Die gewaltigen Schadenersatzforderungen der OMV gegen die Rechercheplattform "Dossier", die strafrechtliche Privatanklage von "Zur Sache"-Chefredakteur Claus Reitan gegen "Falter"-Chefredakteur Florian Klenk, rechtliche Schritte Wolfgang Fellners gegen den STANDARD und den Redakteur, um Recherche und Berichterstattung zu verhindern, und persönliche Klagen aus der Mediengruppe Österreich gegen Mitglieder der Presseförderungskommission: viel Stoff für eine warnend-nachdenkliche Diskussion zweier Kapazunder des Medienrechts, der Medienanwälte Maria Windhager und Michael Rami, über Einschüchterungsklagen im Presseclub Concordia am Mittwochabend.

"Pressefreiheit täglich neu zu verteidigen"

Medienanwältin Maria Windhager: Man muss sehr scharf und sehr deutlich auf solche Erscheinungsformen reagieren."
Foto: Matthias Cremer

"Man muss sehr scharf und sehr deutlich auf solche Erscheinungsformen reagieren", sagt Windhager: "Wenn es nicht so einen öffentlichen Aufschrei gegeben hätte, dann hätte die ÖMV die "Dossier"-Klagen auch nicht zurückgezogen." – Auch wenn sie sie gerne durchgefochten und gewonnen hätte:"Die OMV hat einfach nicht mit Dossier geredet. Erst Gesprächsverweigerung betreiben und dann klagen – da ist wirklich einiges schief gelaufen."

"Das verlässt unsere Diskussionskultur"

Die Öffentlichkeit, die Zivilgesellschaft müsse klar sagen: "Das wollen wir nicht. Das verlässt unsere Diskussionskultur, unsere Art der Auseinandersetzung. Wir können das auch anders austragen. Es soll zu keinen Grenzverschiebungen kommen. Man muss die ersten Anzeichen sehen und ernst nehmen. Die Pressefreiheit und Meinungsfreiheit muss täglich neu verteidigt werden."

Medienanwalt und Verfassungsrichter Rami schränkt ein: "Ob es wirklich eine Einschüchterungsklage ist, weiß man erst, wenn das Verfahren zu Ende ist. Man muss mit dem Begriff Einschüchterungsklage vorsichtig sein." Denn: "Da stehen immer zwei Parameter gegenüber. Der, dessen Ruf betroffen ist, und der, der über die Sache berichten will. Und einer von den beiden hat recht – oder vielleicht haben sogar beide recht oder beide ein bisschen unrecht."

Rami vertritt als Anwalt etwa die "Krone"; er vertritt derzeit auch Ex-Mitarbeiterinnen der Mediengruppe Österreich, die Vorwürfe sexueller Belästigung gegen Herausgeber Wolfgang Fellner erheben – die dieser entschieden als falsch bestreitet und eine der Ex-Mitarbeiterinnen auf Unterlassung geklagt hat.

Windhager vertritt etwa den STANDARD, sie vertritt Grünen-Klubobfrau Sigrid Maurer in Sachen "Bierwirt" und die ehemalige Grünen-Chefin Eva Glawischnig wegen Hasspostings gegen Facebook. Und Windhager vertrat "Dossier" gegen die OMV – die ihre Klage nach massiven öffentlichen Protesten zurückgezogen hat.

"Florian Klenk bewegt sich im Graubereich"

Rami findet sehr wohl "seltsam", dass die OMV hier immateriellen Schaden geltend gemacht habe, und eine Privatanklage gegen Journalisten wie jene gegen Klenk ungewöhnlich. Der Chefredakteur von "Zur Sache", betrieben vom ÖVP-Parlamentsklub, geht damit auch strafrechtlich gegen den "Falter"-Chefredakteur vor, dem er üble Nachrede wegen Aussagen in einem Podcast vorwirft.

Rami wie Windhager zeigten sich überzeugt, dass Klenks Aussagen vor Gericht als zulässig gesehen werden. Windhager sieht die – von beiden hervorgehobene – drastische Wortwahl Klenks als Ausdruck der Polarisierung in der gesellschaftlichen und politischen Debatte: "Die Wortwahl von Florian Klenk bewegt sich im Graubereich. Im Äußerungskontext relativiert es sich. Ich glaube nicht, dass es erfolgreich sein wird. Man kann sich sich über die Wortwahl beschweren, das sind auch medienethische Diskussionen, die kann man gerne führen. Aber die Privatanklage irritiert mich."

