre epochale Einspielung von I Never Loved a Man the Way I Love You sucht. Voran geht der Session eine Irritation: Die seelenvollen Musiker der als The Swampers berühmt gewordenen Begleitcombo, die Franklin wegen ihrer Einspielungen mit Soul-Star Wilson Pickett auserwählt hat, entpuppen sich allesamt als weiß.

Funky und himmlisch

Solche Szenen sind nicht nur ein willkommener Ausgleich zu Sequenzen, in denen sich Genius: Aretha ein wenig in der Opulenz der Rekonstruktion vergangener Jahrzehnte, im Zauber der Kostüme und ihres unleugbaren Retro-Chics zu verlieren droht. Hier wird auch klar, welcher Mischung Aretha Franklin in ihrer im Gospel wurzelnden Musik hinterherjagt: funky und himmlisch. Oder wie es über ihren Vater, den erfolgreichen Prediger C. L. Franklin, von Courtney B. Vance mit offenkundiger Freude an der Sünde wie an der Reue gespielt, mehrmals heißt: "Er liebt den Sonntagmorgen und die Samstagnacht." (Karl Gedlicka, 4.6.2021)