In den Videos spritzt Blut, privat setzt sich Till Lindemann für vegane Ernährung ein.

Foto: APA/LikeMeat

Dass Till Lindemann als gelernter Pyrotechniker gern mit Feuerwerksbrimborium, Schwermetallgestampfe sowie Rüstzeug aus der Sadomaso-Kammer, Theaterblut und dem hauseigenen "Fleischgewehr" zur Arbeit geht, ist aus seinen Tagen bei Rammstein bekannt. Der 58-jährige deutsche Sänger musste nach einer überstandenen Lungenentzündung im Frühjahr 2019 und der pandemiebedingten Verschiebung seiner Stadiontournee mit Rammstein auf 2022 zwar in letzter Zeit kürzer treten.

Mit seinem gemeinsam mit dem schwedischen Metalmusiker und Produzenten Peter Tägtgren betriebenen Soloprojekt Lindemann widmet sich der grobe Klotz allerdings schon seit 2018 und dem Album F & M weiterhin mit rollendem gutturalem Rrrr der Imagepflege als launiger Fachmann in Sachen deutsche Liedkunst und Videoclips und Liveauftritten für die Zensurbehörden. Bei Konzerten seiner letzten Solotournee kurz vor Corona waren nur Besucher zugelassen, die über 18 Jahre alt waren.

Alles für die Kunst!

Zuletzt sorgte im April 2020 das zum Song Platz 1 gehörende Video für einen Skandal vor allem auch in Russland; offenbar seiner neuen künstlerischen Wahlheimat vor allem auch als Gestalter blutrünstiger Splatterkurzfilme zu seinen Songs. Unzensuriert konnte es damals nur auf einem deutschen Pornokanal erscheinen. Immerhin wurde die darin gezeigte Orgie mit Tills Lindemann als Mittelpunkt des Universums recht ausführlich bis zum in Genrekreisen als "Happy Ending" bezeichneten Finale gezeigt: "Alle Frauen, alle meins!"

Da im sittenstrengen Russland die Produktion pornografischer Werke strengstens verboten ist, wurden die von deswegen offenbar sittlich-entrüsteten männlichen Konsumenten per Gesichtserkennung identifizierten russischen Darstellerinnen, die im in einem St. Petersburger Luxushotel gedrehten Video mitwirken, teilweise mit Mord, Vergewaltigung oder Säureattentaten bedroht. Teilweise wurden im Internet auch die Privat- oder Instagram-Adressen der Frauen veröffentlicht. Leider wollte sich Till Lindemann dazu nicht näher äußern. Alles für die Kunst!

Till Lindemann

Mit seinem nun am 1. Juni anlässlich des internationalen "Tag des Kindes" erschienen Videoclip Ich hasse Kinder treibt Lindemann die Provokationsstrategie marketing- und medienfreundlich weiter. Frauenmord, Porno und das Hänsel-und-Gretel-Motiv, Kannibalismus und Vergewaltigungsfantasien hatten wir schon auf F & M:

"Ich könnte dich vernaschen/

Du riechst und schmeckst so wunderbar/

Ach, ich könnt dich fressen/

Es wär nur schade/

Bist dann nicht mehr da."

Nun widmet sich der grobe Klotz im Paarreimmodus deutscher Volksdichtung ein weiteres Mal den lieben Kleinen:

"Ich steige in ein Flugzeug ein/

Es wird kalt, ich hör' es schrei’n/

Ich kenne meine Sitzplatznummer/

Panik reitet großen Kummer/

Ich näher' mich der Klagereihe/

Immer lauter das Geschreie/

Der Angst weicht nun Gewissheit hier/

Ein Kleinkind sitzt gleich neben mir/

Hier die Frage aller Klassen:/

"Darf und kann man Kinder hassen?"

Dabei ist der Vater zweier erwachsener Töchter und längst auch Großvater privat wahrscheinlich ein ganz ein Lieber! Das behaupten wir jetzt einmal so. Interviews gibt der medienscheue Sänger selten bis gar nicht. Man will halt auch die Kunst für sich sprechen lassen.

Lindemann Official

Immerhin aber, das wird bei Rammstein und Lindemann solo gern übersehen, betreibt der Mann natürlich humorige Übertreibungskunst, die laut seinem Buchverlag Kiepenheuer & Witsch toxische Männlichkeit offenlegen will. Zuletzt erschien auch ein neuer unbedingt launiger Gedichtband von ihm namens 100 Gedichte. Darin werden wieder einmal die großen Lebensthemen abgehandelt: "Die Natur. Der Körper. Die Einsamkeit. Die Gewalt. Die Liebe. Das Böse. Die Tiere. Der Schmerz. Die Schönheit. Die Sprache. Der Tod. Der Sex …"

In den Videoclips zum musikalischen Standbein landet Protagonist Lindemann dann auch einmal zerschunden und blutig geschlagen in Zwangsjacke und Irrenanstalt. Immerhin führt die affirmative Brachiallyrik zumindest filmisch zu einem verdienten Ende des Autoren-Ichs und Ungustls. Der Text des Solosongs Ich hasse Kinder nun, der musikalisch vielleicht etwas mehr von der Rammsteinschen Dampfwalzenbehandlung vertragen hätte, ist allerdings wirklich lustig – und auch so gemeint. Wie heißt es gegen Ende:

"Ich hasse Kinder/

Ich hasse Kinder/

Hier kommt die Frage aller Fragen:

"Kann und muss man Kinder schlagen?"/

Nein, ich liebe sie/

Ja, ich liebe sie/

Alle Kinder, groß und klein/

Doch sie sollten meine sein!"

Lindemann Official

Alle Menschen, vor allem auch Eltern haben sich das schon mehrmals selbst gedacht. Kleine Kinder (im Flugzeug) sind eine Plage. Lügen ist übrigens verboten!

Zuvor wird im 1989 in einem russischen Internat spielenden Video, das mit Anspielungen an den rekordverdächtigen sowjetischen Serienmörder Andrej Tschikatilo (1936-94) reichlich gespickt ist, ein wenig mit der Kettensäge hantiert. Die Gliedmaßen von Erwachsenen werden abgetrennt. Auch Lindemann bekommt wieder ordentlich in die Fresse. Er braucht das. Das Blut spritzt. Es handelt sich dabei um eine Geschmacksfrage. Hui oder pfui? Auf jeden Fall: Wäh! In den ersten 24 Stunden online wollten das Video bisher zwei Millionen Menschen sehen.

Was in Lindemanns Werkverzeichnis übrigens noch fehlt, ist ein richtig die Nackenhaare aufstellendes Tierquälervideo. Aber das traut er sich dann doch nicht. Wetten?! (Christian Schachinger, 2.6.2021)