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Konsum treibt die Wirtschaft an und bringt Wohlstand. Aber wann wird "genug" zu "zu viel"?

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Lange Zeit musste er warten – nun kehrt der Konsum wieder zurück. Er lockt uns in die Innenstadt, ins Geschäft, ins Kino, in den nächsten Urlaub oder zum günstigen Angebot bei Amazon. Konsum ist aus unserem Alltag kaum wegzudenken, ohne ihn kommt unsere gesamte Wirtschaft nicht in Schwung, sagen Ökonomen und Ökonominnen.

Was also würde passieren, wenn wir beschließen, von einem Tag auf den anderen nicht mehr zu konsumieren als die zum Leben notwendigen Dinge wie Lebensmittel, Wasser, Kleidung, und das, was wir zum Wohnen benötigen? Wahrscheinlich gäbe es Chaos: Geschäfte und Industrien würden schließen, Millionen von Menschen verlören ihren Job. Aber wir hätten vielleicht auch weniger CO2-Emissionen, eine bessere Luft und weniger Stress in der Arbeit.

So lautet zumindest das Gedankenexperiment, das der kanadische Autor und Journalist James Bernard MacKinnon in seinem neuen Buch "The Day the World Stops Shopping" entwirft. Umsetzen würde er das Szenario so zwar nicht. Stattdessen stellt sich MacKinnon eine schrittweise Veränderung für die Zukunft vor: weg von einer Konsumgesellschaft, in der Überarbeitung gefördert und Einkaufen zur nationalen Tugend erklärt wird, hin zu einer Gesellschaft, in der Menschen mehr Zeit haben für Freundschaften, Beziehungen, sich selbst und die Umwelt, so der Autor.

Kampf gegen Klimawandel

Das würde laut MacKinnon auch zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen. Denn wenn jeder Mensch auf der Welt so viel einkaufen würde wie der durchschnittliche Amerikaner oder Österreicher, bräuchten wir drei- bis fünfmal so viele Erden, so MacKinnon. Dieser übermäßige Konsum sei laut MacKinnon nicht nur für den Klimawandel, sondern auch für das Artensterben, die Umweltverschmutzung oder die Abholzung der Regenwälder verantwortlich.

Dass die Textilindustrie, wie hier in Indien, teils zu verheerenden Umweltschäden führt, ist seit längerem bekannt.
Foto: APA/AFP/NOEMI CASSANELLI

Jahrhundertealte Kritik

Kritik am Konsumismus ist nicht neu. Schon Ende des 19. Jahrhunderts schrieb der amerikanische Soziologe Thorstein Veblen vom sogenannten "demonstrativen Verbrauch": Damit bezog er sich auf das Konsumverhalten der reichen amerikanischen Oberschicht, die nicht kaufe, um ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen, sondern um ihr soziales Ansehen zu steigern.

Bald darauf drang der steigende Konsum aber auch zur großen Mittelschicht durch – zumindest in Europa und den USA. Konsum wurde zur Identitätsbildung, Bürger zu Konsumenten und neue Waren zu Versprechen für Glück, Sinn und Wohlstand, schrieben einige Soziologen zu der Zeit. Und heute? Da lassen Finanz- oder Corona-Krise den Konsum zwar vorübergehend einbrechen, das ändere aber wenig am generellen Konsumverhalten der Bevölkerung, sagen viele Experten und Expertinnen.

Wirtschaftsmotor

Aber muss Konsumismus deshalb schlecht sein? Immerhin treibt er die Wirtschaft an, führt zu einem Kreislauf aus Angebot, Nachfrage, mehr Beschäftigung, Innovationen und Kreativität. Das Ergebnis: ein Angebot, das alle erdenklichen Bedürfnisse des Menschen abzudecken versucht. Überall, wo die Wirtschaft und der Konsum wachsen, wächst auch der Wohlstand, was für viele Wirtschaftsexperten Beispiele wie China oder Indien zeigen.

Dass dies auch seine ökologischen Konsequenzen hat, würden wohl die wenigsten bestreiten. Nichtsdestotrotz kann Konsum durchaus auch nachhaltig sein, sagen Industrievertreter und Unternehmer. Die Welle an grünen Firmen, die grüne Produkte an umweltbewusste Konsumenten verkaufen, hat in den vergangenen Jahren vor allem in westlichen Gesellschaften gewaltig an Fahrt aufgenommen. Und mit Innovationen wie dem Elektroauto und erneuerbaren Energien soll bald auch der Klimawandel noch besser in den Griff zu bekommen sein.