"Privatanklage unangemessen und unverhältnismäßig"

"Eine Privatanklage einzubringen ist für mich unangemessen und unverhältnismäßig", erklärt Windhager. Auch der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte habe mehrmals in der Rechtsprechung ausdrücklich erklärt: "Wegen Meinungsäußerungen strafrechtlich vorzugehen, sollte die Ausnahme sein."

Windhager: "Die Privatanklage irritiert mich. So etwas macht man nicht. Mein Eindruck ist: die müssen so einen Hass auf Herrn Klenk haben, sonst würden sie nicht das im Journalismus verpönte Strafrecht bemühen. Das ist auch eine Form von Kriminalisierung. Was ist da passiert? Das kann ich nicht nachvollziehen."

"Einschüchterungsklagen sollte es überhaupt nicht geben": Medienanwalt Michael Rami.
Foto: Matthias Cremer

"Braucht man noch Ehrenbeleidigung im Strafrecht?"

"Einschüchterungsklagen sollte es überhaupt nicht geben", sagt Rami grundsätzlich: "Wenn das wirklich Schule machen sollte, muss man das Gesetz ändern." Der Anwalt verweist als Beispiel auf eine existenzbedrohende Klage der Teerag-Asdag gegen den damaligen Grün-Politiker Peter Pilz vor 25 Jahren mit einem Streitwert von 100 Millionen Schilling (rund sieben Millionen Euro). Diese Klage habe den Gesetzgeber 1993 bewogen, eine Obergrenze für den Streitwert einzuführen.

Rami fragt: "Braucht man noch die Ehrenbeleidigung im Strafrecht?" Das Zivilrecht biete ohnehin diese Möglichkeit. Denkbar wäre auch eine "Haftungserleichterung" für Medien. Derzeit ist die gesetzliche Bedingung grundsätzlich, dass Medien wahrheitsgemäß berichten; "gemildert" mit der Anforderung von journalistischer Sorgfalt. Rami: "Wenn ein Journalist sorgfältig recherchiert und dem betroffenen Gelegenheit zur Äußerung gibt, ist der Artikel ohnehin schon wahr. Wenn er gut recherchiert ist, stimmt er ohnehin. Vielleicht kann man da eine Erleichterung einziehen."

"Klare Einschüchterungsklage"

"Völlig absurd" ist für Rami die Klage der Mediengruppe Österreich gegen Mitglieder der Presseförderungskommission, die in diesem Beirat der darüber entscheidenden Medienbehörde fanden, "Österreich" entspreche nicht den Förderkriterien. "Das ist ein Wahnsinn." Seine "persönliche Meinung: Das ist eine klare Einschüchterungsklage. Dass ich Beiräte, beratende Menschen einer Behörde, wegen einer angeblich falschen Ansicht persönlich geklagt werden, ist völlig absurd."

Fellner vs. STANDARD

Windhager berichtete von der Mediengruppe Österreich gegen den STANDARD und den recherchierenden STANDARD-Journalisten persönlich: Mit Unterlassungsklage und Antrag auf einstweilige Verfügung wollte die Mediengruppe Berichterstattung und Recherchen über Vorwürfe gegen Herausgeber Wolfgang Fellner unterbinden. "Er hat versucht untersagen zu lassen, dass Personen in diesem Zusammenhang kontaktiert und befragt werden. Die Recherche an und für sich sollte verhindert werden. Sowas von Zensuraktion habe ich selten erlebt."

Rami kritisierte, dass österreichische Medien den Namen Fellners erst nannten, als ihn die deutsche "Zeit" berichtete: "Ich kann nur vermuten: aus Angst vor Sanktionen, indem die Zeitung als Machtmittel, Kampfmittel eingesetzt wird. Das ist meine Theorie."

DER STANDARD berichtete als erstes Medium über die Verfahren und Vorwürfe. Angesichts einer von Fellner beantragten (und letztlich erfolglosen) Einstweiligen Verfügung wurde der Name zunächst nicht genannt.

Windhager erklärte das mit einer redaktionellen Entscheidung: "Man wartet mit der Namensnennung auf den Prozesstermin. Da stand noch Aussage gegen Aussage. Wenn sich im weiteren Verfahren der Verdacht weiter erhärtet, dann erfolgt auch eine Namensnennung. Das war die Entscheidung der Redaktion." (fid, 3.6.2021)