Vögel beobachten ist ein Hobby, das sehr viel Geduld erfordert – aber auch eine Chance, gutes Wetter auszunutzen und endlich mal so etwas wie Ruhe zu genießen.

Foto: Lisa Lugerbauer

Hast du das gesehen?", fragt Lisa, während wir auf der A4 Richtung Wien unterwegs sind. "Ein Kaiseradler, der saß da einfach auf dem Feld, den muss ich in unserer Meldeplattform eintragen!" Sie entsperrt ihr Handy. Im Internet gebe es nämlich verschiedene Plattformen, auf denen Vogelenthusiasten ihre Entdeckungen und ihren Fortschritt teilen, erklärt sie. "Fortschritt? Also sammelt man entdeckte Vögel wie bei "Pokémon"?", frage ich. Lisa schaut mich verwirrt ein. Zwei Nerds unter sich, nur aus verschiedenen Branchen.

Meine Freundin Lisa ist Hobby-Ornithologin. Das wusste ich bisher nur von ihren Posts auf Instagram, auf denen sie regelmäßig Nahaufnahmen von bunten und manchmal nicht so bunten Piepmatzen herzeigt. Bisher hat sich mir die Faszination dafür entzogen. Denn seien wir ehrlich: Es gibt attraktivere Freizeitgestaltungen als Vogelbeobachtung. Aber da ich auch nicht gerne mit Vorurteilen jongliere, dachte ich mir, ich frage Lisa einfach mal, ob ich sie begleiten darf. Durfte ich.

Liegestütze für Jungtiere

Es ist Dienstagmorgen, 7 Uhr. Ich versuche, die Augen offen zu halten, Lisa steigt mit einem Wäschekorb voller Kram in mein Auto. "Was ist da alles drin?", frage ich. "Nur das Übliche: Feldstecher, Spektiv, ein wenig Lektüre." Die Tour, die Lisa vorbereitet hat, führt uns ins Burgenland. "Da findet man hier in der Nähe wohl die größte Vielfalt, aber in Wien kann man auch viel sehen."

Ich bin einmal in Prä-Corona-Zeiten mit Lisa durch Hernals spaziert. Auf dem Weg trafen wir eine Gruppe Senioren, die gespannt auf eine Häuserwand starrte. "Beobachtet ihr die Mauersegler?", fragte Lisa. Prompt schüttelte sie einen zehnminütigen und tatsächlich interessanten Monolog über Mauersegler aus dem Ärmel. Wussten Sie, dass Mauersegler-Jungvögel mit einer Art Liegestütze üben, bevor sie anfangen zu fliegen? Danken Sie Lisa.

Unsere erste Station führt uns zum Ungerberg, knapp außerhalb von Weiden am See. Hier befinden sich zwei der noch wenigen verbliebenen unberührten und geschützten Brutwände. Dort machen es sich im Mai und Juni die Bienenfresser gemütlich. "Eine gute erste Anlaufstelle, weil Bienenfresser so ungewöhnlich bunt sind", sagt Lisa. Und tatsächlich, mit einem Blick durch den Feldstecher oder das Spektiv ist das gelb-blau-braun-weiße Gefieder der kleinen Racker wunderbar zu erkennen. Die Morgensonne bringt das Farbspektrum noch einmal mehr zur Geltung, und zusammen mit dem hellen Pfeifen der Vögel wirkt das Szenario fast schon zu idyllisch, um wahr zu sein. In der Wand nebenan haben sich Dohlen eingenistet, die mit ihren hellblauen Augen an die Weißen Wanderer aus "Game of Thrones" erinnern.

50-minütiges Vogelreferat

Meist gibt es an den designierten Orten einen Verschlag, von dem aus man die interessanten Punkte beobachten kann, beispielsweise die Brutwand oder einen Tümpel. Geredet wird dann so wenig wie möglich, man will die Racker ja nicht verschrecken.

"Wir haben um mein Elternhaus einen riesigen Garten", erzählt Lisa über die Anfänge ihrer Leidenschaft. "Und während meine Mutter und Schwester gegartelt haben, bin ich irgendwann daraufgekommen, mir die Vögel genauer anzuschauen. Das hat sich dann so hochgeschaukelt, dass meine Eltern mit mir auf Exkursionen fahren mussten, als ich zwölf Jahre alt war." Erst ein 50-minütiges Vogelreferat in der Schule, das ihre Mitschüler nicht sonderlich interessiert hätte, ließ sie für eine kurze Zeit pausieren.