Vermeintlich grün

Von grüner Technologie oder grünem Konsum hält J. B. MacKinnon wenig. Denn diese hätten bisher nirgendwo zu einer Reduktion des generellen Konsums geführt, schreibt er. Selbst der Minimalismus sei zu einem neuen Konsumtrend geworden, Unternehmen versuchten mit vermeintlich nachhaltigen Produkten zu neuem Geld zu kommen.

Ironischerweise würden selbst Anti-Marketing-Strategien wie jene des Bekleidungsunternehmens Patagonia, das seinen Kunden rät, keine Kleidung zu kaufen, die sie nicht brauchen, dazu führen, dass die Verkäufe und Produktion nach oben schnellen, so MacKinnon.

Frage nach Alternative

Was also soll die Alternative sein? Eine Rückkehr zum einfachen bäuerlichen Dasein, in dem sich Menschen mit Lebensmitteln und Bekleidung selbst versorgen? Wer soll das wollen, bis auf ein paar wenige?

Ganz so hat es sich MacKinnon nicht vorgestellt. In seinem Gedankenexperiment schwebt ihm in westlichen Industrienationen eine Konsumreduktion von rund 25 Prozent vor, also eher eine "Weniger-Konsum-" als eine "Kein-Konsum-Gesellschaft": Das bedeute weniger Reisen, Produkte und Restaurantabende, dafür mehr Produkte, die eine höhere Qualität haben und langlebiger sind, höhere Förderungen für Reparaturen, eine kürzere Arbeitszeit und sinnstiftende Jobs, so MacKinnon.

Wie eine solche nachhaltige Konsumgesellschaft aussehen könnte, will MacKinnon bereits in anderen Ländern gesehen haben. Zum Beispiel in Ecuador, wo sich der Konsum noch im Rahmen der planetarischen Grenzen befinde, oder auf einer kleinen Insel in der Nähe Japans, auf der die Bewohner in so etwas wie "freiwilliger Einfachheit" lebten.

Konsumenten versus Politik

Nicht ganz klar ist, wie sich so eine Zukunftsvision, die sich ein wenig wie eine neue Variante des Sozialismus anhört, bewahrheiten soll. Braucht es dafür eine neuerliche Pandemie oder eine weitere Finanz- oder Wirtschaftskrise, die den Konsum weltweit einbrechen lässt? Oder werden die "Konsumenten" eines Tages ganz von selbst beschließen, Verzicht und Minimalismus zur neuen Tugend zu erheben?

Ironischerweise könnten es gerade Ölunternehmen sein, die eine solche "Konsumentenstrategie" zur Klimawandelbekämpfung unterstützen. Denn seit Jahren versuchen sie die Verantwortung für den Klimawandel auf die Konsumenten abzuwälzen, wie es in einer neuen Studie heißt, die dafür die Kommunikation des Ölgiganten Exxon Mobil untersuchte. Laut den Ölunternehmen liege es allein an den Konsumenten, zu entscheiden, wie sie mit ihren Käufen den Klimawandel vorantreiben – in den Augen von Klimaschützern und Klimaschützerinnen ein bequemer Weg für die Unternehmen, sich aus der Verantwortung zu stehlen.

Sozialprojekte

Laut MacKinnon werde die Veränderung zur "Weniger-Konsum-Gesellschaft" sowohl von einzelnen Projekten und Initiativen als auch von Regierungen ausgehen. Als Beispiel für ein gelungenes Projekt führt er etwa die Organisation "Participatory City" an, die in Kanada und Großbritannien versucht, Menschen vor Ort zusammenzubringen. Anstatt in die Stadt zu gehen, um zu shoppen, sollen sich Bewohner treffen, um gemeinsam zu kochen, zu garteln oder sich einfach nur auszutauschen.

Regierungen wiederum sollen mit bestimmten Regeln etwa zur höheren Langlebigkeit von Produkten beitragen. In Frankreich beispielsweise verbot die Regierung die sogenannte "geplante Obsoleszenz", bei der ein Produkt bewusst so hergestellt wird, dass es bald kaputt geht.

In Frankreich will die Regierung künftig noch stärker gegen die geplante Obsoleszenz vorgehen.
Foto: APA/AFP/CHARLY TRIBALLEAU

"Wir können nicht einfach immer mehr und mehr konsumieren", schreibt MacKinnon. Aber wann wird "genug" zu "zu viel"? Vielleicht ist die wichtigere Frage ohnehin jene nach unseren Beziehungen zu unseren Mitmenschen, der Umwelt, aber auch zu unseren Dingen. Oder wie es die australische Kabarettistin und Autorin Wendy Harmer ausdrückte: "Unser Konsum ist wie eine Liebesbeziehung – in etwa so wie normale Beziehungen auch." (Jakob Pallinger, 6.6.2021)