Naftali Bennett (links) und Yair Lapid.

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"Per E-Mail und Telefon" erging die brisante Nachricht an den Präsidenten, denn die Zeit war knapp: Weniger als eine Stunde vor Ablauf der Frist für eine Regierungsbildung verkündete Israels Oppositionsführer Yair Lapid, er habe genügend Partner für eine Regierungsbildung gefunden. Eine Acht-Parteien-Koalition soll nach zwölf Jahren den amtierenden Premierminister Benjamin Netanjahu ablösen. Ob das gelingt, ist allerdings auch nach der Einigung unklar. Die ungewöhnliche Koalition drängt jedenfalls schon auf eine Vereidigung im Parlament am Montag.

Die größten Hürden waren am Abend vor dem Ablaufdatum aufgetaucht. Es gab Druck von mehreren Seiten. Erstens von der Aussicht drohender Neuwahlen, sollte die Regierungsbildung scheitern. Zweitens vom Netanjahu-Lager, dessen Vertreter keinen Kanal ungenutzt ließen, um die Verhandler öffentlich des Verrats zu besichtigen – an ihrem Gewissen, an ihren Wählern, am ganzen Land. Anonyme Morddrohungen häuften sich. Erinnerungen an den Mord an dem früheren Premierminister Yitzhak Rabin wurden wach – auch er war zuvor von rechten Politikern, darunter auch Netanjahu, als Verräter beschimpft worden. Der Mörder war ein rechtsextremer Überzeugungstäter.

Am Donnerstag schrieb Netanjahu auf Twitter: "Alle Abgeordneten, die mit Stimmen von rechts gewählt wurden, müssen sich gegen diese gefährliche linksorientierte Regierung stemmen."

Alle wollen Höchstrichter bestellen

Druck kam jeweils auch von der Parteibasis, bei zentralen Punkten nicht nachzugeben, notfalls auch auf Kosten von Neuwahlen. Nicht alle hielten diesem Druck stand. Ayelet Shaked von der Rechtspartei Jamina pochte auf einen Platz in jenem Gremium, das die Höchstrichter bestellt. Den rechtskonservativen Kräften ist die Tatsache, dass das Höchstgericht die Politik immer wieder an das Grundgesetz erinnert, ein Dorn im Auge. Da Richter unabhängig entscheiden, bleibt nur als einziger Weg der Einflussnahme die Auswahl möglichst konservativer Richterkandidaten. Jener Platz im Gremium, auf den Shaked es abgesehen hatte, war aber schon Arbeiterpartei-Chefin Merav Michaeli zugesagt worden – und die weigerte sich zu verzichten.

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Ayelet Shaked und Naftali Bennett verhandeln am Mittwoch in der Knesset.
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Druck von der Basis spürte auch der Chef des islamistischen Raam-Bündnisses, Mansour Abbas. Ihm ging es vor allem darum, ungenehmigt errichteten Wohnraum israelischer Araber zu legalisieren oder zumindest weniger streng zu bestrafen. Hier konnte wiederum Jamina, die Partei der jüdischen Siedler, nicht mit.

Parlament muss zustimmen

Am Ende gelangen doch noch Kompromisse, Detailfragen wurden auf die Zeit nach dem Fristende vertagt. Fix ist noch nichts: Das Parlament muss die Regierung in einem Vertrauensvotum bestätigen.

Hier liegt die große Hoffnung des Netanjahu-Lagers: Einige Abgeordnete der künftigen Koalitionsparteien noch zum Ausscheren zu bewegen.

Gerüchten zufolge schien ihnen das bei einem Parlamentarier, Nir Orbach von der Rechtspartei Jamina, auch zu gelingen. Die Parteien brauchen aber jeden einzelnen Abgeordneten der acht Parteien für eine Mehrheit. Orbach wurde Mittwochabend noch zu Jamina-Chef Naftali Bennett gerufen, um die Positionen zu klären.

Zwei Premiers sollen sich abwechseln

Es ist also ein Wettlauf gegen die Zeit. Lapid hat großes Interesse, die Vertrauensabstimmung so bald wie möglich über die Bühne zu bringen, um das Risiko von Abtrünnigen zu minimieren. Die Entscheidung darüber, wann das Votum auf die Tagesordnung kommt, liegt bei Parlamentspräsident Yariv Levin. Und der gilt als Politiker, dem seine Loyalität zu seinem Parteichef Netanjahu wichtiger ist als seine Aufgabe als Parlamentspräsident.

Levin könnte das Votum bis Mitte Juni verzögern, um Netanjahu mehr Zeit zu geben, doch noch Abtrünnige für sich zu gewinnen. Lapids Koalition wollte jedoch noch am Donnerstag einen neuen Parlamentspräsidenten ins Amt wählen, um eine schnellere Abstimmung im Parlament zu ermöglichen.

Wenn die Regierung zustande kommt, dann wird Bennett vorerst für zwei Jahre das Amt des Premierministers übernehmen, danach tritt Lapid an seine Stelle. Bennett wird unterdessen vom Inlandsgeheimdienst Shin Bet geschützt. Das bestätigte der Geheimdienst am Donnerstag. Die linksliberale Zeitung "Haaretz" bezeichnete dies als "außergewöhnlich", da der Shin Bet üblicherweise den Ministerpräsidenten erst schütze, wenn er im Amt sei. Hintergrund sei eine Zunahme an Hetze gegen den ultra-rechten, 49-jährigen Politiker.(Maria Sterkl, red, 3.6.2021)