Lisa hat mit ihrem Spektiv alles im Blick.
Foto: Thorben Pollerhof

Seit ein paar Jahren ist Lisa jetzt aber wieder Feuer und Flamme für die Vögel, sie engagiert sich unter anderem bei der Naturschutzorganisation Birdlife, an deren Exkursionen sie früher schon teilgenommen hat. "Die haben damals Leute geführt, die heute meine Kollegen sind, die kennen mich, seit ich ein Kind bin".

Unsere nächste Haltestelle ist Illmitz-Hölle, hier gibt es nicht nur vor allem für Wandervögel attraktive Lacken, sondern auch einen der wenigen barrierefreien Hochstände. "Na, ihr seids vom Nationalpark, oder? Ich mein, das E-Auto?!", spricht uns ein Fahrradfahrer an. "Gibt’s was Interessantes zu beobachten?", fragt ihn Lisa. "Ja, hier … die … Stelzen … ehm", "Stelzenläufer?", vollendet Lisa den Satz. Und tatsächlich, die schwarz-weiß-gefiederten Vögel mit den ungewöhnlich langen roten Beinen picken fröhlich was auch immer aus dem Tümpel heraus.

An unserer letzten Haltestelle, der Warmblut(pferde)koppel, beobachte ich ein paar Graugänse, die, wie der Name schon suggeriert, komplett in Grau gehalten sind (außer die ganz jungen Gössel, die sind noch gelb). Dahinter schwimmen drei Brandgänse, die vor allem durch ihren knallroten Schnabel gut zu erkennen sind. Plötzlich fliegt ein Vogel tief, der selbst mir auffällt, weil er groß ist und sein purpurnes Gefieder sofort ins Auge sticht. "Schau mal, Lisa, was ist das?" "Ooooh, das ist ein Purpurreiher! Den habe ich noch nie gesehen!", schwärmt sie. Wirklich selten sei der zwar nicht, "er ist im Burgenland immerhin ein Brutvogel", aber auf ihrer Liste hatte sie ihn auch nicht.

Das optische Highlight des Tages: ein Purpurreiher
Foto: Bernhard Paces / Birdlife Österreich

Und es wird abgefahrener. Wenige Minuten später gesellt sich ein kleiner weißer Freund hinzu: ein Rallenreiher. Der hingegen ist seltener. "Da wird mein Freund Augen machen, vergangenen Samstag haben wir nicht wirklich etwas zu Gesicht bekommen."

Artensterben

Denn Vögel beobachten, auch Birding oder Birdwatching genannt, ist ein Hobby, für das man Geduld braucht. "Manchmal stehen wir hier drei Stunden – und es passiert rein gar nichts", sagt Lisa. Gleichzeitig ist es aber auch ein Hobby, das die Augen öffnet. Lisa zeigt mir immer wieder während des Trips an gewöhnlichen Orten ungewöhnliche Vögel. Und schaut man durch die Linse eines Feldstechers in das Gesicht einer herkömmlichen Graugans, kommt man nicht umhin, um sich zu fragen, ob das alles real ist. Ist es. Man weiß es nur zu selten zu schätzen.

Für Lisa ist es wichtig, dass sie mit ihrem Hobby auch etwas bewegt: "Wir haben all diese Vogelarten direkt vor der Haustür, und wir machen zu wenig, um sie zu erhalten – im Gegenteil." Allein der Bestand der Kiebitze ist seit 1998 um rund 49 Prozent zurückgegangen. Grund dafür: Intensivierung der Landwirtschaft, häufiges Mähen der Wiesen, der Einsatz von Pestiziden. Deshalb seien geschützte Brutstätten wie die auf dem Ungerberg so wichtig.

Am Ende unseres Trips kann Lisa zwei weitere Vogelarten von der Liste streichen, 187 sind es nun. Und es sollen noch mehr werden.

"Hoffentlich passiert ihm nichts", sagt Lisa über den Kaiseradler auf dem Rückweg, dessen genauen Standort wir hier nicht verraten. Sie hat Angst, dass ihn dann jemand abschießt. Es wäre nicht das erste Mal. (Thorben Pollerhof, 4.6.2021)